Die Empfehlung der UN-Experten/innen ist klar. "Erneuerbare Energien haben im Allgemeinen einen positiven Effekt auf Energiesicherheit, Beschäftigung und die Luftqualität", heißt es im aktuellen Bericht der zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaänderungen, kurz IPCC. Die Wissenschaftler/innen des Weltklimarates, deren Arbeit 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, rechnen damit, dass 2030 bis zu 35 Prozent der weltweiten Stromversorgung mit Erneuerbaren Energien, also regenerativen Energien aus nachhaltigen Quellen, gedeckt werden können. Der gegenwärtige Anteil beträgt 18 Prozent. Neben Wind- und Solarenergie können auch "Biotreibstoffe, je nach Herstellungsmethode, eine wichtige Rolle bei der Minderung von Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor spielen."

Zwang zum Konsens

So positiv das Votum des IPPC generell für Erneuerbare Energien ist, so auffällig sind auch die einschränkenden Formulierungen des Rates. Einschübe wie "im Allgemeinen" oder "je nach Herstellungsmethode" deuten an, dass das Expertengremium kein einstimmiges Loblied anstimmen will. Ein erheblicher Teil der Einschränkungen dürfte aus dem Zwang zum Konsens rühren. Denn der IPPC ist, wie der Name schon sagt, ein zwischenstaatlicher, also ein politischer Ausschuss. Zwar leiten Klimaforscher/innen aus der ganzen Welt fundierte Vorarbeit, liefern Daten und Analysen und am Ende auch Handlungsempfehlungen. Doch am Ende entscheiden die Vertreterinnen und Vertreter der Regierung über die veröffentlichten Berichte. Jeder Satz wird überprüft, verhandelt und oft genug auch abgeschwächt. Denn schließlich müssen am Ende die Ölfördernationen des Nahen Ostens und die USA mit ihrer mächtigen Öllobby ebenso zustimmen wie die Schwellenländer China und Brasilien, die ihr Recht auf wirtschaftliche Entwicklung und die Nutzung heimischer Energieträger wie Kohle oder Zuckerrohr einfordern.

Hochgesteckte Ziele

Doch auch jenseits dieses diplomatischen Erwägungen gibt es Grund genug, trotz der unbestreitbar wichtigen Rolle der Erneuerbaren Energien im Kampf gegen den Klimawandel, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen. So zum Beispiel beim sogenannten Biosprit. Ethanol und Diesel aus Pflanzen wie Raps, Mais, Zuckerrohr und -rübe gelten in den USA aber auch in der Europäischen Union als ein wichtiges Instrument zur Minderung des Kohlendioxidausstoßes im Verkehr. So hat die EU in einer Richtlinie bereits 2003 als Ziel festgelegt, dass "Agrokraftstoffe" [Flüssigkraft-
stoffe, die durch eine Zerteilung der Biomasse gewonnen werden, Anm.d.Red.] wie "Bioethanol" und "Biodiesel" im Jahr 2005 einen Marktanteil von zwei Prozent haben sollten. Diese Quote soll bis 2010 auf 5,5 Prozent steigen. Das Grünbuch der EU-Kommission zur europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit geht noch weiter und gibt das Ziel aus, bis zum Jahr 2020 sogar 20 Prozent der konventionellen Kraftstoffe durch alternative Kraftstoffe zu ersetzen. Bei der Berechnung des neuen Grenzwertes für die Automobilindustrie von 130 Gramm CO2 pro gefahrenen Kilometer sollen zehn Gramm durch den Einsatz von "Agrosprit" erreicht werden.

Klimapolitisch fragwürdige Produktionsweisen

Die Idee dabei ist, dass Pflanzen, anders als Mineralöle, bei der Verbrennung nur das Kohlendioxid freigeben, das sie während ihres Wachstums aufgenommen haben. Insofern werden sie als klimaneutral angesehen und mit steigendem Anteil der Treibstoffe vom Acker an der gesamten Kraftstoffmenge sinkt der CO2-Ausstoß. Soweit die Theorie. Tatsächlich greift diese Rechnung zu kurz. Nicht nur, weil die EU für den angepeilten Bedarf an "Agrosprit" auf den Import von asiatischem Palmöl oder brasilianischem Zuckerrohr angewiesen ist. Beide Rohstoffe werden meist auf Plantagen angebaut, für die wiederum Regenwälder abgeholzt werden. Diese klimapolitisch äußerst fragwürdige Produktionsweise wollen die westlichen Industriestaaten durch entsprechende Zertifizierungen und Abkommen mit den exportierenden Ländern in den Griff bekommen. Derzeit wird aber an unterschiedlichen Forschungseinrichtungen in Europa an einem solchen Zertifizierungssystem gearbeitet, so dass über die Wirksamkeit noch keine Aussage getroffen werden kann.

