Als Zum Filmarchiv: "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" 1981 in den westdeutschen Kinos anlief, war die Story des Films weithin bekannt. Das gleichnamige Buch (1978), verfasst von den Stern-Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck nach Interviews mit der Jugendlichen Christiane Felscherinow, hatte sich millionenfach verkauft – es gilt als erfolgreichstes Sachbuch in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik. Als abschreckendes Beispiel machte der Bericht der Teenagerin eine breitere Öffentlichkeit auf die "Heroin-Welle" der 1970er-Jahre aufmerksam. Schnell war die Geschichte auch im Schulunterricht der Stoff der Wahl, um präventiv über Drogensucht aufzuklären. Zugleich übten Christianes Erfahrungen auf Jugendliche eine Faszination aus, die durchaus als Gefahr gehandelt wurde. Die "Bibel der Turnschuhgeneration" wurde das Buch in Die Zeit genannt; Der Spiegel verglich es mit Goethes "Die Leiden des jungen Werther". Doch auch wenn junge Leser/-innen fortan mit touristischer Neugier zum Bahnhof Zoo pilgerten, der bald schon nicht mehr Treffpunkt der Szene war, schuf das Beispiel der Christiane F. mehr Bewusstsein für die Gefahren von harten Drogen als einen Nachahmungseffekt.

Drastischer Realismus: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" im Kino

Die Verfilmung von Ulrich Edel wurde 1981 unter dem Begriff der Abschreckung diskutiert. Manchen Experten und Expertinnen aus Schule und Drogenberatung kam der Film trotz seiner Drastik noch potenziell "stimulierend" (Ulrich Koch) vor. Die Filmkritik wiederum fand ihn zu pädagogisch – beispielhaft etwa Hans C. Blumenbergs Kritik in Die Zeit: "Edels Haltung, die ich ehrenwert finde, aber wirklich nur ehrenwert, ist […] die des distanzierten Erwachsenen, der sich vor jeder Einstellung genau überlegt, welchen Schaden er anrichten könnte, wenn er etwas anderes zeigt als eine endlose Folge von klinischen Schreckensbildern."

Vierzig Jahre später scheint sich die Neuverfilmung Zum Filmarchiv: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", eine Miniserie unter der Zum Inhalt: Regie von Philipp Kadelbach, demonstrativ von dieser Ästhetik abzugrenzen. Wo der Kinofilm Suchtverhalten mit hartem Naturalismus inszeniert, imaginiert die Serie in stilisierter Form eine halb historisch, halb gegenwärtig gezeichnete, drogenaffine Jugendkultur. Mit ihren Darstellungen von Milieu, Rausch und Sucht nehmen die zwei Zum Inhalt: Adaptionen auch unterschiedliche Positionen im Drogendiskurs ein.

Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Trailer (© EuroVideo Medien GmbH)

Durch die Nähe zu den realen Ereignissen der Jahre 1976/77 berührte die Kinoproduktion die immer noch akute Problematik der Heroin-Verbreitung und der zunehmenden Drogentoten unter Minderjährigen. Von Christianes Idol David Bowie, der damals selbst in West-Berlin lebte, ist der Begriff "Welthauptstadt des Heroins" überliefert. Anknüpfend an die spezifisch berlinerische Authentizität des Buches filmten Edel und Produzent Bernd Eichinger (Glossar: Zum Inhalt: Filmproduktion) an den Originalschauplätzen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set): Sie zeigen die reale Rock-Diskothek Sound, die "Fixer-Meile" hinterm Bahnhof Zoo, den "Babystrich" auf der Kurfürstenstraße. Auch sonst setzt der Film auf realistische Stilmittel. Das betrifft die Besetzung der Hauptrolle mit der zu Drehbeginn erst 13-jährigen Natja Brunckhorst sowie weiteren Schüler/-innen im tatsächlichen Alter der Figuren. Es gilt für die unglamourösen Zum Inhalt: Kostüme, die geflickten Schlaghosen der sich prostituierenden Drogenabhängigen und Christianes Ausgeh-Outfit mit kindlichen Ringelsocken in den Stöckelschuhen der Mutter. Es zeigt sich in den langen Totalen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) und im natürlichen Zum Inhalt: Licht der Bilder, dem schummrigen Halbdunkel von U-Bahnsteigen und öffentlichen Toiletten.

Zeitlos oder Zeitgeschichte: Ist Christiane F. noch relevant?

