Kategorie: Interview
"Es ist wichtig, über sein eigenes Handeln nachzudenken – unabhängig davon, was Regierungen uns vorgeben"
"Unter dem Sand" erzählt ein vergessenes Kapitel der dänischen Geschichte. Im Interview spricht Regisseur Martin Zandvliet über die Aufarbeitung der Vergangenheit in seiner Heimat und die Verantwortung der Soldaten im Krieg.
Martin Zandvliet kam als Autodidakt zum Film. Er begann seine Karriere als Zum Inhalt: Cutter für verschiedene Zum Inhalt: Dokumentarfilme, bevor er 2002 für sein Regiedebüt "Angels of Brooklyn" mit dem dänischen Filmpreis Robert für den Besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Sein Spielfilmdebüt war 2009 das vielfach ausgezeichnete Drama "Applaus" . Zum Filmarchiv: "Unter dem Sand" ist seine erste internationale Koproduktion.
Herr Zandvliet, was hat Sie bewogen, diese eher unbekannte Fußnote aus der Nachkriegsgeschichte zu erzählen?
Dänemark hat von sich als Nation oft das Selbstbild eines hilfreichen Samariters. Ich wollte aber den Fokus auf einen Aspekt lenken, auf den wir nicht stolz sein können. Ich fand heraus, dass Dänemark auch eine dunkle Geschichte hat: Junge Kriegsgefangene wurden tatsächlich völlig ungeschützt für diese Tretminenräumung eingesetzt. Es ging mir aber nicht darum, mit dem Finger auf etwas zu zeigen, sondern das Dilemma zu beleuchten, in dem Nationen und Menschen nach einem Krieg, in dem schreckliche Dinge geschahen, stecken. Das Gefühl der Vergeltung ist eine nachvollziehbare, unmittelbare Reaktion. Wir sollten dennoch versuchen, aus Mitgefühl und Verständnis heraus zu handeln.
Waren die Vorgänge in Dänemark bekannt?
Im Grunde ist es eine unbekannte Geschichte, obwohl einige Historiker darüber geschrieben haben. Dasselbe passierte entlang der gesamten Küste, auch in Norwegen. Carl ist jedoch eine fiktive Figur, mit vielen Facetten von Gut bis Böse. Es war damals schon klar, dass das Vorgehen die Genfer Konvention verletzte. Die Fakten sind alle da und belegt, doch sie stellen in der Geschichte der Nachkriegszeit nur ein Kapitel dar. Ich finde, es sollte wichtiger genommen werden. Es waren viele Menschen betroffen.
Wie bewerten Sie die schwierige Balance zwischen Empathie und möglicher Verharmlosung?
Meiner Meinung nach wusste jeder, dass diese Jungen unschuldig waren. Sie wurden gehasst, weil sie Deutsche waren. Nun haben die Deutschen schreckliche Dinge getan. Eine Aufrechnung macht keinen Sinn. Doch ich fühlte mich auf der sicheren Seite, weil sie Kinder waren und den Krieg nicht begonnen hatten. Sie waren bei Kriegsbeginn acht oder neun Jahre alt. Ich glaube, man darf Sympathie für sie empfinden. Das heißt nicht, dass sie im Krieg nicht vielleicht jemand umgebracht haben. Doch sie haben auch eine Gehirnwäsche durchlaufen.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, die Politik wegzulassen und auch wenig über die persönlichen Hintergründe der Jungen zu sagen?
Ich schrieb den Figuren eine Vorgeschichte auf den Leib, doch diese diente nur den Schauspielern dazu, sich besser in die Figuren einfühlen zu können. Sebastian ist etwas hervorgehoben. Er fühlt sich schuldig und will die Aufgabe erledigen, bevor er nach Deutschland zurückkehrt. Er will etwas wiedergutmachen. Insgesamt sehe ich diese Jungs als Individuen mit ganz normalen Bedürfnissen, wie jeder andere Mensch auch.
Wie würden Sie die Beziehung zwischen dem Befehlshaber Carl und den Jungen beschreiben?
Carl hat viel Hass in sich. Er ist so etwas wie ein Erlöser und Vater, aber auch ein Feind. Oft ist es für die Jungs sicherer, auf dem Strand nach den Minen zu suchen. Denn Carl agiert manchmal selbst wie eine tickende Zeitbombe und ist damit noch gefährlicher als die Minen im Sand.
Wurden Sie von Filmen wie "Hurt Locker" oder "Lohn der Angst" beeinflusst?
Ich habe diese Filme gesehen, doch beeinflusst wurde ich eher von "Das Boot" und , in denen es um Charakterporträts geht. Man weiß sehr bald, dass diese Jungen sterben werden. Dies wollte ich möglichst spannend und ergreifend erzählen. Es gab also auch Elemente aus Zum Inhalt: Thrillern und Horrorfilmen: Da sind elf Jungen am Strand und die Spannung entsteht daraus, dass man nicht weiß, wann wer wie sterben wird.
Wo haben Sie den Film gedreht?
Der Zum Inhalt: Drehort war einer der historischen Orte, an denen die Kriegsgefangenen eingesetzt wurden. Für mich war es wichtig, dort zu drehen. Das Publikum sollte spüren, dass es ein besonderer Ort ist, fast wie eine Theaterbühne. Da es heute ein Militärgebiet ist, handelt es sich auch um den einzigen völlig unberührten Strand in Dänemark. Es half den Darstellern, sich in die damaligen Ereignisse einzufühlen, wenn sie mit den Stöcken im Sand nach den Minen stocherten. Sie fühlten sich als Teil des Anliegens, diese Geschichte zu erzählen.
Sind Sie der Meinung, dass Menschen für die Taten früherer Generationen verantwortlich sind?
Man darf nicht vergessen, was geschah. Aber ich finde, diese Jungs sind nicht dafür verantwortlich. Es geht darum, andere Menschen gut zu behandeln. Carl ist eine fiktive Figur. Ich glaube nicht, dass das, was er am Ende tut – die Jungen gegen einen Befehl laufen zu lassen – damals stattgefunden hätte. Und wenn, wäre es vertuscht worden. Aber er tut das Richtige. Es ist wichtig, über sein eigenes Handeln nachzudenken – unabhängig davon, was Regierungen oder andere Leute uns vorgeben.
Was kann ein junges Publikum aus Ihrem Film lernen?
Ich hoffe, sie erkennen, dass eine Auge-um-Auge-Mentalität nur weiteres Unheil bringt. Und hoffentlich fühlen sich junge Leute auch unterhalten, denn ich wollte keines der üblichen Kriegsdramen drehen, die vor allem ältere Zuschauer ansprechen.