Keine Klimawunderwaffen

Doch auch in Europa oder den USA angebauter und produzierter Agrosprit ist keine Klimawunderwaffe. Bei der angeblichen CO2-Neutralität nicht berücksichtigt werden die Kohlendioxidmengen, die in der Landwirtschaft bei Anbau und Ernte der Pflanzen und in der Industrie bei der Verarbeitung zum Beispiel von Getreide zu "Bioethanol" anfallen. Die OECD schätzt, dass dabei rund achtzig Prozent der CO2-Einsparungen wieder aufgebraucht werden. Noch schärfer geht Paul J. Crutzen, Chemienobel-
preisträger von 1995 und einer der Entdecker des Ozonlochs, mit dem "Agrosprit" ins Gericht. Er berücksichtigt bei seinen Berechnungen auch die Mengen an Lachgas, die vor allem durch die Stickstoffdüngung in der Landwirtschaft entstehen. Zwar kommt dieses Gas in geringerer Konzentration in der Atmosphäre vor als Kohlendioxid, heizt den Treibhauseffekt aber deutlich mehr an: Die klimaschädliche Wirkung von einem Gramm Lachgas ist so hoch wie die von 300 Gramm CO2. Crutzen hat dies in seine Berechnung der Klimabilanz einfließen lassen und kommt zu dem Ergebnis, dass der sogenannte Biodiesel aus Rapsöl einen etwa 1,7 mal höheren Treibhauseffekt hat, als konventioneller Diesel. Ethanol aus Mais schädigt das Klima danach etwa 1,5 mal so viel wie herkömmliches Benzin. Lediglich Sprit aus Zuckerrohr, das in tropischen Ländern angebaut wird, bekommt von Crutzen ein positives klimapolitisches Zeugnis.

Hoffnung auf die zweite Generation

In all diesen Überlegungen zu berücksichtigen ist zudem eine mögliche Preiserhöhung von Nahrungsmitteln durch den vermehrten Anbau von Energiepflanzen. Dass diese tatsächlich droht, zeigt nicht nur die "Tortilla-Krise" zum Jahreswechsel 2006/2007, als der steigende Maisbedarf der US-Agrospritproduktion zu drastischen Preissteigerungen von Tortillas in Mexiko führte. Auch in Europa werden Nahrungsmittel teurer, was unter anderem mit der zunehmenden Produktion von Agrosprit begründet wird. Die EU hat als Folge dieser Entwicklung im Sommer 2007 bereits stillgelegte Flächen wieder für den landwirtschaftlichen Betrieb freigegeben. Dies alles bedeutet nicht, dass die Nutzung von Pflanzen als Energieträger grundsätzlich ein Irrweg ist. So wird große Hoffnung auf die sogenannten Biokraftstoffe der zweiten Generation gesetzt, die als deutlich energieeffizienter gelten. Noch sind diese Produktionstechniken aber in der Entwicklungsphase. Bereits möglich ist die Herstellung von "Biogas" aus Pflanzen, das sowohl als alternativer Kraftstoff als auch zur Strom- und Wärmeproduktion genutzt werden kann.
Der Boom und die Probleme im "Agrospritsektor" zeigen, dass auch im Kampf gegen den Klimawandel den scheinbar einfachen Lösungsvorschlägen misstraut werden muss. Die Förderinstrumente der Politik müssen jeweils der Frage unterzogen werden, ob sie tatsächlich einer CO2-ärmeren Zukunft oder vor allem den Interessen bestimmter Lobbygruppen dienen. Auch die Verbraucher/innen werden um diese Frage nicht herumkommen. Denn sie bestimmen, von welchem Anbieter sie ihren Strom beziehen, welche Verkehrsmittel sie benutzen und welche Produkte sie einkaufen.

Literatur und Links

Vorholz, F.: Mehr Mais im Tank bedeutet mehr Hungernde. Interview mit Stefan Tangermann, OECD Direktor für Handel und Landwirtschaft, in: Die Zeit, 8. Februar 2007.

Wuppertal Institut (Hrsg.): Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit, Bonn 2006 (Schriftenreihe Band 533 der Bundeszentrale für politische Bildung)

Zum externen Inhalt: www.atmos-chem-phys-discuss.net (öffnet im neuen Tab)
Website von atmospheric-chemistry-and-physics.net mit einer Abhandlung von P. J. Crutzen: N2O release from agro-biofuel production negates global warming reduction by replacing fossil fuels

Zum externen Inhalt: www.bpb.de (öffnet im neuen Tab)
Website der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Unter dem Suchbegriff "Erneuerbare Energien" finden sich zahlreiche Veröffentlichungen

Zum externen Inhalt: www.bmu.de (öffnet im neuen Tab)
Website des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Zum externen Inhalt: www.erneuerbare-energien.de (öffnet im neuen Tab)
Website des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Informationen zu Erneuerbaren Energien und Klimaschutz

Zum externen Inhalt: www.ipcc.ch (öffnet im neuen Tab)
Homepage des Intergovernmental Panel on Climate Change(IPCC)

Zum externen Inhalt: www.umweltbundesamt.at (öffnet im neuen Tab)
Website des Umweltbundesamtes mit einem Download der deutschen Übersetzung des ersten IPCC-Berichts 2007

Zum externen Inhalt: www.umweltrat.de (öffnet im neuen Tab)
Sachverständigenrat für Umweltfragen, "Klimaschutz durch Biomasse",
Berlin 2007

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Kyoto und die Folgen (Hintergrund vom 29.09.2006)
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