Kategorie: Interview
"Als Mensch wäre Richard ein iranischer Junge"
Drehbuchautor und Co-Regisseur Reza Memari im Interview über menschliche Tierfiguren, autobiografische Elemente und die Botschaft im Film "Überflieger" .
Zum Inhalt: Drehbuchautor und Co-Regisseur Reza Memari wurde 1976 im Iran geboren und zog im Alter von drei Jahren mit seiner Familie in ein bayerisches Dorf. Nach der Schule studierte er in München Marketingkommunikation und arbeitete als PR- und Produktmanager für ein Computerspielunternehmen, um dann als Cutter verschiedener Film- und Fernsehformate in die Filmbranche zu wechseln. Bei Toby Genkels "Ooops! Die Arche ist weg…" übernahm er den Zum Inhalt: Schnitt, für Zum Filmarchiv: "Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper" hat er erneut mit ihm zusammengearbeitet. Der Zum Inhalt: Animationsfilm feierte auf der Berlinale 2017 in der Sektion Generation Kplus seine Weltpremiere. Reza Memari lebt mittlerweile in Berlin und schreibt an einer Zum Inhalt: Fortsetzung.
Wie entstand die Idee vom Spatzen Richard, der ein Storch sein will?
Das war vor zehn Jahren, so ein richtiger Alltagsmoment. Ich stand vor einem Fastfood-Restaurant und habe Spatzen gefüttert, was ich schon immer gerne getan habe. Es war Herbst und plötzlich flog ein Schwarm Gänse in dieser schönen V-Formation über mich hinweg, anscheinend Richtung Süden. Da habe ich Richard vor meinem geistigen Auge gesehen, der sagt: "Ich find’s nicht fair, dass ich nicht nach Afrika fliegen kann."
Für einen Vogel hat er einen ziemlich ungewöhnlichen Namen …
Ich wollte einen urtypischen deutschen Namen, der so weit wie möglich entfernt ist von einem Spatzen, damit er groß, fast königlich klingt, aber nicht zu einem so kleinen Vogel passt. Ich habe einen dramaturgischen Schlenker zu Richard Löwenherz gemacht und das Überbleibsel davon ist die Ritterstatue zu Beginn des Films.
Wie sehr haben Sie die realen Eigenschaften der Vogelarten interessiert, als Sie die Figuren entwickelt haben?
Ich habe zu Recherchezwecken mehrfach mit einem Ornithologen vom Max-Planck-Institut gesprochen. Der war sehr nett, hat mir allerdings gleich gesagt: "Ihre Geschichte wäre schon im ersten Akt zu Ende, weil die Störche das Spatzenküken sofort fressen würden." Als Biologe fand er es sehr amüsant, was ich mir da für eine Geschichte ausgedacht hatte …
... als Geschichtenerzähler hatten Sie damit aber offenbar kein Problem.
Es ist eben ein Animationsfilm für die ganze Familie. Diese besondere, gütige Mutter hat nun mal ein Herz für diesen Spatzen und nimmt ihn bei sich auf. Aber ich habe mich auch mit den Eigenschaften von Vögeln beschäftigt, um sie einzubauen. Selbst ein Film wie "Zoomania" , in dem die Tiere Anzüge tragen, Jobs haben und in einer Stadt leben, bedient sich der Eigenschaften, die man etwa den Füchsen – den klugen Füchsen – zuschreibt.
Hätten Sie Richards Geschichte auch mit Menschenfiguren erzählen können? Der kleine Spatz hat schließlich sehr menschliche Probleme.
Das Dazugehören-Wollen, das Sich-dem-Vater-beweisen-Wollen sind menschliche Probleme. Natürlich könnte man das auch mit Menschen erzählen. Ich sehe es aber als Stärke der Geschichte, dass damit etwas verhandelt wird und dass es nicht einfach nur darum geht, irgendeinen Bösewicht zu besiegen, wie das in vielen Animationsfilmen der Fall ist.
Wie würde Richard aussehen, wenn er ein Mensch wäre?
Das ist ja klar. Richard wäre dann ein iranischer Junge. Seine Geschichte hätte wahrscheinlich viele Ähnlichkeiten mit meiner. Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der Richard nach Afrika fliegen will, wollte ich in die Filmbranche gehen und Künstler werden. Die Storcheneltern ähneln zum Beispiel meinen Eltern. Mein Vater ist Industrieller und als ich ihm irgendwann gesagt habe, dass ich meinen Werdegang in der Werbe- und Marketingbranche verlassen möchte, um Filme zu machen, hat er mir das nicht zugetraut. Nachdem er den Film gesehen hat, gestand er, dass es ein Fehler gewesen sei, nicht an mich zu glauben.
"Überflieger" ist eine internationale Produktion. Wie funktioniert dabei die Zusammenarbeit?
Wir haben mit Studios in Belgien, Luxemburg und Norwegen zusammengearbeitet und haben die verschiedenen Aufgaben verteilt. Die Matte Paintings, also die Gemälde für die Hintergründe, wurden beispielsweise überwiegend in Belgien und Luxemburg angefertigt. Das sogenannte Modelling, also wenn die 2D-Skizzen am Computer in 3D-Figuren umgewandelt werden, fand hauptsächlich in Luxemburg statt. Die Animationen haben sich alle Studios geteilt, denn die kann man relativ gut auslagern. Jedes Team hatte einen Verantwortlichen, der unser Ansprechpartner war. Ich bin viel zu den einzelnen Studios gereist, während Regisseur Toby Genkel vor allem in Hamburg in unserer Zentrale gearbeitet hat.
Was ist für Sie das Besondere am Animationsfilm?
Egal ob in 2D oder 3D gedreht wurde, für mich ist Animationsfilm eine tolle Projektionsfläche, ein super Weg, um universelle Geschichten zu erzählen. Außerdem gefällt mir, dass das Genre auf besondere Weise Kinder anspricht.
Was möchten Sie Ihrem jungen Publikum mit "Überflieger" mitgeben?
Ich hoffe, dass wir mit unserem Film positive Werte vermitteln und die Welt – das hört sich ein wenig klischeemäßig an – vielleicht dadurch ein bisschen verbessern können. Ich möchte den Kindern zeigen, dass sie an sich glauben sollen und durchaus erreichen können, was sie wollen, wenn sie hart an ihrem Ziel arbeiten und nicht aufgeben. Es fängt an mit einem Wunschschloss, das man sich baut, mit einer Vision. Bei mir war es der kleine Spatz, der sagt: "Das ist nicht fair!"