Kategorie: Interview
"Schimpansen in freier Wildbahn verhalten sich so."
Ein Gespräch mit Christophe Boesch, wissenschaftlicher Hauptberater des Films Schimpansen, über Menschenaffen in freier Wildbahn und ihre Darstellung im Film.
Ein Gespräch mit Christophe Boesch, wissenschaftlicher Hauptberater des Films "Schimpansen" , über Menschenaffen in freier Wildbahn und ihre Darstellung im Film.
Christophe Boesch ist Biologe und Verhaltensforscher. Seit 1976 erforscht er das Verhalten und die Lebensumstände der Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Republik Elfenbeinküste mit dem Ziel, die Evolution des Menschen – insbesondere das Entstehen von dessen kognitiven und kulturellen Fähigkeiten – besser zu verstehen. Mit seiner Stiftung "Wild Chimpanzee Foundation" engagiert er sich für weitreichende Schutzmaßnahmen für die bedrohten Schimpansen der Elfenbeinküste. Seit 1997 ist er Direktor der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und seit 1999 Honorarprofessor am Institut für Zoologie der Universität Leipzig. Er war der wissenschaftliche Hauptberater des Filmteams von Zum Filmarchiv: "Schimpansen" (Chimpanzee, Alastair Fothergill, Mark Linfield, USA 2012).
Im Film "Schimpansen" wirkt der Taï-Nationalpark wie ein Paradies. Ist dieses Reservat so unberührt wie es im Film erscheint?
Der Taï-Forest ist ein geschützter Nationalpark, der auch für Touristen unzugänglich ist. Leider ist der Druck auf die Regenwälder in Afrika sehr groß. Das liegt vor allem am Klimawandel, der in vielen Regionen Afrikas zu extremem Wassermangel geführt hat. Daher sehen die dort ansässigen Menschen oft keine andere Möglichkeit zum Überleben, als in die tropischen Regenwaldgebiete zu migrieren, um dort Plantagen anzulegen und durch den Verkauf des Holzes Geld zu verdienen. Heute ist der Taï-Nationalpark eine Waldinsel inmitten von Plantagen. Die Menschen rücken immer weiter in den Regenwald vor und die Schimpansen sind durch diese Entwicklung natürlich stark bedroht, denn sie brauchen Raum zum Überleben. Ich hoffe, dass der Film das Bewusstsein für die dramatische Lage der Schimpansen schärft und wir mehr Mittel bekommen, um sie zu schützen.
Man sieht im Film sehr deutlich, wie ähnlich Schimpansen uns Menschen sind. Wie nah kann ein Mensch diesen Tieren überhaupt kommen?
Wenn man in den Regenwald kommt, ist es die erste Enttäuschung, dass man die Schimpansen vielleicht hört, aber nie sieht. Für einen Schimpansen ist der Mensch ein Feind, sobald sie ihn hören, sind sie weg. Die ersten zwei Monate, die ich in diesem Wald verbrachte, habe ich höchstens Spuren von Schimpansen gesehen. Und um sie zu beobachten oder zu filmen, müssen die Tiere diese natürliche Angst gegenüber den Menschen überwinden – man muss ihr Vertrauen gewinnen und das ist generell schwierig, bei allen Tieren. Bei den Schimpansen hat es fünf Jahre gedauert. Und selbst heute nähern wir uns nie mehr als bis auf sieben Meter an, um auf gar keinen Fall Druck auf die Tiere auszuüben. Denn wir wollen ja die natürliche Interaktion zwischen den Tieren beobachten und nicht ihre Reaktion auf sozialen Stress. Und um ganz ehrlich zu sein: Sie als Kino-Zuschauer können einen viel intimeren Blick auf die Tiere haben als wir, denn die Kamera schluckt natürlich die sieben Meter Distanz und bringt den Betrachter ganz nah ran. Das hat auch für uns eine ganz neue Perspektive auf die Tiere eröffnet.
Die Hauptfigur des Films ist der kleine Oskar, der nach dem Verlust der Mutter vom Anführer seiner Gruppe adoptiert wird. Für männliche Schimpansen ist das ein sehr ungewöhnliches Verhalten. Um ehrlich zu sein: Diese Geschichte klingt schon etwas unglaubwürdig.
Alle Verhaltensweisen, die Sie in diesem Film sehen, sind echt. So verhalten sich Schimpansen in freier Wildbahn.
Gilt das auch für die Rivalität zwischen den beiden Schimpansen-Gruppen? Im Film wird aus der natürlichen Konkurrenz um Nahrungsmittel ein dramatischer "Grenzkonflikt" und die Tiere werden in Gut und Böse eingeteilt. Mir ging das deutlich zu weit.
Ich kann Ihre Kritik verstehen. Aber uns war von Anfang an klar, dass eben nur Disney die finanziellen Mittel für so einen aufwändigen Film hat. Und natürlich hat Disney eine bestimmte Zielgruppe im Visier und erzählt den Film dementsprechend. Allerdings sind Schimpansen tatsächlich sehr aggressiv gegenüber Eindringlingen und es finden regelmäßig Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen statt. Natürlich gibt es dabei nicht "die Guten" und "die Bösen", sondern es handelt sich um ganz normale Konkurrenz um Nahrung, um Lebensraum und um die Weibchen. Aber auch in der Primatologie sprechen wir diesbezüglich tatsächlich vom "Krieg". Diese regelmäßigen und gezielten Aggressionen haben viel Ähnlichkeit mit dem, was wir beim Menschen beobachten können. Trotzdem würden wir als Wissenschaftler bei Schimpansen und ihrem natürlichen Konkurrenzverhalten niemals von Gut und Böse sprechen.
