Kategorie: Hintergrund
Mensch oder Maschine? Die Sozialisierung Alan Turings in "The Imitation Game"
Benedict Cumberbatch spielt Alan Turing als Menschen mit autistischen Zügen. Im Film muss Turing die Feinheiten der zwischenmenschlichen Kommunikation lernen.
"Bin ich eine Maschine? Bin ich ein Mensch? Ein Kriegsheld? Oder ein Krimineller?" fragt Benedict Cumberbatch in der Schlüsselszene von Zum externen Inhalt: The Imitation Game (öffnet im neuen Tab) sein Gegenüber. Die rhetorische Frage spielt auf den berühmten Turing-Test an, den der englische Mathematiker erstmals 1950 in seiner Schrift „Computing Machinery and Intelligence“ vorstellte. Sie rührt aber auch an einem wesentlichen Aspekt in der Darstellung Turings, da sie beiläufig eine Entwicklungsgeschichte formuliert, die Cumberbatch im Film auf seine unnachahmliche Weise nachvollzieht.
Menschliche Eigenschaften
Der Turing-Test war ein Experiment, um die "Intelligenz" von Maschinen zu bestimmen: Eine Testperson kommuniziert anonym mit einem Menschen und einem Computer und muss aufgrund der Antworten entscheiden, welche der beiden Gesprächspartner menschlich und welcher künstlich ist. Dass der Film im letzten Drittel diese Methode dramaturgisch aufgreift, indem er Alan Turing in eine Verhörsituation mit der Polizei versetzt, ist eine pointierte Zuspitzung des Drehbuchs. Denn Turings Wandlung zum (Kriegs-)Helden ist in "The Imitation Game" unmittelbar an die Frage gekoppelt, ob es Cumberbatch gelingt, seine Figur mit menschlichen Eigenschaften auszustatten, die Turing zu einem Sympathieträger machen. "Sie werden dir nicht helfen, wenn sie dich nicht mögen", erklärt Joan Clarke dem im sozialen Umgang hilflosen Turing, der sich in seiner Arbeitsgruppe wie ein Tyrann aufspielt.
Charakteristisches Rollenprofil
Benedict Cumberbatch hat in den vergangenen Jahren ein Faible für solche exzentrischen Figuren entwickelt. Sein Sherlock Holmes in der gleichnamigen BBC-Serie, der Übermensch Khan im Zum Inhalt: Science-Fiction- Zum Inhalt: Franchise "Star Trek: Into Darkness" und Julian Assange in Zum externen Inhalt: Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt (öffnet im neuen Tab) verbinden auffällige Charaktermerkmale: Sie alle sind auf einschüchternde Weise intelligent, herablassend bis arrogant gegenüber ihren Mitmenschen und im hohen Maße unempfänglich für soziale Codes, die jede zwischenmenschliche Kommunikation bestimmen. Zu diesem Rollenprofil passt Cumberbatchs äußeres Erscheinungsbild: Seine weichen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen verleihen ihm eine aristokratische Anmutung, die stets den Eindruck erweckt, er stünde ein wenig über den Dingen. Genie und Größenwahn liegen auch in seiner Darstellung Alan Turings dicht beieinander.
Der Turing-Test in Anwendung
So erzählt "The Imitation Game" zwei parallele Geschichten, die durch den Kommentar von Keira Knightleys Joan Clarke in einen unmittelbaren Zusammenhang gestellt werden: einerseits der Wettlauf gegen die Zeit und die Enigma-Maschine, andererseits die Sozialisierung des gesellschaftlich unverträglichen Turings. Diese Ausgangssituation führt zurück auf die Konstellation des Turing-Tests: mit Turing selbst als "Automaten", der die Kollegen und Joan von seinen menschlichen Qualitäten überzeugen muss. Denn nur, wenn es ihm gelingt, soziale Umgangsformen zu erlernen (beziehungsweise zu "imitieren"), kann er sein Team von seinem Plan überzeugen. Oder anders formuliert: Bevor Turing zum Kriegshelden avancieren kann, muss er zunächst "menschlich" werden.
Soziale Codes
Die Darstellung Turings als Menschen mit autistischen Zügen, wie es "The Imitation Game" mehrfach andeutet, ist unter Historikern umstritten, passt aber zu Cumberbatchs unterkühlter Star-Persona, mit der der Film auf humorvolle Weise spielt. Denn die Besetzung Turings ist ein "Type-Casting": Es entspricht exakt Cumberbatchs Rollenprofil, gegen das er im Verlauf des Films durchaus selbstironisch anspielt. Turings Defizite im Umgang mit sozialen Codes werden besonders deutlich in der Szene, in der seine Mitarbeiter ihn darüber informieren, dass sie eine Mittagspause einlegen werden – womit eine implizite Einladung ausgesprochen ist, die Turing jedoch nicht versteht. Seine höflichen Antworten werden stattdessen als Affront verstanden. Der kurze Dialog ist ein schönes Beispiel für eine Kommunikationsstörung. In einer Rückblende beschreibt Turing Christopher einmal seine Frustrationen mit der Sprache, womit er nebenbei auch das Wesen der Kryptografie erfasst: "Die Leute sagen nie, was sie meinen. Aber sie erwarten, dass man sie versteht." Was Turing zum Verständnis fehlt, ist der Schlüssel: eine kulturelle und soziale Prägung, die in jeder Kommunikation essenziell ist.
Hier erweist sich Joan als gute Lehrmeisterin, denn sie ist schon aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse gezwungen, zwischenmenschliche Verhaltensformen zu durchblicken und notfalls auch zum persönlichen Vorteil einzusetzen: "Eine Frau in einem Männerjob kann es sich nicht leisten, sich wie ein Arsch zu benehmen", erklärt sie auf ihre pragmatische Art und schlägt Turing vor, eine Geste der Annäherung zu zeigen. Doch sein Versuch, die Freundschaft und das Vertrauen seiner Kollegen zu gewinnen, führt gleich zur nächsten komischen Situation, die Turings Schwäche auf sympathische Weise vorführt. Am folgenden Tag schenkt er jedem Mitarbeiter einen Apfel, nicht ohne seinen Hintergedanken zu erklären. Dass die Geste eines Geschenks in sich bereits einen sozialen Code darstellt, den seine Kollegen auch ohne Erklärung verstehen, kommt ihm nicht in den Sinn. Turing wiederum verfügt über seine eigene Sprache, die Joan erst übersetzen muss. "Eigentlich keine so restlos dumme Idee", lobt er einen Vorschlag Hugh Alexanders, der die Entschlüsselung des Nazi-Codes um ein Vielfaches beschleunigen würde. "Ich glaube, das hieß in seiner Sprache ‚Danke‘", erklärt Joan dem amüsierten Kollegen.
Die allmähliche Verwandlung Turings führt schließlich dazu, dass sein anfänglicher Rivale Hugh Alexander und das restliche Team ihm zur Seite stehen, als ihre Vorgesetzten drohen, die Entschlüsselungsmaschine abzuschalten. Turing hat den Turing-Test bestanden, er konnte die Kollegen von seiner menschlichen Seite überzeugen. Mehr noch: Er hat eine zutiefst menschliche Eigenart erlernt, die kein Automat mit einer maschinellen Logik je imitieren könnte. Er lügt. Um Joan eine bittere Enttäuschung zu ersparen, gibt er vor, keine Gefühle, nicht einmal freundschaftliche, für sie zu empfinden. Turing wählt die Einsamkeit. Die Einsamkeit eines passionierten Langstreckenläufers.