Kategorie: Interview
"In "Ida" geht es um Glauben und Identität."
Ein Gespräch mit Regisseur Paweł Pawlikowski über die Arbeit mit Schwarz-Weiß und die polnische Vergangenheit.
Ein Gespräch mit Regisseur Paweł Pawlikowski über die Arbeit mit Schwarz-Weiß und die polnische Vergangenheit.
Paweł Pawlikowski, 1957 in Warschau geboren, verließ Polen als Jugendlicher und lebt heute in Großbritannien. Als Regisseur bekannt wurde er vor allem durch das sensible Teenagerdrama (Großbritannien 2004). Mit Zum Filmarchiv: "Ida" (Polen, 2013) kehrt er in seine alte Heimat zurück.
Mr. Pawlikowski , Sie sind im Alter von 14 Jahren nach England gezogen, "Ida" ist ihr erster in Polen gedrehter Film. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Das ist schwer zu sagen. Vermutlich habe ich ein Alter erreicht, in dem ich mich zunehmend für die Vergangenheit, speziell meine eigene Vergangenheit, interessiere. Es war mir ein inneres Bedürfnis, nach Polen zurückzukehren und damit auch in eine bestimmte Ära, mit der ich noch heute lebhafte Erinnerungen verbinde. Damals habe ich diese Erfahrungen einfach in mich aufgesogen, heute versuche ich sie dagegen zu verarbeiten. Die frühen 1960er-Jahre, in denen "Ida" spielt, waren eine spannende Übergangsphase in der polnischen Geschichte: Der Stalinismus war verschwunden und Polen hatte sich in einen Polizeistaat verwandelt, an dessen Rändern sich dennoch viele Freiheiten boten. Das machte sich im Kino bemerkbar, in der Musik, dem Theater und der Literatur.
Sie haben sich dazu entschieden, "Ida" in Zum Inhalt: Schwarz-Weiß und noch dazu in einem historischen, fast quadratischen Zum Inhalt: Bildformat zu drehen. Ist Ihr Film eine Hommage an eine vergangene Kino-Ära?
Für mich stand von Anfang an fest, "Ida" in Schwarz-Weiß zu drehen. Schon als ich am Zum Inhalt: Drehbuch saß, hatte ich schwarz-weiße Bilder vor Augen. Für mich bestand kein Zweifel daran, wie der Film auszusehen hat. Dasselbe gilt für das Bildformat. Für die meisten Filme in den 1960er-Jahren, wenn sie nicht gerade in Cinemascope gedreht waren, war 1:1.37 das Standardformat. Ich hab versucht, den Film so einfach wie möglich zu halten. Nichts sollte besonders hübsch oder stilisiert wirken.
"Ida" spielt 1962. Verbinden Sie mit diesem Jahr persönliche Erinnerungen oder hat es eine besondere Bedeutung in der polnischen Geschichte?
Ich habe dieses Jahr gewählt, weil es eben keine historische Bedeutung hat oder einen Wendepunkt darstellt. Der gesellschaftliche Wandel, die sogenannte "kleine Stabilisierung", vollzog sich Anfang der 1960er-Jahre nur langsam. Aber plötzlich wurden Dinge möglich, die viele Jahre verboten gewesen waren. Die Menschen konnten zum Beispiel wieder unbehelligt Musik hören. Jazzmusik erlebte in dieser Zeit einen enormen Boom. Die alten Gewissheiten, die Wandas Weltbild verfassen, bröckelten.
Repräsentieren die beiden Frau in ihrem Film, Ida und Wanda, also das alte und das neue Polen?
Das ist mir zu allgemeingültig. Ida und Wanda repräsentieren zunächst einmal nur sich selbst. Wanda zum Beispiel ist ja eigentlich sehr Rock'n'Roll. Sie liebt Männer und Alkohol, obwohl sie unter dem stalinistischen Regime als Anklägerin fungiert hat. Ideologisch steht sie auf der Seite des Kommunismus, aber sie hat auch eine liberale Seite. Ich wollte mit "Ida" keinen Film über Politik machen, sondern über interessante, widersprüchliche Menschen, in denen sich die Zuschauer hoffentlich wiedererkennen. Es geht um Glauben und Identität - und nicht darum, Geschichte zu illustrieren. Obwohl er zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort spielt, soll "Ida" eine universale Geschichte erzählen, wie sie sich überall hätte zutragen können.
Sie sehen "Ida" also nicht in der Tradition des polnischen Kinos?
Natürlich liebe ich die Filme aus dieser Ära, aber ich habe das polnische Kino die längste Zeit meines Lebens nur aus der Ferne wahrgenommen. Die meisten Filmemacher sind letztlich doch heimatlos. Wir sind alle mit denselben Namen aufgewachsen: Dreyer, Chaplin, Bergman.
Sie erwähnten den Glauben. Polen ist ein stark katholisch geprägtes Land. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Religion?
Ich möchte dazu nicht viel sagen, weil es nicht meine Absicht war, mit "Ida" Religion zu thematisieren. Gleichzeitig kritisiert der Film in gewisser Weise die in meinem Geburtsland weit verbreitete Ansicht, dass ein polnischer Katholik automatisch ein guter Christ sei. In Polen herrscht ein sehr beschränktes Verständnis von Religion vor, das wenig mit der ursprünglichen Idee von Transzendenz zu tun hat. Die polnische Kirche tritt äußerst patriarchalisch auf, hat darüber aber die spirituelle Dimension des Glaubens aus dem Blick verloren. Diese Themen streife ich mit meinem Film, aber sie sind nicht der Hauptgrund, warum ich "Ida" gemacht habe. Ich möchte den Zuschauern/innen keine Ideen vorsetzen, der Film soll sich aus den Figuren heraus erklären.
Wie wurde denn mit Katholiken zur Hochzeit des Stalinismus in Polen verfahren?
Die Kirche war zu mächtig und präsent, um von dem Regime komplett unterdrückt zu werden. Aber viele Katholiken wurden vom Staat verfolgt, um Polen eine säkulare Identität zu verpassen. Wohlgemerkt nicht in demselben Maße wie in der Sowjetunion.
Antisemitismus ist ein weiteres zentrales Thema von "Ida" . Gab es deswegen in Polen kritische Reaktionen auf Ihren Film?
Die Kritiken diesbezüglich waren zurückhaltend, was auch daran liegen mag, dass der Film sehr differenziert mit dem Thema umgeht. Ich nehme keinen moralischen Standpunkt ein oder versuche, Menschen zu verurteilen. Im Grunde ist "Ida" ein sehr christlicher Film. Jede Figur hat mit ihren Dämonen zu leben: Wanda, der Sohn des Bauern, selbst Anna. Im Übrigen wird die Beteiligung von polnischen Bürgern am Holocaust nicht erst seit gestern öffentlich diskutiert. Ich finde es wichtig, dass in solchen gesellschaftlichen Diskussionen die Argumente nicht von Emotionen übertönt werden. Ein Film wie "Ida" kann hierzu vielleicht einen kleinen Beitrag leisten.