Auf einige dieser Realitätseffekte kann die Serie schon deswegen nicht zurückgreifen, weil sich das (West-)Berliner Stadtbild in 40 Jahren extrem gewandelt hat. Angesichts der veränderten Entwicklung des Drogenkonsums mussten sich die Serienmacher/-innen aber auch fragen: Welche Relevanz hat Christiane F. noch für Menschen, die im neuen Jahrtausend geboren wurden? Lässt sich die zeithistorisch spezifische Geschichte der Kinder vom Bahnhof Zoo als zeitloser Klassiker inszenieren? Heroin wird zwar weiterhin konsumiert, aber kaum noch von Jugendlichen. Die Drogenaffinitätsstudie von 2019 belegt, dass unter den 12- bis 17-Jährigen genau einer der befragten Jugendlichen überhaupt Erfahrungen mit Heroin hatte, was (abgerundet) einem statistischen Wert von 0,0 Prozent für die Altersgruppe entspricht; in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen sind es 0,3 Prozent. Die Tendenz ist seit Jahren rückläufig, wohl auch, weil Heroin aus den Clubs, wo Christiane noch mit der Droge in Kontakt kam, schon lange verschwunden ist. Stattdessen ist in der Clubkultur ein diversifizierter Konsum von Drogen mit (tendenziell) weniger Abhängigkeitspotenzial verbreitet, und zwar deutlich mehr unter jungen Erwachsenen als unter Jugendlichen. Für eine "Drogenkarriere" wie die der Christiane F. – mit 13 Jahren die erste Spritze Heroin, mit 14 Jahren Abhängigkeit und Prostitution – gibt es zumindest in Deutschland offenbar kein signifikantes Milieu mehr.

Drogenkids im Retro-Look: Serienadaption von 2021

Vor diesem Hintergrund ist der erzählerische Spagat der Serie zu sehen, die Geschichte einerseits im historischen Setting zu belassen, in dem sie sich ereignet hat, anderseits aber mit der Zum Inhalt: Inszenierung an die vermeintliche Lebenswelt heutiger Teenager anzuknüpfen. Christiane F. als "Lifestyle": Das ist die Ästhetik, in der die neuen Kinder vom Bahnhof Zoo präsentiert werden. Mit Vintage-Klamotten und lässigen Posen ähneln die Darsteller/-innen, allesamt professionelle Zum Inhalt: Schauspieler/-innen um die 20, eher Influencer/-innen als Drogenabhängigen. Im "Heroin-Chic" steht das Serien-Ensemble für ein Werbefoto vor einer Altbaufassade. Diese Stilisierung soll nicht historisch akkurat sein, sondern ein Retro-Gefühl hervorrufen, das auf eine zeitlose Vergangenheit rekurriert: Die Drogen-Kids vom Bahnhof Zoo sind heute Berliner Pop-Folklore. In der anachronistischen Zum Inhalt: Ausstattung, Straßen und Plätze werden nur spärlich historisiert, wirken konkrete 1970er-Jahre-Details daher eher fehl am Platz – zum Beispiel ein Luftgitarren-Wettbewerb im Ambiente eines modernen Techno-Clubs.

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Trailer (© Constantin Television, Amazon Studios)

An Edels Film kritisierte das Feuilleton damals, dass er vor lauter Abschreckungsästhetik keine Empathie für seine Figuren zeige. Tatsächlich bleibt seine Kamera auf Distanz, die filmische Erzählung in der Außenperspektive. Ständig zeigt Edel, wie die Abhängigen sich eine Spritze setzen, nie jedoch visualisiert er den subjektiven Rausch. Die Serie wird hingegen überall da ausführlich, wo der Film verknappt. Dramaturgisch zur Ensemble-Erzählung erweitert, werden etwa die Hintergründe von Christiane, Babsi und Stella beleuchtet, ihre Herkunft aus sozial unterschiedlichen, aber gleichermaßen dysfunktionalen Familien: traumatische Motive für den Weg in die Sucht. Kadelbach und seine Head-Autorin Annette Hess (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) konzentrieren sich ganz auf das Innenleben der Figuren, ersetzen die pädagogische Distanz ihres Vorgängers durch Identifikationsangebote.

Rausch in surreale Welten

Schon aus dem Casting älterer Darsteller/-innen ergeben sich andere Vorzeichen: Wo im Film eine 13-Jährige vor allem als Opfer des Rauschgifts erscheint, können die reiferen Figuren der Serie auch als selbstverantwortliche Drogenkonsumierende gesehen werden. Etwa bis zur Hälfte der acht Episoden werden Drogen auch nicht als Suchtgefahr, sondern eher als sinnlicher Erfahrungsschatz inszeniert. Filmästhetisch wird der Rausch verfremdet: Die Figuren gleiten in magische Sphären, die meist schöner und sinnlicher als die Realität sind.

Die Faszination, die in dieser Rauschästhetisierung steckt, lässt sich vielleicht mit der Inszenierung von Christianes erstem Heroin-Kontakt illustrieren. Im Kinofilm, wie im Buch, schnieft sie nach dem Bowie-Konzert "Äitsch" auf einer Autorückbank. Vor der Spritze hat sie noch Respekt. "Ich mach das einmal und dann ist Schluss." In der Serie wird diese Zum Inhalt: Szene jedoch in eine surreale Parallelwelt versetzt: Zufällig gelangt Christiane während des Konzerts in den Backstage-Raum von Bowie. Eine Fantasiegestalt mit Hundeschnauze, dem Haustier ihres Vaters ähnlich, erscheint in einem schwarzen Umhang und serviert Heroin buchstäblich auf dem Silbertablett. Und während ein Indie-Popsong auf dem Soundtrack das "party girl" besingt, gleitet in weichgezeichneten Bildern eine Kanüle in Christianes Arm.

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