In Zum externen Inhalt: Mein Herz tanzt (öffnet im neuen Tab) beschreibt Regisseur Eran Riklis, wie Vorurteile und Rollenzuschreibungen soziale Ausgrenzung herstellen, aber auch, wie diese überwunden werden können. In vielen kleinen Alltagsbeobachtungen schildert der Film die komplizierten und vielfältigen Mechanismen, die Austausch und Kommunikation erlauben beziehungsweise verhindern. Sprache spielt dabei im wörtlichen wie im übertragenen Sinne eine entscheidende Rolle: die Sprache der Worte, aber auch die der Körper, die Sprache der Musik und schließlich die "Sprache des Herzens".

Eine Frage der Perspektive

Für die größten Missverständnisse sorgen zunächst die politischen Demarkationslinien zwischen offiziellem und inoffiziellem Sprachgebrauch. An Eyads Vater zum Beispiel scheiden sich die Geister. Ist er ein Terrorist, wie die israelischen Zeitungen behaupten, ein Widerstandskämpfer, wie der Vater selbst erklärt, oder doch nur ein Pflücker, wie der opportunistische Direktor an Eyads arabischer Grundschule insistiert, der die Schüler/innen politisch auf Linie (des israelischen Staates) bringen will? Ein Mann, drei Interpretationen, je nach Sprecherposition. Diese Mehrdeutigkeiten ziehen sich durch Eyads gesamte Kindheit und Schulzeit. So muss der junge arabische Lehrer die Landkarte des historischen Palästina hinter der israelischen Karte verstecken, wenn der Direktor den Klassenraum betritt. In Anwesenheit der Autorität fährt der Lehrer mit dem offiziellen Unterrichtsstoff fort, als wäre nichts geschehen.

Mein Herz tanzt, Szene (© NFP)

Im Konflikt mit der Sprache

Für Widersprüche sorgen jedoch nicht nur Bedeutungen und rhetorische Feinheiten, sondern auch die Sprache(n) als solche. Im Kreise der Familie und Nachbarn spricht Eyad Arabisch, die Mehrheit der Israelis spricht hingegen Hebräisch. Hebräisch lernt Eyad allerdings mehr schlecht als recht in seinem Geburtsort Tira. Im Internat in Jerusalem machen sich seine Mitschüler über seine Aussprache lustig, dabei sprechen sie seinen arabischen Namen ebenfalls falsch aus. Aus Eyad wird Ayid. Nur Naomi bemerkt es. Sie bringt ihm schließlich mithilfe eines Taschentuchs bei, wie man das P ausspricht, mit dem sich Araber so schwertun. P wie Palästina.

Schwierigkeiten in der Verständigung

Auch im Schulunterricht zeigt sich Eyad sensibilisiert für die jüdische Wahrnehmung der arabischen Minderheit. Als er in einer Schlüsselszene des Films von der Lehrerin nach der Rolle der arabischen Zwillinge in Amos Oz’ Roman "Mein Michael" befragt wird, zählt er alle berühmten israelischen Schriftsteller auf, bei denen die Rolle des arabischen Mannes als gefährlich bzw. minderwertig konnotiert ist. Eyads kritische Analyse endet mit der rhetorischen Frage, ob eine israelische Frau tiefer sinken könne, als mit einem Araber zu schlafen. Naomi reagiert darauf in überraschender Weise. Sie steht auf und küsst ihren Freund vor der gesamten Klasse.

Ein heikles Thema

Diese Entscheidung erfordert Mut, doch Naomi will nicht weiter lügen und darum den Eltern von ihrem arabischen Freund erzählen. An diesem Punkt beginnen sich erste Unstimmigkeiten zwischen den beiden bemerkbar zu machen. Beim gemeinsamen Essen stichelt Eyad seine Freundin hinsichtlich einer möglicherweise gewaltsamen Reaktion der Eltern, wendet im selben Atemzug aber mit ironischem Unterton ein, dass diese ja Aschkenasim seien. Dieser Seitenhieb spielt auf das Selbstverständnis des maßgeblich durch Aschkenasim (der größten Glaubensgemeinschaft im europäischen Judentum) gegründeten Staates Israel an, der sich als Reaktion auf den Holocaust vor allem dem Frieden zwischen den Kulturen verpflichtet sieht. Naomi reagiert auf Eyads Kommentar brüskiert. Der kurze Dialog zeigt, dass Naomi, anders als Yonatan, bei diesem heiklen Thema keinen Sinn für Humor hat. Ähnlich reagiert Naomi auf dem Punk-Konzert, das sie mit Eyad und Yonatan besucht. Die provokant-politischen Texte der Band (die in der deutschen Fassung nicht untertitelt sind) empfindet sie als Affront – und als Yonatan sie später mit Blick auf Eyad spaßeshalber fragt, ob der "Araber" es wage, sie anzumachen, verabschiedet sich Naomi schließlich wütend.

