Kategorie: Interview
"Kunst muss provozieren"
Regisseur Samuel Maoz wurde von israelischen Regierungsmitgliedern für seinen Film "Foxtrot" kritisiert. Im Interview spricht er über diese Vorwürfe und warum die Gesellschaft in seinem Heimatland in seinen Augen traumatisiert ist.
Samuel Maoz wurde 1962 in Tel Aviv geboren. Schon als Kind drehte er mit einer Zum Inhalt: 8mm-Kamera Kurzfilme. Als junger Soldat gehörte er einer Panzerbesatzung an und wurde nach Ausbruch des Libanonkriegs 1982 als Kanonier einberufen. 1987 beendete er sein Filmstudium. Mit seinem Spielfilmdebüt Zum Filmarchiv: "Lebanon" (ISR/F/D/GB 2009) gewann er als erster israelischer Filmemacher den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Zum Filmarchiv: "Foxtrot" (ISR/D/F/CH 2017) ist sein zweiter Spielfilm.
Herr Maoz, was hat Sie zu "Foxtrot" inspiriert?
Ein Ausgangspunkt für "Foxtrot" ist eine persönliche Geschichte. Meine Tochter stand immer zu spät auf. Wir mussten deswegen jeden Tag ein Taxi rufen, damit sie zur Schule kam. Eines Morgens zwang ich sie, den Bus zu nehmen, damit sie lernt, pünktlich zu sein. Sie nahm also die Buslinie 5 in Tel Aviv, die durch das Zentrum führt. Wenig später hörte ich im Radio, dass es einen schweren Anschlag auf diese Linie gegeben hatte. Eine Stunde später kam unsere Tochter nach Hause. Sie hatte den Bus ganz knapp versäumt, und dabei dem Fahrer sogar noch gewinkt, damit er auf sie warten sollte. Das war die schlimmste Stunde meines Lebens, schlimmer als meine Erfahrungen als Soldat im Libanonkrieg 1982. Was kann ich aus dieser Stunde lernen? Nicht viel. Aber das führte mich zu einem weiteren Aspekt: Ich wollte etwas machen über den Spalt zwischen den Dingen, die wir unter Kontrolle haben und den anderen, die wir nicht beeinflussen können. Diese Geschichte ist also auch Resultat einer philosophischen Überlegung: Ist es der Zufall, der alles entscheidet? Einstein hat gesagt: Der Zufall ist Gottes Weise, anonym zu bleiben.
Sie steigern den Zufall aber in "Foxtrot" bis an den Punkt einer schwer verkraftbaren, tragischen Ironie.
Ja. Objektiv kann Jonathan den Zufall als Bestrafung für eine Sünde oder ein Vergehen sehen, für seinen Vater Michael ist das auch eine denkbare Sichtweise. Jemand zahlt immer für Sünden. Wer zahlt für die toten Babys aus den Kriegen, die wir begonnen haben? Man könnte sagen, ich denke Aspekte weiter, die schon im meinem vorherigen Film "Lebanon" (2009) präsent waren. Dort ging es mir um die Beschreibung einer emotionalen Erfahrung, die auch eine visuelle Erfahrung war: Wie sieht der Krieg für einen Soldaten im Inneren eines Panzers aus? Ich habe selbst Schuldgefühle. Ich leide an einem kleinen posttraumatischen Syndrom. Es ist nicht so schlimm, ich bin sogar immer noch optimistisch, aber es hat mich aus dem Leben geworfen. In "Lebanon" ging es um mich, und als der Film herauskam, wurde mir klar, dass ich nicht allein bin.
In "Foxtrot" ist Jonathan als Soldat an einem Kontrollpunkt in der Einöde eingesetzt. Warum haben Sie die Zum Inhalt: Szenerie bewusst unrealistisch inszeniert?
Ich wusste, dass ich es mit einem heiklen Thema zu tun habe: die Streitkräfte. Man darf seine Erlösungsmaschine nicht kritisieren. Da macht man sich zum Verräter. Die Streitkräfte haben uns von unseren vergangenen Traumata erlöst, der Sechstagekrieg 1967 hat das ganze Land stolz gemacht, auch meine Eltern. Ich wollte eine Allegorie erschaffen. Die Armee sind wir, es ist eine Volksarmee. Ich wollte also eine traumatisierte Armee zeigen. Ich wollte die Allegorie deutlich machen, der ganze Mittelteil von "Foxtrot" sollte surreal wirken. Die Realität sinkt immer mehr ein, wird immer schiefer. Das ist wie eine intuitive Übersetzung meiner inneren Welt. Wenn man nur schreit, wird niemand hinhören. Wenn aber ein bisschen Humor dabei ist, wird es leichter, etwas zu akzeptieren.
