Kategorie: Serienbesprechung + Arbeitsblatt
"Sweet Tooth"
Die abenteuerliche Suche eines Mensch-Tier-Jungen nach seiner Mutter in Zeiten einer verheerenden Pandemie
Unterrichtsfächer
Thema
Zehn Jahre nach dem Ausbruch einer tödlichen Pandemie ist ein Großteil der Menschheit dahingerafft. Der zehnjährige Gus lebt mit seinem Vater abgeschieden im Yellowstone Nationalpark. Als zu Beginn der Seuche geborenes Mensch-Tier-Hybridkind hat der Junge ein Hirschgeweih und spitze, seitlich abstehende Ohren, kann aber anders als die meisten Hybridkinder sprechen und lesen. In der Außenwelt lauert für ihn gleich doppelt Gefahr, denn die immunen Tier-Mensch-Kinder gelten wahlweise als Auslöser oder Folge der Seuche und werden von den paramilitärischen "Last Men" gejagt. Als sein Vater stirbt, heftet sich Gus an die Fersen des Wilderers Jepperd. Der versucht erst, das Hirschkind abzuwimmeln, doch Gus bleibt hartnäckig und will mit dem "großen Mann" nach Colorado, wo er seine Mutter vermutet. Unterwegs trifft das ungleiche Duo diverse Gemeinschaften mit jeweils eigenen Überzeugungen und Regeln. Währenddessen baut Aimee, eine Stadtbewohnerin, die in einem früheren Tierpark Zuflucht vor der Pandemie gefunden hat, ein Reservat für Hybridwesen auf – und der Arzt Dr. Singh forscht in einer vordergründig idyllischen Siedlung an einem Gegenmittel.
Die Netflix-Serie basiert auf der gleichnamigen Graphic-Novel-Reihe (2010-13) von Jeff Lemire, die freie Zum Inhalt: Adaption entschärft die düstere Vorlage jedoch für ein Jugendpublikum. "Sweet Tooth" entwirft trotz omnipräsenter, aber nicht explizit gezeigter Gewalt keine deprimierende Endzeit, sondern ein munteres Zum Inhalt: Coming-of-Age-Abenteuer mit Spannung, Humor und viel aufwühlender Zum Inhalt: Musik, bei dem nicht nur der Off-Erzähler (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) an ein Märchen erinnert. Irgendwo zwischen Huckleberry Finn und aktuellen Dystopien in Filmen und Serien wie "The Walking Dead" (seit 2010) erschafft die achtteilige Serie eine facettenreiche Welt voller ambivalenter Charaktere und Gruppen, die moralisch zwiespältige Entscheidungen fällen. Das Leitmotiv der zurückgekehrten Natur zeigt sich unter anderem in der prächtig gefilmten, durch Computereffekte (Glossar: Zum Inhalt: Visueller Effekt) konturierten Landschaft ( Zum Inhalt: Drehort/Setwar Neuseeland) und der Fusion von Mensch und Natur in den Hybridkindern. Dabei zuzuschauen wie Gus mal staunend, mal ausgelassen oder angsterfüllt die Welt entdeckt, ist durchweg unterhaltsam.
Auch vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie bietet die Prämisse in den Fächern Deutsch oder Ethik ein Gespräch über den menschlichen Umgang mit der Bedrohung an. Gruppierungen wie die militanten "Last Men", eine rebellische "Tier-Armee" oder eine eremitische Familie (re-)agieren gegensätzlich. Themen wie Solidarität und Vertrauen einerseits, Misstrauen und Gewalt andererseits prägen die Begegnungen; bereits die ersten beiden Episoden zeigen Beispiele konträrer Herangehensweisen. Dass die Tier-Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit und vermeintlichen Virenbelastung als "Freiwild" gelten, kann ein Gespräch über das Menschsein einleiten. Was zeichnet Menschen aus, wo liegen Parallelen und Unterschiede zu Tieren? Ist Gus eher ein Mensch, eher ein Tier oder beides zugleich? Der Junge sucht seine Identität: Erst hält er ein Reh für seine Mutter, dann will er seine Menschenmutter finden. Ein zentraler Aspekt ist das Wiedererstarken der Flora und Fauna. Dass an Orten, wo das Virus zirkulierte, hinterher Blumen sprießen, ist nur eins der vielen eindrücklichen Naturbilder, die eine Diskussion zum menschlichen Einfluss auf die Umwelt anregen. Darüber hinaus bieten die Verweise der Serie auf ihre narrative Konstruktion eine dramaturgische Analyse an. Schon zu Beginn offenbart der Erzähler "Dies ist eine Geschichte" und sinniert über Anfang und Ende einer Erzählung. Wie verändert diese Offenlegung die Rezeption?