Wer schon einmal Kinderfilme gesehen hat, die in Waisenhäusern spielen, wird es wissen: Da werden die Kinder von ruppigen Erwachsenen meist ungerecht behandelt, sie fühlen sich allein gelassen und wollen nur schnell weg. So etwa in der Romanverfilmung (Frankreich 2005) oder dem Zum Inhalt: Fantasy-Film Zum Filmarchiv: "BFG – Big Friendly Giant" (USA, Großbritannien, Kanada 2016) von Steven Spielberg.

Ganz anders geht es jedoch in dem Heim zu, von dem der Zum Inhalt: Animationsfilm Zum Filmarchiv: "Mein Leben als Zucchini" erzählt. Dorthin wird Icare, den alle nur "Zucchini" nennen, von dem freundlichen Polizisten Raymond gebracht. Der Polizist hat den Jungen ins Herz geschlossen, aber er hat keine andere Wahl, denn Zucchini hat keine Eltern mehr, seit der Junge unbeabsichtigt den Unfalltod seiner Mutter verursacht hat. In dem sonnigen "Haus der Springbrunnen" begrüßt eine freundliche Direktorin den 9-jährigen Jungen. Und von der entzückenden Sozialarbeiterin Rosy erhält Zucchini zum ersten Mal nach langer Zeit einen Gutenachtkuss.

Dieser Kuss tut ihm sehr gut, denn seine alkoholabhängige Mutter hatte ihn zuletzt stets vernachlässigt, so dass er alleine mit ihren leer getrunkenen Bierdosen spielen musste. Zucchini ist einsam und vermisst seinen Vater, der ihn und seine Mutter schon vor vielen Jahren verlassen hat. Der Superheld, den er auf seinen gelben Drachen gemalt hat, soll seinen Vater darstellen.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Schicksalsschläge und neuer Lebensmut

Im Waisenhaus trifft Zucchini auf den forschen Jungen Simon, der ihn zunächst hänselt und ärgert. Doch die beiden schließen schnell Freundschaft, als Simon ihm erzählt, warum er und die anderen Kinder im Heim leben müssen. Zucchini hört schreckliche Geschichten: Simons Eltern sind drogenabhängig, Béatrices Mutter wurde nach Afrika abgeschoben, Jujubes Mutter ist verrückt geworden, Ahmeds Vater sitzt im Gefängnis, weil er eine Tankstelle überfallen hat, und Alices Vater hat mit seiner Tochter "widerliche Sachen" angestellt.

Zucchinis Laune bessert sich, als Camille im Heim ankommt, die ihn sofort gern hat. Aber auch die tapfere 10-Jährige ist eine Außenseiterin wie die anderen Heimkinder. Mit Hilfe von Simon findet Zucchini heraus, dass Camilles Vater ihre Mutter erschossen und sich dann selbst getötet hat. Camille musste alles mit ansehen.

Die Kinder müssen in dem Film schwere Schicksalsschläge aushalten. Doch es ist nicht alles enttäuschend und traurig. Die Kinder helfen sich gegenseitig, mit dem Verlust ihrer Eltern zurechtzukommen und wieder etwas Lebensmut zu schöpfen. Und sie beharren auf ihrem Recht auf Geborgenheit. Zum Glück gibt es den netten Klassenlehrer Paul, der mit den Waisenkindern einen schönen Ausflug in die verschneiten Berge macht und so für Ablenkung sorgt. Dort können sie Schlittenfahren, eine Schneeballschlacht in der Hütte machen und auf einer selbst organisierten Party herumtoben. Zucchini und Camille kommen sich näher, bis sie ihm anvertraut, dass sie auf keinen Fall zu ihrer bösen Tante zurückgehen will. Sie droht sogar damit, sich zu töten.

Kinder und Erwachsene helfen sich gegenseitig

Zucchini und Camille finden nicht nur Trost, weil sie sich beide so mögen. Sie haben auch großes Glück, denn sie bekommen Hilfe von außen. Raymond bietet ihnen an, sie zu adoptieren. Das ist ein besonders schöner Einfall des Drehbuchs, denn der barmherzige Polizist und die beiden Kinder haben einen ähnlichen Verlust erlitten und können sich so besonders gut trösten: Während Camille und Zucchini ihre Eltern verloren haben, hat der allein lebende Raymond keinen Kontakt mehr zu seinem einzigen Sohn. Durch die Herzenswärme von Raymond gewinnt Zucchini zugleich das Vertrauen in Erwachsene zurück.

Besonders charmant an dem Film ist, wie gekonnt er Trauer und Spaß, Verbitterung und Lebensfreude verbindet. Denn er erzählt zwar ausführlich über schlimme Erlebnisse, macht dabei aber immer Mut und Hoffnung. Das wird in einer Szene besonders deutlich: Als Camilles Tante das Mädchen gegen seinen Willen aus dem Heim wegbringt, weil sie das Pflegegeld einstreichen will, beschließen die anderen Kinder, in den Hungerstreik zu treten, bis Camille zurückkehrt. Diese solidarische Tat müssen sie aber nicht umsetzen. Denn die einfallsreiche Camille kann sich selbst wehren und überlistet vor dem Richter ihre böse Tante mit dem MP3-Player von Simon.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Manchmal täuscht der erste Eindruck

Simon ist das Kind, das im Film die größte Entwicklung durchläuft. Zunächst wirkt er wie ein vorlauter Rüpel, doch dann übernimmt er Verantwortung und hilft den anderen Kindern. Am Ende ist er zwar neidisch, dass Zucchini und Camille eine neue Familie bekommen und er nicht. Doch als Zucchini bei ihm im Kinderheim bleiben will, wächst Simon über sich hinaus. Ja, er beweist Großmut, wenn er sagt: "Weißt du nicht, wie selten Kinder, die schon so groß sind wie wir, noch adoptiert werden? Ihr müsst gehen. Für uns!"

Simon zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern füreinander einzustehen. Sein Beispiel zeigt auch, dass vorschnelle Urteile manchmal täuschen können, denn auch vermeintliche Rüpel können das Herz am rechten Fleck haben. Simon bleibt zwar am Ende im Heim zurück, aber er kann sich trösten: In Zucchini hat er einen wahren Freund gefunden.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Wie im Märchen: Schlimme Dinge gehören dazu

Wenn der Schweizer Regisseur Claude Barras in seinem Film schlimme und schöne Erlebnisse so schwungvoll und bewegend miteinander mischt, dann steht er damit in der Filmgeschichte nicht allein. Wer alte Märchen wie "Hänsel und Gretel" oder "Schneewittchen" kennt, weiß, dass die jungen Helden dort manchmal schreckliche Dinge erleben müssen, aber auch in fast aussichtslosen Lagen die Hoffnung auf Rettung nicht aufgeben und am Ende die Bösewichte besiegen. So entkommen Hänsel und Gretel, die von ihren Eltern ausgesetzt wurden, im dunklen Wald der menschenfressenden Hexe. Und Schneewittchen überlebt nach ihrer Vertreibung vom Königshof die Giftanschläge der bösen Königin, die eine furchtbare Strafe erleidet. Das Schreckliche, Ungerechte und Böse gehört, genauso wie das Gute, Gerechte und Erfreuliche, nun einmal zum Leben. Man darf sich davon nur nicht entmutigen lassen.

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