In einer Pressemeldung zur gefeierten Premiere von Zum Filmarchiv: "12 Years a Slave" (Steve McQueen, USA, Großbritannien 2013) während des Toronto International Film Festivals 2013 heißt es, dass die Aufführung von "Tränen und Schreckensschreien" begleitet war und zahlreiche Zuschauende "wegen der Darstellung von brutalen Folterszenen" den Saal verließen. Schlagzeilen wie diese tragen unweigerlich zur Werbung für den Film bei, denn das Spektakuläre hat zurzeit Hochkonjunktur – in allen Medien. Sie führen allerdings auch zur berechtigten Frage, ob ein solcher Film trotz wichtiger Themen wie Sklaverei, Menschenwürde oder der fragilen Natur von Freiheit für Jugendliche und insbesondere für den Einsatz im Schulunterricht geeignet sei.

Das Leiden eines Menschen

Foto: TOBIS Film

Die Geschichte von "12 Years a Slave" beruht auf der autobiografischen Erzählung von Solomon Northup. Es ist die Geschichte eines Menschen, der eben noch in Freiheit lebend, plötzlich aller Menschenrechte beraubt und versklavt wird. Misshandlungen, Mord und Demütigungen innerhalb dieses auf Gewalt basierenden Unrechtssystems sind sowohl Ausdruck eines gelebten Rassismus als auch Mittel der Unterdrückung. So erwacht Northup nach einem Abend mit vermeintlichen Auftraggebern, halbnackt und in Ketten. Herausgerissen aus seinem sozialen Umfeld, ohne Papiere, die ihn als freien Mann mit einem eigenen Namen ausweisen, und bei erstem Widerwort verprügelt, ist er gleichermaßen schutz- wie hilflos. Welch kostbares Gut Freiheit ist, wird in diesem Moment nicht nur der Hauptfigur schmerzlich bewusst, sondern auch dem Publikum im Kinosaal. Northup ist fortan als Entrechteter der Willkür der Sklavenhändler und -halter ausgesetzt und muss jederzeit mit psychischer und physischer Gewalt rechnen – eine furchtbare Ungewissheit, die sich auf die Zuschauenden übertragen kann, die das Leiden der Hauptfigur auf der Leinwand mitverfolgen und ebenfalls mit allem rechnen müssen.

Gewaltdarstellung nur als Selbstzweck?

Northups Martyrium – wie auch die vom Regisseur intendierte Anklage des Sklaverei-Systems – wird für das Publikum nachvollziehbar durch die "relativ" präzise Inszenierung dessen, was ihm in der Versklavung widerfährt. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Geschichte und das Handeln der Figur unglaubwürdig erscheinen könnten. Das Gleiche gilt für seine jahrelange Gefangenschaft, in der neben direkten Gewaltformen auch die allgegenwärtige strukturelle Gewalt verdeutlicht wird. Sie äußert sich beispielsweise in einer Szene, in der Northup auf der Plantage aufgehängt wird und zu ersticken droht, während von den anderen Sklaven/innen kaum jemand Notiz von ihm nimmt, gehören derartige Torturen doch zu ihrem Alltag. Zugleich verdeutlicht besonders diese Szene die Folgen von struktureller Gewalt: Jede/r Betroffene/r führt einen eigenen Überlebenskampf; Empathie bleibt dabei auf der Strecke. Den Vorwurf, die Darstellung von Gewalt nur spekulativ einzusetzen, kann man "12 Years a Slave" jedenfalls nicht machen.

Film und Wirkung

Ein Film entsteht immer individuell im Kopf des Zuschauenden. Die Kraft der Fantasie ist insofern ungleich intensiver und stärker einzuschätzen, als die Machart eines Films. Seine Wirkung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, etwa den persönlichen Erwartungshaltungen. Hierzu gehört auch die Einschätzung, ob sich etwas aus dem Film für das Verständnis von Zusammenhängen oder für die Bewältigung der eigenen Lebensrealität übernehmen lässt. So bietet "12 Years a Slave" viele gesellschaftspolitisch relevante Ansatzpunkte mit historischen und gegenwartsbezogenen Anknüpfungspunkten insbesondere zu den verschiedenen Formen der Sklaverei (auch in der Gegenwart), zur Bedeutung von Freiheit und zum Wert der Menschenwürde, die sich in der Nachbereitung produktiv nutzen lassen. Noch wichtiger für die Filmrezeption ist das allgemeine wie auch historische Vorwissen der Zuschauenden, das bei "12 Years a Slave" eine große Rolle spielt, sowie persönliche Medien- und Alltagserfahrungen – auch im Zusammenhang mit Gewalt. Die Wirkung eines Films und die subjektive Wahrnehmung der Gewaltdarstellung lassen sich daher nur annäherungsweise bestimmen. Folglich dürfen Schüler/innen nicht gezwungen werden, den Film zu sehen oder Aufgaben zu bearbeiten, die sich explizit auf die Gewaltszenen beziehen. Sie müssen auf solche Szenen vorab hingewiesen und dabei in ihrem natürlichen Selbstschutzinstinkt bestärkt werden, für kurze Momente die Augen und Ohren zu schließen. Und sie sollten auch das Recht haben, den Kinosaal für wenige Minuten verlassen zu dürfen.