Wie bewerten Sie grundsätzlich die Tendenz des Films, das Verhalten der Tiere zu vermenschlichen?
Wenn Oskar versucht, Nüsse zu knacken, möchte man ihm als Zuschauer sagen, er möge auf seinen Fuß achten, den er zu nah am Hammer hat. Das resultiert daraus, dass Nüsse knacken solch ein "menschliches Verhalten" ist. Da bedarf es weder Zum Inhalt: Worte noch Zum Inhalt: Musik, es ist einfach ein Verhalten, das dem ähnelt, was wir Menschen auch an den Tag legen. Aus diesem Grund ist diese Vermenschlichung teilweise einfach das Resultat der evolutionären Nähe der Schimpansen zu uns. Ich denke, dass viele Zuschauer das fühlen werden und merken, wie wichtig und real das ist.
Der Film wurde nicht nur im Taï-Forest gedreht, sondern auch in Uganda.
Genau. Das sind die Szenen, in denen die rivalisierende Gruppe zu sehen ist. Der Grund dafür ist einfach: Man kann nur mit Affen drehen, die an Menschen gewöhnt sind. Im Taï-Forest gab es keine zweite Gruppe, bei der das der Fall war. Deswegen hat das Filmteam für diese Aufnahmen auf eine berühmte Schimpansen-Gruppe aus Uganda zurückgegriffen, die ebenfalls an die Gegenwart von Menschen gewöhnt war. Jedes Bild, das die Rivalen um den Anführer Scar betrifft, wurde in Uganda gefilmt.
Den Grenzkonflikt zwischen den beiden Gruppen hat es so, wie er im Film erzählt wird, also nicht gegeben?
Nein, so direkt haben sich die Gruppen nicht getroffen, allerdings sind solche Konflikte tatsächlich an der Tagesordnung, man bekommt sie nur selten zu sehen. Man muss die beiden verschiedenen Aufnahmen einfach zusammen denken.
Heißt das, dass der rote Faden, der den Film spannend macht, zum Teil konstruiert ist?
Der Film erzählt eine Geschichte und um die spannend zu vermitteln, muss man eben ein bisschen Zum Inhalt: schneiden. Das gilt beim Tierfilm aber generell. Haben Sie sich schon mal überlegt, wie man zum Beispiel so eine Jagd der Affen im Urwald filmen kann? Da werden auch ganz unterschiedliche Jagdszenen zusammengeschnitten, anders geht es gar nicht. Natürlich wird eine Geschichte erzählt, aber eine Geschichte, die auf realen Verhaltensweisen beruht. Das war ja auch mein Job, sicherzustellen, dass das biologisch alles seine Richtigkeit hat.
Gibt es den Affen Oskar aus dem Film wirklich?
Es gibt einen Unterschied zwischen dem "Disney-Oskar", der eben dieser Charakter im Film ist, und dem Oskar im Wald. Der adoptierte Affe heißt bei uns in der Forschungsstation Viktor. Viktor klingt im Englischen aber nach einem altem Mann und deswegen haben die Disney-Leute aus Viktor Oskar gemacht.
Und der Oskar, den wir aus dem Film kennen, also eigentlich Viktor, der ist gestorben?
Ja. Sieben Monate nach der Adoption ist er verschwunden. Das passiert leider oft im Wald. Wir können die Todesursache nur ahnen. Wir wissen aber, dass es nicht an Freddy lag. Die Adoption an sich hat gut funktioniert.
Der Film weist nicht darauf hin. Warum hat man sich für diesen Weg entschieden?
Disney möchte mit diesem Kinofilm eine Geschichte erzählen, die gezielt für junge Zuschauer ist und aus Tradition ein Happy End braucht. Disney möchte keinen wissenschaftlichen Film machen. Wir nehmen also eine Geschichte die wahr ist, rekonstruieren sie und haben entsprechend am Ende die Disney-Norm: einen Tierfilm mit Happy End.
Luc-Carolin Ziemann hat für kinofenster.de im April 2013 mit Professor Christophe Boesch gesprochen. Anfang Mai berichtete er dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom Tod des adoptierten Schimpansen - eine Information, die zuvor zurückgehalten worden war. kinofenster.de hat noch einmal mit dem Primatenforscher gesprochen, um zuvor entstandene Unklarheiten in Bezug auf die Identität des Affen Oskar zu beseitigen.
Weiterführende Links
- External Link Max-Planck-Gesellschaft: Abteilung Primatologie (engl.)
- External Link Website der Wild Chimpanzee Foundation-Germany e.V.
- External Link Max-Planck-Gesellschaft: Schimpansen – Der Film. Die Forschung hinter den Kulissen
- External Link Manifesto for Apes and Nature
- External Link Jane Goodall Institut - Germany
- External Link OroVerde - Die Tropenwaldstiftung (mit Arbeitsmaterialien)