Kategorie: Hintergrund
Neonazis und Pop – Wie Rechtsextreme die Popkultur für sich entdecken
Die Verbindung von Rechtsextremismus und Popkultur hat in den letzten Jahren neue Formen angenommen. Unser Hintergrundartikel erklärt die Ursprünge und Zusammenhänge.
Die Prittwitzer Kameradschaftsvorsitzende Doreen reagiert kaltschnäuzig auf die plumpe Anmache des Neonazis Sven Stanislawski: Er dürfe sie erst anrufen, wenn er in Polen einmarschiert sei. Frustriert fährt er in sein Büro, das gleichzeitig Treffpunkt seiner eigenen Kameradschaft ist. Dort sitzen die Skinheads Johnny und Kalle am Laptop, sie posten die Bilder ihrer Sprühaktion "Wheit Pauer" im sozialen Netzwerk, das im deutschnationalen Jargon "Gesichtsbuch" heißt. Die Rückübersetzung von Anglizismen ins Deutsche ist in der rechtsextremen Szene nicht neu. Da heißt die CD "Lichtscheibe", das World Wide Web "Weltnetz" und die E-Mail "elektronische Post". Lange hob sich der Rechtsextremismus im politischen Spektrum durch eine krude Terminologie ab. Inzwischen geben sich viele rechtsextreme Gruppierungen einen modernen Anstrich.
Subversives Potenzial von Popkultur
Die Geschichte der Popkultur ist noch jung. 1964 untersuchte das in Birmingham gegründete Forschungszentrum für Kulturwissenschaften (CCCS) erstmals das subversive Potential des Pop, in Abgrenzung zur Mainstreamkultur. Subversion betrieb Mitte der 70er-Jahre auch der britische Punk. Bands wie Siouxsie and the Banshees und die Sex Pistols flirteten mit faschistischer Ikonografie. Sie traten mit Hakenkreuzbinden auf, machten in ihren Texten aber ihren antifaschistischen Standpunkt deutlich. Dies war umso notwendiger, da im Windschatten der Punk-Bewegung eine Szene entstand, die offen mit dem Rechtsextremismus sympathisierte: RAC (Rock Against Communism). Bands und Publikum kamen zu großen Teilen aus der rechten Skinhead-Szene, die einem klaren Dresscode folgte: Glatze, Poloshirt, ausgewaschene Jeans und Springer-Stiefel.
Kulturelle Hegemonie: die Ambivalenz der Zeichen
In Zum Filmarchiv: "Heil" entsprechen die Prittwitzer Skinheads diesem Dresscode, der heute nur noch einen kleinen Teil der rechtsextremen Jugendkultur ausmacht. Die Trendwende wurde in Deutschland erstmals offensichtlich, als an den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 auch Jugendliche mit Malcolm-X-Baseballkappen, einem Accessoire der Linken, beteiligt waren. Die Aneignung von Ikonen der verhassten linken Jugendkultur auf rechtsextremen Demonstrationen setzte sich in den 1990er-Jahren fort: Dort lief häufig der Ton-Steine-Scherben-Song "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Die Berliner Rechtsrocker Landser coverten später sogar den Scherben-Song "Allein machen sie dich ein".
Seit Ende der 1990er-Jahre ist in der rechtsextremen Szene zunehmend die Adaption einer gemäßigten Ästhetik und von Codes traditionell nicht-rechtsextremer Jugendkulturen zu beobachten. Das sogenannte Palästinenser-Tuch, das in der linken Szene lange aus Solidarität mit Palästina getragen wurde, erfreut sich heute in rechtsextremen Kreisen großer Beliebtheit: als Zeichen der Ablehnung des Staates Israel. Wenn in "Heil" der Neonazi Johnny seinem Verfassungsschutzoffizier erklärt, dass er seinen Hund Jesus genannt habe, um unter seinen Gegnern durch die Nutzung eines untypischen Namens Verwirrung zu stiften, persifliert der Film eben diese Strategie der Aneignung. Die 1968 in Frankreich entstandene Bewegung der Neuen Rechten bezieht sich mit ihrem Streben nach "kultureller Hegemonie" gar auf den italienischen, marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (1891-1937). Die Neue Rechte ist vor allem intellektuell ausgerichtet und interpretiert u. a. progressive Denker in einem rechten Kontext. Hinter dem Begriff der "kulturellen Hegemonie" steht die Idee, Herrschaft nicht mehr über Zwang, sondern über kollektive Erfahrungen (gemeinschaftliche Rituale, einheitliche Ästhetik) zu etablieren. Diese neue Herrschaftsform legitimiert sich über eine gemeinsame Kultur und nicht mehr biologisch, und grenzt sich somit von nationalsozialistischen Terminologien wie "Rasse" ab.