Spiel mit kulturellen Vorurteilen

Im Dialog der beiden jungen Männer sorgt das humorvolle Spiel mit den gängigen Vorurteilen und Stereotypisierungen immer wieder für Auflockerung. So macht sich Yonatan darüber lustig, wie gut Eyad sich im Gassengewirr von Jerusalems Altstadt zurechtfindet. Das läge ihm im Blut, entgegnet Eyad augenzwinkernd – ebenso wie das Feilschen. Als Eyad kurz darauf im arabischen Imbiss Hummus kauft, fragt ihn der Verkäufer, ob er nur einen behinderten jüdischen Freund finden könne. In Szenen wie dieser rückt der Film nebenbei auch die Vorurteile arabischer Israelis in den Fokus.

Die Konstruktion von Identität

Eyad und Yonatan sind sich bewusst, dass ihr Außenseiter-Dasein sie verbindet. "Ist das von Geburt an?", fragt Eyad Yonatan bei seinem ersten Besuch. "Und du", entgegnet der scharf, "bist du so von Geburt an?" Und fängt dann an zu grinsen. Diese Frage wiederum liegt im Kern der Erzählung von "Mein Herz tanzt" . Ist Eyads Identität tatsächlich so festgeschrieben, dass es keine Rettung gibt vor ruppigen Straßenkontrollen oder schlecht bezahlter Arbeit? Geht das nur, wenn man sich als israelischer Jude ausweisen kann? Wieviel Annäherung aber ist möglich, ohne die eigene Identität aufzugeben?

Mein Herz tanzt, Szene (© NFP)

Die Antwort gibt der Film auf ebenso ambivalente und überraschende Weise: Yonatan wird schließlich mit Eyads Ausweis beerdigt. Dieses Finale, das Eyads Zukunft als jüdischer, nicht-arabischer Israeli besiegelt, hat jedoch nichts von einem Triumph. Die Bilder zeigen einen traurigen, geschlagenen jungen Mann, der einsam mit Yonatans Mutter hinter dem Sarg des Freundes hermarschiert. Eyad löst sein Dilemma durch das Leugnen seiner Herkunft. Zum Inhalt: Drehbuchautor Sayed Kashua, der auch für die Zum Inhalt: Romanvorlage verantwortlich zeichnet, negiert damit jedoch keinesfalls die Möglichkeit des freien Willens. Kashua, der seine Texte auf Hebräisch verfasst, und Regisseur Riklis verstehen Identität vielmehr als soziales Konstrukt. Im Zum Inhalt: Vorspann zitiert der Film den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch: "Identität ist unser Vermächtnis, nicht unser Erbe, unsere Erfindung und nicht unser Gedächtnis."

Schwierigkeiten der Synchronisation

Leider geht dieses Selbstverständnis von kultureller Identität, um das sich Regisseur Riklis in visueller wie in sprachlicher Hinsicht bemüht, in der deutschen Fassung ein wenig verloren. Die sprachliche Vielfalt, die spontane Mischung aus Arabisch und Hebräisch im täglichen Zusammenleben, wird durch eine undifferenzierte Synchronisation ins Gegenteil verkehrt: In der deutschen Fassung sprechen alle Figuren Deutsch. Problematisch ist die Synchronisation aber auch, weil ausschließlich den arabischen Figuren Ausdrücke wie "Habibi" (mein Lieber), "Abba" (Papa), "Salem aleikum" (Guten Morgen) oder "Gepriesen sei Allah" (Gott sei Dank!) in den Mund gelegt werden, die damit unbeabsichtigt deren Andersartigkeit hervorheben.


Wichtiger Hinweis:

Jüdisch-arabische Koedukation
In den 1980er-Jahren war es noch ungewöhnlich, dass ein arabischer Junge eine jüdisch-israelische Schule besucht. Seit 1998 fördert der Trägerverein Zentrum für jüdisch-arabische Erziehung in Israel gezielt den Austausch zwischen jüdischen und arabischen Schüler/innen. Heute gibt es in Israel fünf bilinguale Schulen, an denen jüdische und arabische Erzieher/innen Schulklassen von der Vorschule bis zum Abitur unterrichten. Die Max Rayne Hand in Hand Schule in Jerusalem (624 Schüler/innen) war 1998 die erste ihrer Art und ist bis heute die einzige bilinguale Schule, die ein Abitur anbietet. Im selben Jahr wurde die Galiläa Schule gegründet, die 130 Schüler/innen von der ersten bis zur sechsten Klasse besuchen. Dazu kamen 2004 die Gesher Al Hawadi in Kfar Kara (Kindergarten bis 6. Klasse, 240 Schüler/innen), 2012 die Hand in Hand Haifa Preschool (Vorschule, 70 Schüler/innen) sowie 2013 die Jaffa Preschool in Tel Aviv (Vorschule, 100 Schüler/innen). Die Schulen werden vom israelischen Bildungsministerium gefördert, sind bislang aber eine Ausnahme im israelischen Schulsystem.