Kategorie: Filmbesprechung
"Titanic"
Zum 25. Jubiläum wieder im Kino: James Camerons Liebesdrama über den Untergang der Titanic
Unterrichtsfächer
Thema
Die Welt hielt den Atem an, als am 15. April 1912 der angeblich unsinkbare Luxusliner Titanic, der sich auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York befand, in den Fluten verschwand und 1.500 Menschen im eiskalten Atlantik den Tod fanden. Als Ausgangspunkt der Neuverfilmung dieser Tragödie nimmt Regisseur James Cameron den Glücksritter Brock Lovett, der im Wrack den unschätzbaren Diamanten "Herz des Ozeans" sucht, aber nur eine Aktzeichnung findet, die eine Liebesgeschichte offenbart. Es ist die Geschichte der damals 17-jährigen Rose DeWitt Bukater, eine ungewöhnliche Love-Story vergleichbar mit der in "Vom Winde verweht" ("Gone with the Wind" , Victor Fleming, USA 1939).
Die junge Amerikanerin Rose reist mit ihrer Mutter und ihrem Verlobten, einem kaltherzigen Millionenerben, in der ersten Klasse. Aus Verzweiflung über ihr sinnentleertes Dasein will sie sich das Leben nehmen, wird aber von dem jungen, künstlerisch ambitionierten Jack Dawson, einem Passagier vom billigen Zwischendeck, von ihrem Vorhaben abgebracht. Mit Charme entführt er das Mädchen aus ihrem goldenen Käfig, intensiv genießen die beiden den Moment der ersten Liebe, verspielt und voller Hoffnung. Doch ihnen bleibt nur wenig Zeit, ihre Emotionen entgegen den gesellschaftlichen Konventionen auszuleben. Das Schiff steuert unaufhaltsam dem Unglück entgegen. Auch wenn das Traumschiff am Eisberg zerschellt, der Traum von der ewigen Liebe wird bleiben.
"Die Tragödie der Titanic hat in unserer kollektiven Vorstellung fast mythische Qualitäten angenommen. Die Zeit hat ihr das menschliche Antlitz und die Lebendigkeit geraubt. Ich hoffe, dass die Beziehung von Rose und Jack ein emotionales Licht setzt, das es den Zuschauern erlaubt, ihre Gedanken und Gefühle so zu mobilisieren, dass Geschichte wieder lebendig wird." (James Cameron)
Der Perfektionist Cameron entwirft ein Szenario von tiefsten Gefühlen und moralischem Versagen, eine Liebestragödie vor dem Hintergrund kollektiver Panik, feigem Egoismus und individueller Courage. Geschickt verbindet der Kanadier Vergangenheit und Gegenwart, Moderne und Mythos. Wenn Lovett zu Beginn durch Computersimulation die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Gründe, warum der Koloss mit wasserdichten Schotten binnen nur zwei Stunden sank, am Monitor darstellt, muss sich Cameron später nicht mehr um Erklärungen bemühen, warum sich das Heck 75 Meter aus dem Wasser hob und das Schiff noch an der Wasseroberfläche auseinanderbrach. Mit diesem formalen Wissen ausgerüstet wird man mit dem Leben auf dem "Schiff der Träume" konfrontiert, dem gesellschaftlichen Mikrokosmos, der strikten Trennung der sozialen Klassen, dem eleganten, aber langweiligen Müßiggang der Reichen und der Abenteuer- und Lebenslust der zumeist armen Emigranten, die im Bauch des Schiffes einer ungewissen Zukunft in der Neuen Welt entgegenfiebern.
Da der Zuschauer weiß, was die Titanic erwartet, kann sich Cameron dem Sujet aus drei Richtungen nähern: emotional, intellektuell und bildhaft-sinnlich. So ist sein Film mehr als ein simpler Katastrophenfilm; er behandelt die universelle Frage der psychologischen Reaktion auf den herannahenden Tod. Camerons Interesse konzentriert sich neben der intensiven Liebesgeschichte ausführlich darauf, wie sich das Individuum angesichts des Todes verhält, von der ersten Abwehr bis zur Akzeptanz des Unabänderlichen, vom alptraumhaften Kampf eines jeden gegen jeden bis zum Abschied mit Würde.
"Die Titanic war der erste Weckruf des 20. Jahrhunderts … Die Jungfernfahrt … endet in einem unvorstellbaren Albtraum und das Vertrauen der Menschheit in ihre eigene, unerschütterliche Kraft war für immer zerstört, einzig und allein durch menschliche Schwächen: Unwissenheit, Selbstgefälligkeit und Habsucht." (James Cameron)
Die Titanic galt als Symbol westlicher Zivilisation und Lebensform. Als die nur halb vollen Rettungsboote sich entfernen und 1.500 Menschen ihrem Schicksal überlassen bzw. die im eiskalten Wasser Treibenden nicht aufnehmen, da zerbrachen auch die Ideale von Zivilisation und Humanität. Die authentischen und beklemmenden Bilder von den Überresten der echten Titanic verursachen eine Gänsehaut, ahnt man doch, welche Dramen sich abgespielt haben müssen.
Camerons Zum Inhalt: Inszenierung regt an, darüber nachzudenken, wie man selbst in solchen Situationen reagieren würde, schenkt der Schuld und dem Schuldgefühl der Geretteten Aufmerksamkeit, denn das Überleben war eine Frage des Geschlechts und der Klassenzugehörigkeit (60 Prozent der Erste Klasse-Passagiere überlebten, von den Frauen dort fast 100% aber nur jede vierte und ein Zehntel der Männer in der dritten Klasse). Aber nicht nur der Glaube an die Zivilisation und ihre Errungenschaften zerbrach, sondern auch der blinde Glaube an den technischen Fortschritt. In einer Zeit, in der alles machbar schien – die neuesten Entdeckungen waren Automobil, Flugzeug, Film, Tonaufnahmen und Funkverbindungen – geriet die Illusion von der Allmacht der Technik und der Beherrschbarkeit von Naturgewalten plötzlich ins Wanken. Während heute die Katastrophen tagtäglich auf den TV-Konsumenten einwirken und durch ihre Vielzahl kaum noch berühren, spricht der Untergang der Titanic eine irrationale Seite im Betrachter an. Dadurch, dass Cameron Fiktion und Wahrheit mischt, auf die Wirkung von Emotionen und grandiosen Bildern setzt und den (auch furchtbarsten) Fantasien Raum lässt, verstärkt er den "Mythos Titanic" noch. In der Tiefe des Meeres versank eben mehr als nur ein Schiff …