Die Assimilation von Zeichen
Die US-amerikanische Essayistin Susan Sontag hat beschrieben, wie die faschistische Ideologie mittels ihrer Ästhetik die Massen zu mobilisieren versuche. Doch eine genuin politische Ästhetik ist heute nicht mehr eindeutig zu bestimmen. In "Heil" symbolisiert Heiko Georgi den modernen Typus des Rechtsextremen: den Nazi-Hipster, kurz "Nipster". Dessen modebewusster Öko-Stil spricht vor allem urbane Jugendliche an. Georgi ist in den sozialen Netzwerken aktiv, trägt Jutebeutel und Undercut-Frisur. Äußerlich ist er in "Heil" am wenigsten als Rechtsextremer zu identifizieren. Der Film spitzt dieses "Cross-Dressing" auf symbolischer Ebene ironisch zu. Als die Hamburger Kameradschaft nach einem zeitgemäßen "Branding" sucht, entwerfen die etwas unterbelichteten "Nipster" ein pseudo-mythologisches Logo, das verdächtig an ein bekanntes antifaschistisches Symbol erinnert.
Die Gesinnung bleibt reaktionär
Die "Nipster" sind programmatisch für einen Paradigmenwechsel in den letzten 20 Jahren. Rechtsextreme setzen nicht mehr auf Sektierertum, sondern orientieren sich zunehmend am gesellschaftlichen Mainstream und den ästhetischen Codes nicht-rechtextremer Subkulturen. Websites sind heute, statt in deutschtümelndem Schwarz-Weiß-Rot (in Anlehnung an die Reichskriegsflagge), in poppigen Farben und mit Cartoon-Figuren designt, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten. Entsprechend sauer muss Stanislawski in "Heil" feststellen, dass seine altbackene "Gesichtsbuch"-Seite deutlich weniger Likes hat als der Auftritt seines hippen Konkurrenten Georgi. "Während ihr vegan kocht, Marschiere ich in polen ein", postet er unter Missachtung deutscher Rechtschreibregeln auf der Seite des Hamburger Kameradschaftsführers.
Stanislawski macht seine Drohung schließlich wahr. In einem gestohlenen Panzer dringt er heimlich im Nachbarland ein, um von dort unter polnischer Flagge eine deutsche Kaserne anzugreifen. Georgi und seine Kameradschaft fahren ebenfalls mit schwerer Artillerie bewaffnet in Richtung polnische Grenze: Ihre Fahrzeuge ziert das bekannte antifaschistische Piktogramm. Brüggemann führt die Camouflage-Taktik der Rechtsextremen ad absurdum, indem er die beiden Kameradschaften sich gegenseitig beschießen lässt: Georgi in dem Glauben, die polnische Armee anzugreifen (obwohl die Prittwitzer Neonazis die falsche Flagge gehisst haben, so dass die österreichische Fahne über dem Schlachtfeld weht), Stanislawski in der festen Überzeugung, die Linken zu attackieren. Damit illustriert "Heil" in schönster Slapstick-Manier, wie sinnentleert die kulturellen Codes durch die Bedeutungs-Transformation der letzten 20 Jahre inzwischen sind. Die Schlachtszene zeigt aber auch, dass Rechtsextreme selbst in modernem Gewand nichts von ihrer menschenverachtenden Ideologie verloren haben.