Der Film beginnt mit einem Schock: Eine Familie bekommt die Nachricht vom Tod ihres Sohns. Danach läuft das ganze Protokoll ab: Betreuung, Beerdigungsvorbereitung. Auch hier wirkt vieles überzeichnet.
Im Kern läuft das auch in der Wirklichkeit so ab, aber ich lasse es ein bisschen grotesk wirken. Kunst muss provozieren.
Verarbeiten Sie immer noch die eigenen Erfahrungen als Soldat?
Wenn du 18 bist und Soldat, geht es nicht um Rechtfertigung des Kriegs oder um Pazifismus. Es geht nur darum, das zu tun, wofür du hingestellt wirst – und ich habe das getan. Ich wollte das so zeigen, damit ich mir vergeben kann. Eine Situation, aus der es keinen Ausweg gibt. Aber letztendlich sind es meine Finger, meine Entscheidungen. Bis heute ist die bloße Tatsache, dass ich dabei war, das alles Entscheidende. Eines Morgens, nachdem "Lebanon" im Kino herausgekommen war, wurde mir klar, warum wir uns in Israel so verhalten, wie wir das tun. Es ist eine sehr umfassende Antwort, die auch erklärt, warum das Leben in Israel so teuer ist, warum die Gesellschaft rassistisch ist, warum wir seit 50 Jahren Besatzungsmacht sind: Wir sind eine traumatische Gesellschaft. Diese instinktive Erinnerung, die sich von Generation zu Generation weitergibt, werden wir nicht los. Wir sind in einem ewigen Krieg. Ich sage nicht, dass Israel nicht bedroht ist. Aber wir sind immerhin eine Atommacht. Das genügt aber nicht. Kürzlich haben wir wieder drei U-Boote gekauft, übrigens aus Deutschland. Stattdessen könnte man auch eine Million hungriger Kinder ernähren. Das ganze Geld geht aber in die nationale Sicherheit. Warum geht das Geld in die falsche Richtung? Wegen des Traumas.
Das müsste erklärt werden: War der Libanonkrieg im Jahr 1982 in Ihren Augen ein Sündenfall für Israel?
Ich denke, ja. Es ist auch logisch. Die Kriege davor bis zum Sechstagekrieg 1967 waren Selbsterhaltungskriege. Aber vom Yom Kippur-Krieg an (1973) wurde die Armee immer größer, immer technologischer, die Kriege wurde unklarer in ihrer Motivation. Die Siege der Armee wurden auch immer unklarer. Der Libanonkrieg fand außerhalb des Staatsterritoriums statt. Normalerweise hat man in einem Krieg zwei Armeen, unterschieden durch Uniformen, und es geht darum, ein Territorium zu erobern oder zu verteidigen. Im Libanon haben die Feinde Jeans getragen, und wir kämpften in Stadtvierteln. Da hat sich etwas verändert.
Wie waren die Reaktionen in Israel auf "Foxtrot" ?
Die Kulturministerin hat den Film angegriffen, ohne ihn gesehen zu haben. Sie hat sich im Grunde genauso verhalten, wie ich es im Film beschreibe. Sie wollte "Foxtrot" vertuschen, aber das Gegenteil erreicht. Man kann über den Film reden, dann wird man feststellen, dass es sich nicht um ein Zum Inhalt: Dokument handelt. Ich erzähle eine Geschichte, keine objektive Wahrheit. Aber weil ich mich mit der Armee beschäftige, die unsere Befreiung von früheren Traumata symbolisiert, werde ich des Verrats bezichtigt. Dass ich selber im Libanonkrieg war, dass ich einen hohen Preis dafür gezahlt habe, spielt keine Rolle mehr. Der Vorfall lässt die radikale Spaltung in unserer Gesellschaft erkennen. Wir befinden uns in Israel inzwischen in einem Kampf um Grundwerte: Redefreiheit, künstlerische Freiheit stehen auf dem Spiel.
Weiterführende Links
- External Link israelnetz.com: Silberner Löwe für israelischen Regisseur – Kritik von der Regierung
- External Link qantara.de: Wie ein Film in Israel Politik macht
- External Link Jüdische Allgemeine: Ein Land als Leinwandstar
- External Link Jüdische Allgemeine: Streit um israelisches Filmfestival in Paris