Tia Kratter arbeitet seit 1993 bei den Pixar Animation Studios und hat als Digital CGI Painter an Pixars erstem Langfilm "Toy Story" (John Lasseter, USA 1995) mitgewirkt. Heute ist sie dort als Shading Art Director tätig. Für Zum Filmarchiv: "Merida – Legende der Highlands" (Brave, Brenda Chapman, Mark Andrews, Steve Purcell, USA 2012) hat sie gemeinsam mit ihrem Team in jahrelanger Recherche und mit viel Ausprobieren ein mittelalterliches Schottland animiert und zum Leben erweckt.

Frau Kratter, was genau macht ein "Shading Art Director"?

Wir sind für die Formen und das Aussehen aller Gegenstände und Umgebungen im Film zuständig, für jedes noch so kleine Detail. Der Set Art Director zum Beispiel kümmert sich um die "groben" Sachen wie etwa die Burg. Als Shading Art Director bin ich die Schnittstelle zwischen den entworfenen Modellen und den Zum Inhalt: Farben und Oberflächen. Ich darf bestimmen, wie es am Ende aussieht.

Zum Filmarchiv: "Merida – Legende der Highlands" beeindruckt vor allem auch mit seinen Landschaftsbildern und der visuellen Detailverliebtheit. Wie haben sie sich Schottland angenähert?

Recherchereise in Schottland 2006

Disney/Pixar, Katherine Sarafian

Wir sind nach Schottland gefahren und haben die Landschaft dort in uns aufgesogen. Man muss die Dinge, die man am Computer nachbilden will, selbst anfassen, um dafür ein Gefühl zu bekommen. Wir haben uns in den Highlands auf den Boden gelegt, in dieses hochgewachsene, dichte Gras und haben uns inspirieren lassen. Es gibt die unterschiedlichsten Pflanzen und Gräser. Selbst jeder Stein fühlt sich anders an. Wir haben unendlich viele Fotos gemacht und die dann mit unseren gebastelten Modellen von Schottland zusammengeführt. Unsere Animatoren sind umgefallen. Sie dachten, das Gras solle im Film wie auf einem Golfplatz aussehen. Möglichst gerade und akkurat geschnitten. Jetzt ist es genau das Gegenteil: chaotisch, unregelmäßig, durcheinander. Wie die ganze Welt in Merida. Das Problem: Computer können nur gerade rechnen.

Da haben die Animatoren bei Meridas Frisur sicher die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen?

Sie sind am Anfang fast verzweifelt. Wir wollten kein perfektes, glattes Haar für unsere Prinzessin. Es sollte asymmetrisch und dynamisch sein. Keine Locke gleicht der anderen. Ihr Haar steht für ihren Charakter: unabhängig, wild – sie ist eine kleine Rebellin. Weil man das schon an ihrer Frisur erkennt, mussten wir es im Film nicht erzählen.

Welche Tricks gibt es, um den Animatoren ihre Arbeit zu erleichtern?

Echte Referenzen. Etwas, was man in der Hand halten, drehen, von allen Seiten betrachten kann, ist viel mehr wert als hundert Fotos. Bei unserem ersten Besuch in Schottland habe ich sämtliche Läden mit Stoffen leer gekauft. Ich wollte ein Gefühl für das typische Schottenmuster bekommen, ein Gefühl für Schottenröcke. Aber da gibt es natürlich ein Problem: Die Stoffe heute sind perfekt. Es gibt keine Aussetzer, keine Versatzstücke. Im 11. Jahrhundert waren die Stoffe viel grober.

Was haben Sie gemacht?

Ich bin auf den Pixar-Parkplatz gegangen und habe die Stoffe auf den Boden geschlagen. Immer und immer wieder. Ich habe Löcher reingeschnitten, sie durch den Dreck gezogen, die Ecken angezündet. Erst als sie so richtig ramponiert waren, habe ich sie dem Animatorenteam übergeben. Die Stoffe sollten glaubwürdig aussehen.

Glaubwürdigkeit spielt in Ihren Filmen eine große Rolle. Allerdings regnet es gar nicht so viel in Meridas Schottland wie man sich das im Allgemeinen vorstellt. Eine ästhetische oder eine technische Entscheidung?

Disney/Pixar

Definitiv keine technische. Aber man muss genau hingucken. An einigen Stellen des Films, die traurig sind, gibt es sehr viel Wetter-Atmosphäre. Immer dann, wenn es mysteriös wirken soll, gibt es Nebel und Regen. Das sieht man beim ersten Mal alles gar nicht, weil man so auf die Geschichte konzentriert ist. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man sogar kleine Mücken. Die haben uns das Leben bei unseren Recherchereisen durch Schottland zur Hölle gemacht.

Zum Filmarchiv: "Merida" sollte ursprünglich im Winter spielen. Wie fühlt es sich an, wenn Sie sich lange mit einem Thema, zum Beispiel der richtigen Ansicht von Schnee im Zum Inhalt: Animationsfilm, beschäftigt haben und dann fällt es raus?

Eingreifende Veränderungen gibt es immer wieder. Egal, ob es um den Look des Films geht oder um die Geschichte. Wenn der Regisseur einen Änderungswunsch hat, muss man durchatmen, nach Hause gehen und im Auto einfach ein bisschen fluchen. Am nächsten Morgen sieht die Welt dann schon ganz anders aus. Wenn es die Geschichte besser macht, muss ich da als Kreative einfach durch. Aus technischer Sicht haben wir natürlich eine Menge Fortschritte gemacht.

Können Sie Einfälle, die Sie nicht benutzt haben, für den nächsten Film verwerten?

Wir haben eine Art digitales Studiogelände, auf dem wir alles sichern: Ideen, Entwürfe, fast fertige Projekte. Meistens ist es dann aber doch so, dass sie technisch überholt sind, wenn wir sie brauchen. Nehmen wir mal das Beispiel von . Woody, Buzz Lightyear – all unsere Hauptcharaktere waren schon da. Aber die Technik war nun viel besser als beim zweiten Teil und so waren nur noch einige Informationen brauchbar. Wir hatten ihr Aussehen, mussten ihr Innenleben aber komplett neu machen. So etwas kann sehr frustrierend sein. Es ist unvorstellbar, wie oft wir bei Pixar schon einen einzigen Bleistift erschaffen haben. Es ist definitiv nicht so, dass wir den gleichen Stift aus dem ersten "Toy Story" -Film immer wieder benutzen.