Kategorie: Podcast
"Ich glaube, die größte Veränderung ist, dass nun gesprochen wird"
Welche Herausforderungen entstehen, wenn man eine reale Geschichte für das Kino inszeniert? Und wie geht man dabei mit dem Thema der sexuellen Gewalt um? Maria Schrader spricht mit kinofenster.de darüber in unserem Podcast.
Maria Schrader ist als Schauspielerin in Filmen wie "Aimée & Jaguar" (Max Färberböck, DE 1999) oder Zum Filmarchiv: "Rosenstraße" (Margarete von Trotta, DE/NL 2003) bekannt geworden. Bei der Romanverfilmung "Liebesleben" (D/ISR 2007) führte sie erstmals Zum Inhalt: Regie und war auch für das Zum Inhalt: Drehbuch mitverantwortlich. Seitdem hat sie das Stefan Zweig- Zum Inhalt: Biopic Zum Filmarchiv: "Vor der Morgenröte" (DE/FR/AT 2016), die Emmy-prämierte Netflix-Serie Zum Filmarchiv: "Unorthodox" (DE/USA 2020) und das mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Drama "Ich bin dein Mensch" (DE 2021) realisiert. Zum Filmarchiv: "She Said" ist das Hollywood-Debüt der Regisseurin.
Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.
kinofenster.de: Hallo und herzlich willkommen zum Podcast von kinofenster.de über den Film "She Said" von Maria Schrader – ein Film über den Entstehungsprozess des Artikels der beiden Investigativ-Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey der New York Times, der den jahrelangen Missbrauch von Frauen durch den Filmproduzenten Harvey Weinstein aufdeckte. Mein Name ist Anna Wollner und bei mir ist Maria Schrader, die Regisseurin des Films. Schön, dass Sie da sind. Was ist für Sie als Regisseurin in der Zum Inhalt: Inszenierung einer wahren Geschichte die Herausforderung?
Maria Schrader: Man spürt Verantwortung, natürlich. Jede Figur, die in diesem Film vorkommt, ist eine lebende Person. Die New York Times hat das allererste Mal ihre Redaktionsräume (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set geöffnet, damit ein Zum Inhalt: Spielfilm da gedreht werden kann. Die beiden Journalistinnen haben uns erlaubt, auch private Seiten ihres Lebens mit in den Film zu integrieren. Und – und das ist mir besonders wichtig – die wenigen Frauen, die damals den Mut hatten, für sie auszusagen und ihre traumatischen eigenen Erlebnisse zu erzählen, haben auch uns erlaubt, diese Geschichten zu erzählen. Und natürlich will man das auf eine Weise machen, dass sich alle diese Personen wahrheitsgetreu repräsentiert fühlen.
kinofenster.de: Im Film tauchen auch Schauspielerinnen auf, die tatsächlich von Weinstein sexuell missbraucht worden sind. Es gibt unter anderem ein Telefonat mit Gwyneth Paltrow. Am präsentesten ist wohl Ashley Judd. Wie war die Zusammenarbeit mit den Schauspielerinnen?
Maria Schrader: All diese betroffenen Personen sind eingeladen worden, sich an dem Film zu beteiligen, auch die Survivor. Und natürlich hat die Zum Inhalt: Filmproduktion, haben wir alle entschieden, wie sich auch die einzelnen Individuen dann entschieden haben, ob sie daran beteiligt sein möchten. Bis zu welchem Grad? Und Ashley Judd zum Beispiel hat gesagt, sie möchte gerne ihre Geschichte selbst erzählen. Und das ist natürlich ein besonders starker Moment in dem Film.
kinofenster.de: War die Zusammenarbeit mit Ashley Judd dann noch mal eine andere als mit den Schauspielerinnen Zoe Kazan und Cary Mulligan, die die beiden Journalistinnen spielen?
Maria Schrader: Auf jeden Fall, es war anders mit Ashley Judd. Und was natürlich aus meiner Perspektive so besonders ist, ist, dass man ja eine Verabredung zwischen Film und Publikum bricht. Es ist ein Spielfilm. Man ist daran gewöhnt, dass Schauspieler Rollen spielen und plötzlich ist die wahre Person da. Als Regisseurin gehe ich damit natürlich anders um, weil das eine wunderbare Möglichkeit ist, sowohl für sie wie auch für uns, zu erleben: Okay, Ashley Judd entscheidet, wie sie Ashley Judd spielt und Ashley Judd entscheidet, wie sie mit welchen Worten diese Geschichte erzählt, weil es ihre Geschichte ist. So haben wir auch miteinander gearbeitet. Ich habe ihr dann gesagt, wie ich das auflösen möchte. Also, Auflösung heißt, wo man die Kamera hinstellt, in welchen Bildern ich das filmen möchte und ich habe ihr gesagt: Die Bühne ist deine und du machst das, was du möchtest. Und dann, weil sie ja Schauspielerin ist, wurde es doch eine Zusammenarbeit und es war ein wunderbarer Tag und sie ist eine wirklich sehr beeindruckende Person.
kinofenster.de: Der Film zeichnet vor allem die Recherchen nach, die Gespräche mit den Opfern. Harvey Weinstein wird nur einmal von hinten gezeigt. Die sexuellen und gewalttätigen Übergriffe werden nur beschrieben. Warum die Entscheidung, das nicht zu zeigen?
Maria Schrader: Ich glaube, wir haben genug Vergewaltigungsszenen gesehen. Genug Gewalt. Ich wüsste gar nicht, was ich mit solchen Abbildern Neues erzählen kann. Ich glaube, es ist sehr interessant, nachdem wir uns so lange und immer wieder um die Täter gekümmert haben und um die Faszination von Tätern, jene Stimmen zu hören, und zwar in voller Länge, die ihre eigenen Geschichten erzählen. Und ich glaube, dass auch Bilder in den eigenen Köpfen entstehen und dass es vielleicht einen sogar stärkeren Eindruck macht.
kinofenster.de: Auch wenn Sie als Europäerin sicherlich noch einen Blick von außen haben – was hat sich in der US-Filmindustrie geändert seit Veröffentlichung der Berichte und der Verurteilung von Harvey Weinstein?
Maria Schrader: Es hat sich viel getan und es hat sich gleichzeitig wenig getan. Ich glaube, das gilt für alle Industrien oder an allen Arbeitsplätzen. Was Weinstein getan hat, das wissen wir alle, findet Wiederholung in ganz anderen Arbeitswelten und auch in anderen Ländern. Ich glaube, die größte Entwicklung, die größte Veränderung ist, dass nun gesprochen wird, dass es eine andere Wahrnehmung gibt, dass wir, glaube ich, alle aufmerksamer geworden sind, dass Stimmen nicht einfach vom Tisch gewischt werden können. Und auch in großen Unternehmen, sagen wir mal, sind unabhängige Stellen eingerichtet worden, an die man sich wenden kann.
kinofenster.de: Frau Schrader, vielen Dank für das Gespräch.