Kategorie: Hintergrund
Das Türmotiv in "Suzume"
Türen sind von zentraler Bedeutung in "Suzume" . Der Hintergrund analysiert ihre Symbolik.
Im Shinkais Makoto Zum Inhalt: Anime Zum Inhalt: Suzume ("Suzume no Tojimari" , JP 2022) markieren Türen den Übergang von der gegenwärtigen Welt in eine spirituelle Sphäre. Das Türmotiv greift die Symbolik der Torii auf, einem zentralen Element der Shinto-Architektur. Um das einordnen zu können, benötigt es etwas Hintergrundwissen.
Neben dem Buddhismus ist der Shintoismus die dominierende Religionsform in Japan. Weil die Shinto-Riten nur mündlich tradiert sind und es eine lange Koexistenz mit buddhistischen Traditionen gibt, ist die polytheistische Urreligion nicht klar definierbar. Als prägendes Merkmal des Shintoismus dient auch deshalb die markante Architektur der zehntausenden Schreine und Tempel zur Verehrung der vielen Gottheiten ("kami"). Das wesentliche Erkennungszeichen der Heiligtümer sind die Torii genannten Eingangsportale, die bisweilen auch als Symbol für die gesamte traditionelle Kultur Japans stehen. Die Schreintore versinnbildlichen den Übergang von der profanen menschlichen Welt in die spirituelle Sphäre und grenzen innerhalb der Stätten unterschiedlich heilige Areale voneinander ab. Ein zweites architektonisches Mittel zur Unterteilung der Areale, das mit Blick auf "Suzume" ebenfalls relevant ist, sind Brücken. Das Wasser gilt als reinigendes Element, weshalb vor den inneren Bereichen der Schreine Wasserbecken zur symbolischen Reinigung aufgestellt sind.
Die einfache Grundform der meist frei stehenden Torii besteht aus zwei vertikalen Pfeilern, die oben ein doppelter Querbalken abschließt. Auf dieser Basis sind Varianten entstanden, bei denen die Balken beispielsweise geschwungen sind. Das typische Baumaterial ist Holz, es gibt aber auch Torii aus Stein, Bronze, Stahl oder Beton. In der Regel sind die Tore in Zinnoberrot lackiert. Auch das ist symbolisch zu verstehen: Die Farbe Rot repräsentiert in Japan die Sonne, zudem wird ihr eine heilende Kraft nachgesagt.
Torii-Tore im Film
Torii werden oft in Kunstwerken dargestellt, auch im Kino. So taucht etwa das Monster Ghidorah aus dem Godzilla-Film "Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah" ("San Daikaijū: Chikyū Saidai no Kessen" , Honda Ishirō, JP 1964) hinter einem Torii auf. Durch den Rahmen gefilmt erscheint das Wesen als zerstörerische Kraft aus der Dimension jenseits der Shinto-Tore – und ähnelt damit sehr dem "Wurm" aus "Suzume" . Neben solchen direkten Referenzen gibt es verschlüsselte Darstellungen von Torii. Ein Beispiel dafür ist der rote Tunnel aus "Chihiros Reise ins Zauberland" ("Sen to Chihiro no Kamikakushi" , Miyazaki Hayao, JP 2001), dessen Zum Inhalt: Farbgebung und Funktion als Portal auf die shintoistische Symbolik anspielt. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Türen aus "Suzume" .
