Kategorie: Videoanalyse
Mindscreen – subjektives Erzählen in "Fabian oder der Gang vor die Hunde"
Die Videoanalyse untersucht, wie Regisseur Dominik Graf das personale Erzählen in Kästners Roman ins Filmische überträgt.
In Erich Kästners Roman Der Gang vor die Hunde gibt die Erzählung ausschließlich die Wahrnehmung der Hauptfigur Fabian wieder. Unsere Videoanalyse zeigt, wie Dominik Graf in seiner Adaption versucht, dieses personale Erzählen filmisch umzusetzen.
Im Folgenden können Sie die Videoanalyse auch im Textformat nachlesen:
Sachbearbeiterin: "Fabian, Jakob. Dr. Hier steht‘s: Seit drei Jahren wohnhaft in der Schaperstraße 4 … Noch immer alles korrekt?" – Fabian: "Alles korrekt, ja."
Sprecher: Germanist, Werbetexter und nun also: arbeitslos. 1931, mitten in der Wirtschaftskrise, lässt sich Fabian durch Berlin treiben – und der Film mit ihm.
Erzählerin im Film: "Sonntag Nacht." – Erzähler im Film: "Komm, wir fahren ins Kabarett der Anonymen‘, sagte Labude nach seiner Rückkehr aus Hamburg. – Was ist das? – Ich kenne es auch noch nicht. Ein findiger Kerl hat ein paar Verrückte auf der Straße aufgelesen und lässt sie singen und tanzen."
Sprecher: Im Roman von Erich Kästner ist Fabian eine Zum externen Inhalt: Reflektorfigur (öffnet im neuen Tab): Die Erzählung gibt nur seine Wahrnehmung wieder, seine Gefühle, seine Gedanken. In der Literatur heißt das: personales Erzählen. Oder, nach Gérard Genette: Zum externen Inhalt: interne Fokalisierung (öffnet im neuen Tab). Aber egal, wie man es nennt: Die Erzählung bleibt auf die subjektive Wahrnehmung der Hauptfigur beschränkt. – Fabian: "Bitte?"
Sprecher: Wie kann ein Film subjektiv erzählen? Dafür gibt es zunächst zwei ziemlich einfache Tricks. Beide setzt der Regisseur Dominik Graf hier auch ein. Trick Nummer 1: Eine Zum Inhalt: Voiceover-Stimme schildert Fabians Gedanken. Erzähler im Film: "Fabian dachte: Das wächst sich zum Beruf aus und hatte eine Viertelstunde später 65 Pfenninge verdient.“ – Fabian: "Hhm, das wächst sich ja langsam zum Beruf aus."
Sprecher: Trick Nummer 2: Die Zum Inhalt: subjektive Kamera. Hier zeigt die Zum Inhalt: Einstellung exakt die Perspektive von Fabian. Fabian: "Was soll ich denn jetzt machen?" – Sachbearbeiterin: "Watt weeß ick? Steine kloppen?“
Sprecher: Diese Techniken finden sich in "Fabian" aber nur vereinzelt. Den ganzen Film nur aus Fabians Perspektive zu sehen und zu hören, wäre ziemlich ungewohnt. Tom Schilling muss der Hauptfigur ja auch ein Gesicht geben. Dominik Graf hat deshalb eine komplexere Form gefunden, um von Fabians Innenwelt zu erzählen. Wir sehen jetzt die ersten 40 Sekunden einer Zum Inhalt: Sequenz aus dem Film. Zunächst ohne Kommentar. Warum könnte man hier von subjektivem Erzählen sprechen?
SEQUENZ: Fabian als Türöffner
Sprecher: Als erstes fällt der hektische Rhythmus auf: Die Straßenaufnahmen sind schnell montiert (Glossar: Zum Inhalt: Montage) und mit Zum Inhalt: Zeitraffer beschleunigt. Ständig wechselt die Zum Inhalt: Kameraperspektive. Fabian selbst wird mit einer unruhigen Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) gefilmt. Die Wirkung dieser Bilderfolgen entspricht Fabians Grundgefühl: Nervosität. Abrupt, für nicht mal eine Sekunde, sind an zwei Stellen Zum Inhalt: Rückblenden dazwischengeschnitten. Der Blick auf Cornelia markiert sie als subjektive Erinnerung.
Auch die Zum Inhalt: Tonspur spiegelt Fabians Wahrnehmung: Ein platzender Luftballon klingt wie ein Schuss – Fabians Trauma vom Ersten Weltkrieg. Diese filmische Form der Subjektivierung kann man als Zum externen Inhalt: Mindscreen (öffnet im neuen Tab) bezeichnen. So, als würde Fabians Perspektive wie ein Filter über den Bildern und Tönen liegen.
Erzähler im Film: "Er steckte die Münze ein, trat trotzig an den Straßenrand…"
Sprecher: Wenn Fabian auf die Straße schaut, sieht er in Schwarz-Weiß (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) das reale Berlinaus der Zeit des Romans. Erzähler im Film: "Wenn jetzt Labude vorbeikäme und den literarisch-historisch ausgebildeten Türöffner sähe …"
Sprecher: Modern, politisch umkämpft, voller sozialer Gegensätze. Ein zeitgenössischer Blick, der sich von unserer historischen Perspektive unterscheidet.
Erzähler im Film: "Fabian dachte: Das wächst sich zum Beruf aus und hatte eine Viertelstunde später 65 Pfennige verdient.“ – Fabian: “Hhm, das wächst sich doch langsam zum Beruf aus."