Kategorie: Hintergrund
People like me - Freundschaft als Lebensgefühl in "Gasoline Rainbow"
Der Hintergrundtext beleuchtet die Bedeutung der Freundschaft für die fünf Hauptfiguren des Films.
Ein Ordner voller Notizen und Ideen, aber kein konkretes Zum Inhalt: Drehbuch, bildete die Grundlage für "Gasoline Rainbow" . Mit fünf etwa 18-Jährigen, die zum ersten Mal vor der Kamera standen, haben die Regisseure Bill und Turner Ross die Dreharbeiten begonnen und sich auch von den Ideen der Jugendlichen leiten lassen. Entstanden ist ein Jugendfilm (Glossar: Zum Inhalt: Genre) über fünf Teenager, der teils sehr Zum Inhalt: dokumentarisch wirkt, teils poetisch über das Aufwachsen mit alle seinen Höhen und Tiefen erzählt – und der sich nicht allein auf eine Figur beschränkt. Die fünf Freund/-innen, die ohne Wissen ihrer Eltern in einem Van ihre verhasste Kleinstadt in Oregon verlassen und zum Meer aufbrechen, tragen den Film gemeinsam; sie bilden eine Einheit, die nicht in ihre Einzelteile zerlegbar ist. Was die Jugendlichen zusammenhält, ist ihre Freundschaft und ihr geteiltes Lebensgefühl, eine Mischung aus Aufbruchsstimmung und Angst, Enttäuschung und Hoffnung. Sie sind Verbündete auf dem Weg zu einer Party am Ende der Welt, die an einem Strand am Pazifik stattfinden soll.
Eine Gruppe als Protagonistin
Diese Verbündeten zeigen Bill und Turner Ross weniger als Individuen, denn als Gruppe. Der Film nimmt sich kaum Zeit, um Micah, Tony, Nichole, Nathaly und Makai – die Schauspieler/-innen heißen auch in Wirklichkeit so – einzeln vorzustellen. Das Publikum erhascht einen Blick in ihre Zimmer, als sie sich zum Aufbruch bereit machen, sowie auf die Fotos ihrer High-School-Ausweise, erfährt aber nichts über die Gründe, weshalb sie ausreißen. Konsequent steht danach auch nicht das Schicksal eines oder einer Einzelnen im Mittelpunkt. Damit weicht "Gasoline Rainbow" von der Zum Inhalt: Dramaturgie anderer Jugendfilme über Cliquen ab. So nimmt sich etwa Zum Filmarchiv: "Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers" ("Stand By Me" , Rob Reiner, USA 1986) viel Zeit, die Motive, Wünsche und Sehnsüchte der Figuren auszuloten, auch indem er sie in Episoden voneinander trennt und damit den Fokus auf Einzelfiguren legen kann. Ähnlich funktioniert auch "The Breakfast Club" (John Hughes, USA 1985), der fünf High-School-Schüler/-innen an einem Samstagmorgen beim Nachsitzen in der Schule beobachtet.
Auch Konflikte innerhalb der Gruppe, die ansonsten oft für dramaturgisch wichtige Spannungen sorgen – "The Breakfast Club" setzt dafür auf die Konfrontation fünf grundverschiedener, formelhafter Schülertypen wie den Streber, den Sportler, die Prinzessin, die Außenseiterin, den Rebellen – spielen in "Gasoline Rainbow" keine Rolle. Der Film erzählt nicht über eine Annäherung und die Entstehung von Freundschaft, sondern über Freundschaft, die schon besteht und gefestigt ist. Weil sie alle dieselbe Herkunft, dieselbe Unzufriedenheit und dieselben Zukunftssorgen teilen, wagen sie gemeinsam den Aufbruch und nehmen ihr Schicksal in einem kleinen Akt der Rebellion selbst in die Hand.
