Kategorie: Videoanalyse
Narrative und assoziative Montage am Beispiel von "Kuhle Wampe"
"Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" ist maßgeblich von drei ästhetischen Ideen der Weimarer Zeit beeinflusst – wie unsere Videoanalyse anhand eines Filmausschnitts zeigt.
Die propagandistische Wirkung von "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" beruht nicht zuletzt auf einer filmischen Gestaltung, die von verschiedenen ästhetischen Ideen der Weimarer Zeit maßgeblich beeinflusst ist. Unsere Videoanalyse erklärt die besondere Bedeutung der Zum Inhalt: Montage anhand eines Filmausschnitts.
Im Folgenden können Sie die Videoanalyse auch im Textformat nachlesen:
Sprecher: "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt" gilt als bedeutender politischer Film aus der Spätphase der Weimarer Republik. In diesem Video schauen wir uns in einem Ausschnitt die Montage des Films an.
"Kuhle Wampe" kommt 1932 auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise in die Kinos. Allein in Deutschland sind damals 5,6 Millionen Menschen arbeitslos. Diese Massenarbeitslosigkeit verhandelt der Film am Beispiel einer Berliner Familie. "Kuhle Wampe" ist von drei ästhetischen Ideen jener Zeit beeinflusst:
Erstens vom sogenannten proletarischen Film der Weimarer Republik; das waren sozialkritische Filme aus dem Umfeld der Arbeiterbewegung;
zweitens vom sowjetischen Revolutionskino der 1920er-Jahre mit seiner assoziativen Montagetechnik
und drittens von Bertolt Brecht und seinem epischen Theater; Brecht schrieb das Zum Inhalt: Drehbuch zu "Kuhle Wampe" zusammen mit Ernst Ottwalt und dem Regisseur Slatan Dudow.
Diese drei formalen Einflüsse des Films lassen sich an der folgenden Zum Inhalt: Sequenz gut beobachten. Das wesentliche Stilmittel ist dabei die Montage.
Am Anfang steht die Montage noch im Dienst der Erzählung. Ein Schnitt auf die räumliche Umgebung … und zurück zum Protagonisten. Nur der kurze Blick in die Kamera stört die Illusion: ein Brechtscher Verfremdungseffekt.
In der folgenden langen Zum Inhalt: Einstellung bereitet der Sohn der Familie seinen Sprung aus dem Fenster vor. Zumindest die Handlung der Zum Inhalt: Szene ist typisch für das proletarische Sozialdrama. Allerdings wird der Suizidversuch hier nicht als dramatischer Höhepunkt inszeniert. Sachlich registriert die Kamera die Handgriffe. Auffällig im Vergleich zum Rest des Films ist die Stille auf der Tonspur (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound Design).
(Bildbeschreibung: Ein junger Mann sitzt in einem Sessel. Er steht auf und geht zum Fenster, öffnet es und hält beide Flügel fest. Dann blickt er auf seine Armbanduhr am linken Handgelenk, hält inne, nimmt sie ab und legt die Uhr auf einen Tisch neben sich. Der Mann kehrt zurück und stellt einen Blumentopf beiseite, bevor er auf die Fensterbank klettert. Es erfolgt ein Schnitt ins Treppenhaus.)
Sprecher: Kurz vor der Tat dann eine Zum Inhalt: Parallelmontage mit der Mutter im Treppenhaus. Aber die Spannung einer möglichen Rettung in letzter Sekunde bleibt aus. Ohne große Dramatik – der Sprung.
Ab diesem Moment löst sich die Montage von der Erzählung: Kein Schnitt auf die Reaktion der Mutter, kein Blick auf den Körper des jungen Mannes. Stattdessen: Stillleben in der Wohnung. Eine Zum Inhalt: Rückblende: die radfahrenden Arbeitslosen. Diese assoziative Montage, geschult am Vorbild des sowjetischen Zum Inhalt: Stummfilm-Kinos, soll Reflexionen zur Bedeutung der Bildfolgen hervorrufen. Sie zeigt kein persönliches Motiv für den Suizid – sie lenkt den Blick vom Einzelschicksal auf die soziale Situation.
Der Schluss der Zum Inhalt: Sequenz überträgt Methoden des epischen Theaters auf den Film. Die Montage lässt eine Vielzahl an Figuren auftreten und die Handlung kommentieren.
Passanten "Was habt ihr denn hier schon wieder angestellt?" –
"Aus dem Fenster gestürzt."
Kinder vor dem Haus: "Welches Fenster ist es denn?" – "Das da!" – "Nein, das da!"
Sprecher: Auch hier wieder: der Bruch der Zum Inhalt: vierten Wand.
Nachbarinnen im Treppenhaus: "Ein Arbeitsloser weniger."– "So ein junger Mensch." – "Und der Vater weiß noch von gar nichts."
Sprecher: Und schließlich, wie so oft bei Brecht, der gedankliche Bogen vom individuellen Leid zur kollektiven Not.
Männer in der Kneipe: "In Amerika haben sie jetzt auch schon sieben Millionen Arbeitslose." – "Jaja. Früher sind sie im Auto zur Arbeit gefahren. Jetzt demonstrieren sie gegen die Arbeitslosigkeit." – "Aber zu Fuß."