Was war die größte Herausforderung bei der Synchronisation von Zum Filmarchiv: "Precious?"

Man begibt sich mit einem Projekt wie Zum Filmarchiv: "Precious" immer auf eine Reise, wo man erst einmal im Nebel stochert. Die Richtung schält sich erst im Laufe der Bearbeitung heraus. Unser Hauptproblem war das Black American, das im Film gesprochen wird und einen ganz eigenen Rhythmus besitzt. Wir haben lange überlegt, wie wir da rangehen können. Schließlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir dem Black American gar nicht so sehr "hinterher hecheln", sondern versuchen, der Synchronisation eine eigene Authentizität zu geben. Black American existiert einfach so nicht in unseren Kulturkreis. Aber es gibt ähnliche Milieus. Wir haben also versucht, eine Sprache zu treffen, wie man sie beispielsweise in Berlin-Neukölln auf der Straße hört. Wir haben dann auch mit Sozialarbeitern gesprochen, die uns bestätigten, dass die Sprache echt klingt.

Für Precious und ihre Mutter Mary haben Sie bewusst afrodeutsche Schauspielerinnen gecastet. Warum?

Das war die Gelegenheit das Black American reinzuholen. Wir haben tatsächlich festgestellt, dass es hörbar ist, wenn wir mit afrodeutschen Schauspielerinnen arbeiten. Die Stimmen funktionieren anders, sie haben einen anderen Boden, ein anderes Timbre. Wenn Mary, die unglaublich intensiv ist, ihre Hasstiraden loslässt, dann liegt darin auch ein gewisser Rhythmus, eine Musikalität. Es ist fast wie ein Rap. Das macht ihr Gebrülle irgendwie erträglich. Und diese Musikalität in der Sprache bringen schwarze Schauspieler besser rüber. Es sind vielleicht nur Nuancen, aber der Ton bleibt geschmeidiger. Es ist schwer zu erklären, aber wenn man es hört, weiß man, dass es stimmt.

Sie verzichten also auf jeglichen Akzent und setzen auf die Sprachfärbung und einen bestimmten Sprachstil?

Richtig. Die Schauspieler sprechen auch im Original akzentfrei. Precious kommt aus Black Harlem, ihre Mitschülerin Consuela beispielsweise aus Spanish Harlem. Da gibt es gewisse Unterschiede, die jedoch keinen Akzent ausmachen. Nur Rhonda spricht mit jamaikanischem Akzent und wird deswegen im Film auch kritisiert. Insofern wollten wir für sie von Anfang an eine Jamaikanerin. Die Situation im Klassenraum ist überhaupt sehr interessant für die Synchronisation. Es gibt, wie gesagt, bei uns kein Black Harlem und wir können diese Vielfalt an Sprachfärbungen nicht Eins zu Eins übertragen. Aber die Figuren an sich sind so schillernd, dass wir versucht haben, Unterschiedlichkeiten innerhalb der Charaktere stärker herauszuarbeiten – allerdings nicht durch einen Akzent.

Wie haben Sie die zahllosen Kraftausdrücke im Original ins Deutsche übertragen?

Natürlich haben wir versucht, dem zu entsprechen, auch mit derben Ausdrücken. Denn sie werden im Film ganz bewusst gewählt, um zu verletzen. Wir haben es aber in einen für uns authentischen deutschen Kontext gebracht. Es spielt ja auch in den 80er-Jahren, das muss man natürlich auch berücksichtigen, obwohl der Film gleichzeitig sehr "heutig" ist. Wir benutzen Worte wie "fuck" oder "bitch", die mittlerweile in den deutschen Sprachgebrauch eingeflossen sind. Was hier nicht so üblich ist – das pausenlose "motherfucker" von Mary – darauf haben wir verzichtet. Dafür benutzen wir eher Worte wie "Scheiße" und "verdammt".

Bei der Synchronisation scheiden sich die Geister: Für die einen ist es Verfälschung des Originals, andere schätzen sie als Service. Sitzt man als Synchronregisseur zwischen zwei Stühlen?

Ich kann nicht leugnen, dass ich immer wieder vor Situationen stehe, wo ich sage, wir müssen einen würdevollen Weg finden, diesen Film auf Deutsch zu bearbeiten [lacht]. Zum Filmarchiv: "Precious" ist auch so ein Fall: Man sitzt erstmal davor und sagt, Mensch Leute, wollt ihr den nicht einfach untertiteln? Denn es ist klar, dass ich dieses Black American nicht so rüberkriege. Ich muss den Film im Bearbeiten verändern, manche werde sagen deformieren [lacht]. Ich habe also vollstes Verständnis wenn jemand sagt, einen solchen Film sollte man lieber im Original sehen. Aber in Deutschland wird nun einmal synchronisiert. Ein großer Teil des Publikums ist auch darauf angewiesen. In Zum Filmarchiv: "Precious" versteht man im Original kaum, was gesagt wird.

Dafür gibt es ja Untertitel!

Aber bei aller Authentizität, die erhalten wird, verliert man dadurch einiges. Untertitel müssen verdichten, denn sie lenken auch etwas vom Bild ab. Ich kann, wie gesagt, verstehen, dass die Synchronisation kritisiert wird. Wenn man es dann aber trotzdem angeht, dann sollte man es gut machen. Aber die Krux ist klar – bei allem Gelingen werden wir den Film ein Stückweit verändern. Dem kann ich nicht widersprechen.