Laia Costa, geboren 1985 in Barcelona, studierte zunächst Werbung und Medienwissenschaften, bevor sie an der Theaterschule Nancy Tuñón Schauspielunterricht nahm. Seitdem spielte sie kleinere Rollen in spanischen Fernsehserien und im Theater. 2014 war sie erstmals an zwei internationalen Filmproduktionen beteiligt, die Titelfigur in Sebastian Schippers Zum Filmarchiv: "Victoria" war ihre erste Hauptrolle. Für ihre Darstelllung ist sie in diesem Jahr für den deutschen Filmpreis nominiert.

Laia, du spielst die Titelfigur in Sebastian Schippers Film Victoria. Was hat dich an der Rolle gereizt?

Ich denke, für alle war es eine besondere Herausforderung, diesen Film in wirklich nur einem einzigen Take zu drehen. Und dann natürlich auch die Rolle zu entwickeln. Ich habe sofort gedacht: Gut, dabei werde ich viel lernen.

Wie habt ihr euch darauf vorbereitet? Gab es Proben, einen Text?

Sämtliche Dialoge sind improvisiert. Wir hatten also keinen Text, den wir lernen mussten. Wir haben zwei Monate lang geprobt, bevor wir gedreht haben. Während der Proben haben wir unsere Rollen quasi entdeckt. In der Nacht des Drehs wussten wir wirklich alles über die Charaktere, die Geschichte und deren Verlauf.

Hat sich die Geschichte in dieser Zeit verändert?

Der gesamte Prozess war sehr kreativ. Wenn wir gemerkt haben, dass eine Szene nicht funktioniert, dann haben wir sie gestrichen oder geändert, manchmal haben wir aber auch Szenen hinzugefügt. Das Gleiche ist auch mit Rollen passiert, was sehr ungewöhnlich ist. Denn normalerweise gibt das Drehbuch vor, wie Rollen angelegt sind, was in jeder Szene passiert und daran muss man sich als Schauspieler in der Regel halten.

Wie war es für dich als Schauspielerin, ohne ein richtiges Zum Inhalt: Drehbuch zu drehen? Es gab ja nur ein zwölfseitiges Treatment.

Uns Schauspielern hat es riesigen Spaß gemacht. Wir konnten improvisieren, ohne genau wissen zu müssen, wo das hinführt. Wir haben uns bei diesem verrückten Abenteuer sehr wohl gefühlt.

Welche Rolle hat Sebastian Schipper, der Regisseur, während des Drehs gespielt?

Er war eine Art höhere Instanz. Er war da, aber wir haben ihn nicht gesehen. Manchmal hat er gerufen „Und jetzt los zur nächsten Location“, oder so etwas in der Art. Das war gut, denn man musste gleichzeitig spielen, auf den Rhythmus der Szene achten und im Kopf haben, wo es als nächstes hingeht. Aber manchmal hat er auch gar nichts gesagt.

Kannst du beschreiben, was für ein Mädchen Victoria ist?

Wir wollten nicht, dass sie das „gute Mädchen“ ist, die mit ein paar „bösen Jungs“ mitgeht und dann selbst „böse“ wird. Das war nie die Idee. Im Laufe der Proben fanden wir heraus, dass sie eine Idealistin ist. Sie hat sich immer an Regeln gehalten und nun nichts in den Händen. Sie bricht aus ihrem bisherigen Leben aus und sucht nach etwas anderem. Sie sucht Freiheit. Und diese Jungs, die sie trifft, die befolgen keine Regeln und sie kann in ihnen irgendwie etwas von sich selbst entdecken.

Es überrascht schon, dass ein Mädchen, das mal Pianistin werden wollte, bei einem Banküberfall mitmacht.

Aber so einfach ist es eben nicht! Es ist nicht die Geschichte von einem Mädchen, das erst Klavier spielt und dann plötzlich eine Bank überfällt. In ihr findet eine Entwicklung statt. Es passiert ganz viel zwischen diesen beiden Ereignissen in Victorias Leben.

Was macht für dich die Geschichte des Films aus?

Ich denke, der Film erzählt von jungen Leuten und ihren Leben heutzutage. Ich glaube, dass mein Leben nicht so einfach verlaufen wird wie das meiner Eltern – wegen der Gesellschaft, in der wir leben. Meine Freunde gehören einer Generation an, die besser denn je ausgebildet ist. Sie haben Universitätsabschlüsse, sprechen drei Sprachen – und finden keinen Job, noch nicht mal als Kellnerin. Unser Kontext, die gesamte Situation ist „bullshit“. Davon erzählt der Film. Wie es ist, unter diesen Umständen jung zu sein.

Ist Victoria für dich eine typische Vertreterin dieser jungen Generation?

Nicht nur Victoria, auch Sonne, Boxer und die anderen.

Victoria erlebt in diesen Stunden ein emotionales Auf und Ab – da gibt es zärtliche Momente und plötzlich drehen alle durch oder haben furchtbare Angst. Wie hast du diese Gefühle aus dir hervorgeholt?

Das ist doch wie im richtigen Leben! Du kannst an einem Tag, sogar im gleichen Moment all das fühlen. Deshalb war es nicht schwierig.

Aber du hast das geschauspielert.

Natürlich, alles ist konstruiert, auch wenn es im Film echt aussieht. Zum Beispiel, als die Jungs angeschossen werden und bluten – sie wussten, der Blutbeutel liegt unter einem bestimmten Baum. Also muss ich dorthin, wenn die Kamera gerade nicht auf mich gerichtet ist, mir den Beutel unter den Pulli stecken und ihn öffnen. Alles war genau durchgeplant.

Gab es unvorhergesehen Probleme während des Drehs?

Eine ganze Menge ist nicht wie geplant gelaufen. Aber Fehler sind okay. Im Leben läuft ja auch nicht immer alles glatt. Als wir auf dem Dach drehten, beschwerte sich zum Beispiel ein Nachbar lautstark: „Es ist mitten in der Nacht!“ Das wurde natürlich auch aufgenommen, aber in der Postproduktion wieder rausgeschnitten.

Du hast gesagt, dir sei von vornherein klar gewesen, dass du bei diesem Film viel lernen würdest. Wenn du zurückblickst – was hast du gelernt?

Dass Freiheit, eine gewisse Offenheit und Spontanität, dir eine große Wahrhaftigkeit beim Schauspielen geben können und dass das etwas ist, woran man arbeiten muss, auch wenn man mit einem festen Drehbuch arbeitet.

Ist "Victoria" für dich ein Film, der sich besonders an junge Leute richtet?

Ich denke schon, dass der besonders für junge Leute ist und für alle, die einmal jung gewesen sind.