Der Anime etabliert die Türen als Schwellen in eine Sphäre, in der alle Zeiten gleichzeitig existieren und die Seelen der Toten ruhen. Die Übergangsfunktion in eine spirituelle Welt stimmt mit der Torii-Symbolik überein, reicht für sich genommen aber nicht aus, um einen eindeutigen Bezug herzustellen. Schließlich dienen Türen in der Kunst häufig als Übergänge in andere Welten, etwa in den diversen Zum Inhalt: Adaptionen von Lewis Carrolls Kinderbuch Alice im Wunderland (Alice's Adventures in Wonderland, 1865) oder in dem Hollywood-Klassiker "Der Zauberer von Oz" ("The Wizard of Oz" , Victor Fleming, USA 1939), wo eine Tür von der sepiafarbenen Realität in eine - in Zum externen Inhalt: Technicolor (öffnet im neuen Tab) gefilmte - bunte Parallelwelt führt. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Türen aus Suzume und den Torii gehen jedoch über die Funktion als Portal hinaus. Wie die Tempel und Schreine des Shintoismus sind die Türen im Film über ganz Japan verteilt. Und im Schlüsselmoment zu Beginn, als Suzume erstmals eine davon entdeckt, klingen noch weitere Bezüge auf die shintoistische Tradition an.
Analyse der Exposition: Suzume öffnet die Tür
Die Zum Inhalt: Sequenz spielt in einem verlassenen Badehauskomplex. Die erste Zum Inhalt: Einstellung zeigt Suzume vor einer Übersichtskarte des Geländes. Die Schülerin überspringt ein "Betreten verboten"-Schild und gelangt durch ein Waldstück auf eine Anhöhe, von der aus die Häuser von der Karte zu sehen sind. Es folgt die Naheinstellung (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) eines Rohrs, aus dem Wasser fließt, was als Anklang an die reinigende Bedeutung von Wasser in Shinto-Heiligtümern gedeutet werden kann. Kaputte Fassaden und zerschlissene rote Lampions etablieren den Schauplatz. Eine Brücke führt Suzume in das Innere einer Ruine, weitere Brücken werden bei der Reise durch Japan überquert. Das Motiv kann ebenfalls als Verweis auf die Shinto-Architektur verstanden werden.
Suzume erblickt die mysteriöse Holztür von der Türschwelle der Ruine aus, eine Kamerafahrt von rechts nach links (Glossar.: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) rückt diese auch für das Publikum ins Bild. Wie ein Torii steht das Türportal frei im Raum. Die Lage im Wasser erinnert an das berühmte "schwimmende Torii" auf der Insel Miyajima oder das im Uferwasser des Ashi-Sees (siehe oben). Neben der Tür liegt ein Haufen Backsteine, was an die typischerweise rote Farbe der Torii denken lässt.
Suzume setzt einen Fuß ins Wasser, schreitet auf die Tür zu und öffnet sie. Auf ein Close-up der Augen folgt ein Zoom über Suzumes Rücken und wir erhaschen einen kurzen Blick auf das Jenseits hinter dem Portal. Der Sternenhimmel ist derselbe wie in dem Traum, aus dem Suzume am Anfang des Films erwacht. Der Versuch, die Welt hinter der Tür zu betreten, misslingt – filmisch ist das als Umschnitt (Glossar: Zum Inhalt: Montage) mitten in der Bewegung umgesetzt. Die Kamera wirbelt um Suzume herum, was ihr Erstaunen und die Desorientierung betont. Neben der Tür entdeckt die Teenagerin einen Schließstein, der sich nach dem Aufheben in eine Katze verwandelt. Auch das verweist auf den Shintoismus, in dem Katzen als heilige Geistwesen, sogenannte Nekogami, verehrt werden.
Am Ende der Zum Inhalt: Sequenz läuft Suzume erschrocken davon. Als bald darauf eine zerstörerische Kraft aus der Tür in die gegenwärtige Welt dringt, kehrt sie zurück. In einer mitreißenden Sequenz hilft sie Sōta, das Portal zu schließen, was in letzter Sekunde ein Erdbeben verhindert.
Erst nach gut dreizehn Minuten Laufzeit wird dann der Filmtitel eingeblendet, dessen direkter japanischer Wortlaut das Türmotiv aufgreift: "Suzume schließt die Tür". Von den folgenden vier Türen, die Suzume und Sōta aufsuchen, steht erst die letzte wieder so frei wie ein Torii. Zwei andere sind aus Glas. Durch die einprägsame Einführung des Türmotivs erscheinen aber alle im Film gezeigten Portale als klare Referenzen an die shintoistische Symbolik.