Kategorie: Interview
"Es besteht eine direkte Verbindung zwischen 1853 und 2013."
Ein Gespräch mit Steve McQueen über seinen Film 12 Years a Slave und die gesellschaftliche Aufarbeitung der Sklaverei in den USA.
Ein Gespräch mit Steve McQueen über seinen Film "12 Years a Slave" und die gesellschaftliche Aufarbeitung der Sklaverei in den USA.
Steve McQueen, 1969 in London geboren, zählt zu den bekanntesten britischen Video- und Konzeptkünstlern und wurde 1999 für seine Arbeit mit dem renommierten Turner Preis geehrt. Sein Regiedebüt "Hunger" (Großbritannien 2008) über die letzten Lebenswochen des IRA-Häftlings Bobby Sands wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2008 uraufgeführt und gewann dort die Goldene Kamera für den besten Debütfilm. Nach seinem Drama "Shame" (Großbritannien 2011) über einen Sexsüchtigen ist Zum Filmarchiv: "12 Years a Slave" (USA 2013) seine dritte Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Michael Fassbender. Der Film gilt als Titelanwärter bei der Oscar®-Verleihung 2014.
Mr. McQueen, wie sind Sie auf das Buch von Solomon Northup gestoßen?
Ich hatte das Bedürfnis, einen Film über das Thema Sklaverei zu machen, weil meiner Meinung nach bislang kein Film die Geschichte der Sklaverei richtig erzählt hat. Ich hatte schon länger an der Geschichte eines freien Mannes gearbeitet, der entführt und versklavt wird, bin aber irgendwann nicht mehr weiter gekommen. Meine Frau empfahl mir daraufhin, Berichte von ehemaligen Sklaven zu lesen. So stieß ich auf das Buch von Solomon Northup, was einer Offenbarung gleichkam. Ich kam mir fast etwas dumm vor, weil ich annahm, dass 12 Years a Slave zum literarischen Kanon zählte. Zu meiner Verblüffung musste ich aber feststellen, dass das Buch in Vergessenheit geraten war.
Sie vergleichen Northups Bericht mit den Tagebüchern von Anne Frank. Inwiefern ähneln sich die beiden Geschichten?
Beide haben über ihre Erfahrungen in einem Schreckensregime geschrieben. Ihre Bücher sind also Zeugnisse aus erster Hand.
Welche Recherchen haben Sie im Vorfeld angestellt?
Das Buch von Solomon Northup ist bereits sehr detailliert. Ich nahm außerdem Kontakt zu Henry Louis Gates, einem ausgewiesenen Experten für afroamerikanische Kultur, auf. Auf viele wichtige Informationen bin ich im Austausch mit Historikern oder durch Nachforschungen in Museen gestoßen. Es ging mir darum, die historischen Details, die Sprache und die Rituale so authentisch wie möglich wiederzugeben.
Auch ihre Gewaltdarstellung ist erschreckend realistisch. Sie zwingen das Publikum zum Hinsehen. Ist Authentizität Ihrer Meinung nach der Schlüssel, um als Außenstehender die Erfahrung der Sklaverei besser zu verstehen?
Wer einen Film über Sklaverei macht, sollte so ehrlich sein, die Dinge zu zeigen, wie sie sich über Hunderte von Jahren abgespielt haben. Sonst kann man es gleich sein lassen. Aber genauso wichtig wie die Darstellung von physischer Gewalt war es für mich, die psychische Gewalt, die Entwürdigung, die Sklaven erdulden mussten, zu porträtieren.
Als "Django Unchained" von Quentin Tarantino 2012 in die Kinos kam, gab es große Kontroversen um die korrekte Darstellung der Geschichte der Sklaverei. Teilen Sie die Kritik an seinem Film?
Man kann "12 Years a Slave" und "Django Unchained" schwer miteinander vergleichen, weil sie sehr unterschiedliche Ansätze der Auseinandersetzung mit dem Thema Sklaverei wählen. Aber beide Filme haben ihre Berechtigung. Wir brauchen mehr Filme, die sich mit diesem Thema befassen.
Denken Sie, dass wir uns gerade am Beginn oder schon mitten in einer neuen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Sklaverei befinden?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich stelle allerdings fest, dass die Diskussionen momentan viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. "12 Years a Slave" hat das Thema wieder an die Oberfläche befördert. Schwer zu sagen, wohin uns das führt. Aber ich hoffe, dass wir in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sklaverei endlich Fortschritte machen. Es hat sicherlich auch mit dem derzeitigen politischen Klima in den USA und der Präsidentschaft Barack Obamas zu tun, dass mehr Filmemacher das Gefühl haben, solche Geschichten erzählen zu können.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf einiger Kritiker, dass ein Film wie "12 Years a Slave" in erster Linie auf das Schuldgefühl eines weißen, liberalen Publikums abzielt?
Es geht hier nicht um Hautfarbe, genauso wenig spricht mein Film ein bestimmtes Publikum an. "12 Years a Slave" läuft in den USA sowohl in Programm- als auch in Multiplexkinos. Das finde ich an sich schon eine erstaunliche Leistung. Die Leute wollen sich wieder verstärkt mit der jüngeren Geschichte ihres Landes beschäftigen.
Seit 2012 kamen vier große Filme über Sklaverei aus Hollywood: , "Django Unchained" , und nun Ihr Film. Was können diese Filme über die heutige Gesellschaft und die afroamerikanischen Lebensverhältnisse in den USA erzählen?
Beantworten kann ich diese Fragen auch nicht. Die Filme erfüllen aber eine wichtige Funktion: Sie haben eine Debatte ausgelöst. Und das war dringend nötig.
Aber wäre ein Film über afroamerikanische Jugendliche, die heutzutage ein Drittel der Gefängnispopulation in den USA ausmachen, nicht viel dringlicher?
Wir könnten Filme über das Bildungswesen, die amerikanischen Gefängnisse oder über die hohe Verbrechensrate machen, aber manchmal ist es erhellender, die Wurzel des Übels näher zu betrachten. Es besteht eine direkte Verbindung zwischen 1853 und 2013. Die Vergangenheit hat eine gewaltige Bedeutung für das Verständnis unserer Gegenwart.