Darstellungsformen und Kontextualisierung von Gewalt

Foto: TOBIS Film

Steve McQueen und sein Filmteam haben sich entschieden, den Film den aktuellen Sehgewohnheiten anzupassen, wozu heute fast immer auch explizite Gewaltdarstellungen gehören, die in diesem Fall allerdings die oben genannte dramaturgische Funktion haben. Dennoch gibt es auch andere filmische Mittel, mit denen sich das der Hauptfigur zugefügte Leid und ihr Überlebenskampf darstellen ließe. Ari Folman etwa thematisiert in seinem dokumentarischen Animationsfilm Zum Filmarchiv: "Waltz with Bashir" (Deutschland, Frankreich, Israel 2008) die Massaker in zwei Flüchtlingslagern während des ersten Libanonkrieges 1982 und bereitet dies durch eine extreme künstlerische Verfremdung auf. Ebenso denkbar ist es, die Darstellung von Gewalt aus dem unmittelbaren Blickfeld zu rücken und sie beispielweise auf die Tonebene zu verlagern – ein Verfahren, das der französische Filmkünstler Robert Bresson seinerzeit bis zur Perfektion betrieben hat. Aber würde ein solches Vorgehen heute, in einer Zeit der veränderten Sehgewohnheiten, noch adäquat sein, um die aus konkreten gesellschaftlichen Umständen resultierende Gewalt und ihre desaströsen Folgen aufzuzeigen? In einer besonders schwer zu ertragenden Szene in "12 Years a Slave" wird Solomon Northup von seinem Peiniger Edwin Epps gezwungen, eine junge Sklavin auszupeitschen und ihren Tod in Kauf zu nehmen. Diese zweifache Entwürdigung – das Gefühl von Ohnmacht und die verzweifelte Lage der Hauptfigur, die vom Opfer zum Täter gemacht wird – sind schockierender als die bloße Darstellung von physischer Gewalt. Denn diese lässt sich bis zu einem gewissen Grad als filmische Inszenierung mit Tricks und Kunstblut "rationalisieren". Eine strukturell ähnlich gelagerte Szene findet sich übrigens auch in "James Bond 007 – Skyfall" (Skyfall, Sam Mendes, 2012), doch wird diese niemanden zum Verlassen des Kinosaals motivieren. Mit anderen Worten: In beiden Fällen hilft die Kontextualisierung einer Gewaltszene – hier ein historisches Drama über Sklaverei, dort ein Actionthriller –, verbunden mit der sicheren Erwartung über den positiven Ausgang der Geschichte, die dargestellte Gewalt besser zu verarbeiten.

Was darf man Jugendlichen zumuten?

Jugendlichen, insbesondere im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, wird diese Fähigkeit zur Verarbeitung und zur Kontextualisierung von Gewalt oft noch abgesprochen. Häufig geschieht dies durch Erwachsene, die eine völlig andere Mediensozialisation erfahren haben und mit der Generation der "Digital Natives", ihren Seherfahrungen und ihrem Rezeptionsverhalten wenig vertraut sind. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die die beiden letztgenannten Filme ab 12 Jahren freigegeben hat, trägt dieser Entwicklung im Grundsatz Rechnung. Bei den Freigaben handelt es sich nicht um Empfehlungen, sondern ausschließlich um die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen. In mittlerweile vier Projekten zur "Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen", die seit 2002 mit Schüler/innen durchgeführt wurden, kamen erstaunliche Ergebnisse zum Rezeptionsverhalten junger Menschen zutage, die die aktuelle "Spruchpraxis" beeinflussten. Demnach besteht kein Zweifel daran, dass Jugendliche heutzutage, ohne Schaden zu nehmen oder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt zu werden, Gewaltszenen in ihren Gesamtkontext einordnen und diese auch verarbeiten können, zumal dann, wenn der Film nachbearbeitet wird und sie im Gespräch auch offen über ihre Ängste und Gefühle reden können.