Freund/-innen als Familie
Die Freundesgruppe wird für die Fünf zum Familienersatz. Hier, jenseits der ständigen Beobachtung durch Erwachsene, können sie sich frei und akzeptiert fühlen. Sie kosten diese Freiheit so weit wie möglich aus: Sie feiern, trinken, kiffen (sehr viel) und sind stets in Bewegung. Nur ein klein wenig Unsicherheit schleicht sich manchmal in ihre neue Welt: das Bewusstsein, dass Erwachsenwerden auch heißt, für sich selbst zu sorgen, für sich selbst verantwortlich zu sein und niemanden mehr zu haben, der immerzu die schützenden Hände über einen hält. Andererseits ist dieses Bild für mehrere von ihnen wohl ohnehin mehr Wunschvorstellung denn Realität. So erzählt etwa Micah, dass er lange bei seinem Freund gewohnt habe, weil beide Elternteile ein Suchtproblem hatten und nicht auf ihn aufpassen konnten. Der Vater von Nathaly wiederum wurde vor fünf Jahren nach Mexiko abgeschoben; nur über Facetime hat sie gelegentlich Kontakt zu ihm. Der emotionalen oder räumlichen Abwesenheit von Micahs und Nathalys Eltern steht damit die Präsenz der Freund/-innen gegenüber: Diese sind einfach da und gehen den Weg mit ihnen gemeinsam.
Drifter
"Gasoline Rainbow" ist episodisch strukturiert, wobei jede Zum Inhalt: Sequenz aus einer Begegnung der Gruppe mit anderen Menschen besteht. Es ist bemerkenswert, wie offen und vorurteilsfrei die Jugendlichen jeweils auf andere zugehen. Ein wenig Skrupel beschleichen sie zwar schon, als sie eines nachts irgendwo im Nirgendwo einem jungen Mann, den sie beim Vorbeifahren am dunklen Straßenrand entdeckt haben, zu einer Party auf ein Feld folgen. Die Party wird großartig, sie reden mit anderen Jugendlichen, machen rum, der Kater am nächsten Morgen ist enorm. Dass die Skepsis dennoch angebracht war, merken sie erst, als sie wieder zu ihrem Auto zurückkehren: Alle Reifen ihres Vans wurden geklaut; die Reise muss zu Fuß fortgesetzt werden. Es ist die einzige Begegnung, die nicht gut für die Jugendlichen endet. Danach schließen sie sich zwei anderen Ausreißer/-innen an, die ihnen zeigen, wie man sich in die Wagons eines Güterzugs schleicht, ein älterer Skater nimmt sie später in Portland mit zu einer anderen Party, deren Ausrichter wiederum macht mit ihnen einen Bootsausflug.
Micah, Tony, Nichole, Nathaly und Makai sind Drifter. Sie lassen sich treiben, ihre Offenheit und Neugier auf andere ist ein Türöffner, auch weil sie keine Ansprüche stellen. Sie schlafen, wo es sich anbietet, folgen den Tipps anderer, teilen miteinander. Der Film wirft hier einen Blick in eine Welt, die wie eine Alternative zur herrschenden Gesellschaft wirkt: Nicht Konkurrenz oder Argwohn bestimmen das Verhalten der Menschen. Die Jugendlichen werden akzeptiert, wie sie sind. Überall, wo sie hinkommen, finden sie ein besonderes Gemeinschaftsgefühl.
Hier und Jetzt
Umso bemerkenswerter sind diese Begegnungen, weil der Film keinem starren Drehbuch folgt und vieles improvisiert ist. Die Filmemacher haben Szenarien für ihre Schauspieler/-innen geplant und dann beobachtet, wie sie sich in diesen Situationen verhalten. Die Aufgeschlossenheit und der Optimismus der Jugendlichen haben auch die Regisseure überrascht. Womöglich waren es aber auch die Erfahrungen der Covid-Pandemie, die so viele Grenzen gesetzt hat und während derer der Film auch 2021 zwischen zwei Lockdowns mit einem winzigen Team gedreht wurde, die den Wunsch nach Gemeinschaft, Austausch und Feiern umso größer gemacht haben.
Am Ende redet Makai am Rande einer Party mit einem anderen Jugendlichen, der sich früher auch immer fremd und ausgeschlossen gefühlt hat und sich nun, in diesem Augenblick, bei dieser Party, endlich wohlfühlt, weil er andere Menschen getroffen hat, die wie er selbst sind und fühlen: "People like me". Wenn der Film von diesen kurzen Momenten der Verbundenheit erzählt, ist er besonders stark, auch wenn diese möglicherweise flüchtig sind. "This place, this setting, this time."