Kategorie: Hintergrund
Wirklichkeit und subjektives Erleben im Film "Frieden, Liebe und Death Metal"
Unser Hintergrundtext untersucht, wie Regisseur Isaki Lacuesta in seinem Film über zwei Überlebende des Terroranschlags auf das Bataclan in Paris Vergangenheit und Gegenwart, Innen- und Außensicht ineinanderfließen lässt.
In goldene Rettungsfolien (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild) gehüllt gehen die Filmfiguren Céline und Ramón durch das nächtliche Paris. Von hinten gefilmt verschmilzt das Paar zu einer Schicksalseinheit. Die Französin und der Spanier haben soeben den Terroranschlag auf den Club Bataclan vom 13. November 2015 miterlebt. Wie tief der Schock sitzt, ist Céline und Ramón von der ersten Zum Inhalt: Szene an anzumerken. Die beiden wirken ebenso entrückt von der Außenwelt wie der ebenfalls von einer Folie bedeckte Mann, der aus einem vorbeifahrenden Bus starrt.
Das psychologische Drama von Isaki Lacuesta basiert auf dem Buch Paz, amor y death metal (2018) des Terrorüberlebenden Ramón Gonzáles. Entsprechend hebt der Film auf die Nachwirkung der traumatischen Erfahrung im Leben Betroffener ab. Céline und Ramón reagieren sehr unterschiedlich auf das Erlebte. Céline will am Tag danach Alltagsnormalität herstellen und erzählt über Monate niemandem, dass sie den Anschlag miterlebt hat. "Ich brauche nicht noch mehr Scheiße im Kopf", unterbricht sie eine Freundin, die auch beim Konzert war und darüber sprechen will. Ramón hingegen leidet unter Panikattacken, steigert sich in Details des Attentats und beginnt schließlich eine Therapie.
Auch wenn "Frieden, Liebe und Death Metal" ein Film mit vielen Dialogen ist, steckt sein eigentlicher Kern in der filmischen Konstruktion. Immer wieder wechselt Lacuesta abrupt die Zeitebenen, zeigt Momente vor, während und nach dem Terroranschlag. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, vermitteln die Bilder der Kamerafrau Irina Lubtchansky die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Céline und Rámon. Dabei bleibt bewusst unklar, welche Eindrücke die Wirklichkeit zeigen und welche der subjektiven Empfindung entspringen.
Rückblendenstruktur
Ein zentrales Element der Zum Inhalt: Inszenierung sind die Zum Inhalt: Rückblenden, die fortwährend in die Gegenwartshandlung einfließen. Im klassischen Erzählkino sind die Übergänge zu solchen Flashbacks meist eindeutig markiert, etwa durch einen Wechsel der Zum Inhalt: Farbgebung hin zu Schwarz-Weiß oder ein überleitendes Zum Inhalt: Voiceover. Grundsätzlich stellt sich bei Rückblenden die Frage, ob diese Ereignisse objektiv und "wahrheitsgetreu" schildern – selbst wenn es sich um die persönliche Erinnerung einer Figur handelt – oder ob die Rückschau in erster Linie subjektiv geprägt und somit nicht "verlässlich" ist. Isaki Lacuesta wählt die zweite Option. Die Wechsel zwischen den zeitlichen Ebenen sind unvermittelt und nicht mit filmischen Mitteln markiert, sondern verwischt. So braucht es mitunter einen Moment der Orientierung, um die Szenen in die Chronologie einzuordnen. Allein die von einer unruhigen Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen eingefangenen Zum Inhalt: Sequenzen während des Anschlags im Bataclan sind durch den eindeutigen Zum Inhalt: Schauplatz jeweils sofort erkennbar.
Im Verlauf wird immer uneindeutiger, ob die teils sehr kurzen Flashbacks reale Ereignisse zeigen. Ebenso gut können es falsche Erinnerungen, Albträume oder verbildlichte Gefühle sein. Mit filmischen Mitteln demonstriert Lacuesta, wie unsortiert und lückenhaft Erinnerungen sein können, was ein traumatisierter Zustand noch verstärkt. Bald stellt dieses "unzuverlässige Erzählen" auch die anfangs als objektiv wahrgenommene Gegenwartsebene in Frage. Ein später Twist legt nahe, dass Ramón bei dem Anschlag ums Leben gekommen ist, das bisher Gezeigte also Célines subjektive Perspektive zeigt. Weil Céline die Anwesenheit des Toten noch spürt und in ihren Gedanken bei ihm ist, sehen wir Ramón auf der Leinwand. Letzte Gewissheit bringt der Twist allerdings nicht – das Gesamtbild bleibt diffus.
Rahmen und Unschärfen
Darüber hinaus weist Lacuesta mit weiteren Stilmitteln und Motiven auf die subjektivierte Perspektive hin. Zunächst fallen die vielen Rahmungen auf, die das Bild wiederholt in einzelne Bereiche teilen. Céline und Ramón werden bildlich voneinander getrennt, was ihren gegenläufigen Umgang mit dem traumatischen Erlebnis herausstellt. In einer der ersten Szenen versinkt Ramón im Gitarrenspiel. Er sitzt links im Bild und wird durch den Rahmen einer verglasten Zwischentür gefilmt, so dass der Eindruck eines Bilds im Bild entsteht. Der Mann wird damit seiner direkten Umgebung enthoben, aus Célines Sicht wirkt die Einstellung fast wie ein Erinnerungsfoto. An einer anderen Stelle stehen die Hauptfiguren auf unterschiedlichen Seiten einer Glasscheibe. Auch die Zum Inhalt: Montage trägt zur "Vereinzelung" der Figuren bei. Bei einem Gespräch, das das Paar im gemeinsamen Bett führt, zeigt Lacuesta die Figuren lange in Einzeleinstellungen. Erst am Ende der Szene folgt ein Wechsel in eine Zweiereinstellung, die bei solchen Szenen gemeinhin üblich ist.
Einen ähnlichen Zweck erfüllen die regelmäßigen Zum Inhalt: Schärfeverlagerungen und Unschärfen, die bisweilen wie ein Schnitt funktionieren und die Einstellung in Bereiche aufteilen – der filmwissenschaftliche Begriff dafür lautet "innere Montage". In der erwähnten Szene mit dem Gitarrenspiel wird das Bild plötzlich unscharf, als zeige es eine verschwommene Erinnerung. Die Schärfe verlagert sich in den Bildvordergrund, den Céline betritt. Das Paar befindet sich nun in derselben Einstellung, Ramón verschwindet jedoch im unscharfen Hintergrund. Die Schärfebereiche bauen eine Barriere zwischen beiden auf – sie sind gewissermaßen gemeinsam allein.
Spiegel, Blicke, Close-ups
Ein Leitmotiv des Films sind Spiegelungen. Als Motiv weist der Spiegel auf die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt. Wenn die Hauptfiguren beispielsweise an einer Schaufensterfront vorbeigehen und dabei ihre verzerrten Spiegelbilder zu sehen sind, greift das ihre innere Befindlichkeit auf. Eng verknüpft mit dem Spiegelmotiv ist jenes der Augen. Am Ausdruck der Augen lassen sich Emotionen ablesen, es markiert ebenfalls die Gelenkstelle zwischen Innen und Außen. "Was hast du gesehen?", lautet eine zentrale Frage, als Céline und Ramón bei einem befreundeten Paar zu Besuch sind. Mehrfach rücken die Augen der Hauptfiguren in Close-ups (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen ins Bild – ein klarer Hinweis darauf, dass die Inszenierung ihre subjektive Sicht der Dinge zur Darstellung bringt. Eine Naheinstellung, in der Ramóns Augen geschlossen sind, pointiert die innere Einkehr.
Überhaupt signalisiert die durch die zahlreichen Close-ups erzeugte visuelle Nähe, dass die Erzählung nah an der subjektiven Wahrnehmung von Céline und Ramón bleibt. An einer markanten Stelle braucht es keine Rückblende, um das Trauma zu triggern: Ramón schneidet eine Limette auf, eine ungewöhnlich nahe Einstellung zeigt den Nebel des herausspritzenden Fruchtwassers. Sofort ist die Parallele hergestellt zu dem markanten wiederkehrenden Bild von den Partikeln aus Schießpulver und dem Staub der Toten, die am Tatort unmittelbar nach dem Terroranschlag in der Luft schweben. Der filmische Kniff verdeutlicht, dass Ramóns Gedanken im Bataclan sind.