Im bergigen Nordosten der Türkei lebt der sechsjährige Yusuf mit seinen Eltern. Neugierig folgt er seinem Vater Yakup regelmäßig in die tiefen Wälder, in denen dieser als Imker den Lebensunterhalt für die Familie verdient. Während Yusuf in der Schule große Schwierigkeiten mit dem Lesen hat und kaum ein Wort herausbringt, kann er sich im Wald flüsternd seinem Vater mitteilen. Kein Wort mehr spricht Yusuf jedoch, als sein Vater eines Tages mit seinen Körben in eine andere Gegend aufbrechen muss, weil ein seltsames Bienensterben seine Ernte zunichte gemacht hat. Als sein Vater nicht zurückkehrt, macht sich Yusuf auf den Weg, ihn zu suchen.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Der Film ist der letzte Teil einer Trilogie, in der Semih Kaplanoğlu in rückläufiger Chronologie von dem künstlerischen Werdegang eines Dichters in der ländlichen Umgebung Anatoliens erzählt. Auch in "Bal – Honig" dient das Kino als Türöffner in eine unbekannte Welt voller Geheimnisse. Semih Kaplanoğlu vermittelt die Geschehnisse über sinnliche Eindrücke, vor allem über die Geräuschebene. Wird das Sounddesign eines Films in der Regel selten bewusst wahrgenommen, rückt es bei Kaplanoğlu ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil die überaus ruhigen, statischen Kameraeinstellungen nicht ablenken (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen). Ungewohnt intensiv klingt das Rauschen der Blätter im Wind, das Summen der Bienen – als ob das Natürliche erst durch diese Betonung dem Menschen wieder nahegebracht werden müsste. "Bal – Honig" verlangt von seinem Publikum viel Geduld, weil er Sehgewohnheiten unterwandert und dem schnellen Zum Inhalt: Montagerhythmus vieler aktueller Produktionen eine andere Zeiterfahrung gegenüber stellt.

Durch die Augen von Yusuf eröffnet sich für die Zuschauenden ein aufmerksamer Blick auf die unmittelbare Natur sowie beinahe archaisch anmutende Traditionen – wie etwa die detailliert gezeigte Gewinnung des Honigs aus den goldgelben Waben. In Verbindung mit der kontemplativen Inszenierung bieten diese Beobachtungen gute Anknüpfungspunkte, um in Sozialkunde, Ethik und Religion Lebensbedingungen zwischen Tradition und Moderne zu diskutieren. Vor allem aber strahlen die Bilder und Geräusche eine poetische Kraft aus, die zu einer Beschäftigung mit "Bal – Honig" im Kunstunterricht einlädt: In der Schule soll Yusuf lernen, seine unmittelbare Wahrnehmung in Sprache zu "übersetzen" – und scheitert beim Lesen. In der Natur aber findet er einen direkten Zugang über das Beobachten und Zuhören. Später wird er einmal Dichter werden und sich damit ein wenig von dieser Sensibilität bewahren. Seine Geschichte hat Semih Kaplanoğlu bereits weitererzählt: in "Süt – Milch" (Süt, Türkei, Frankreich, Deutschland 2008) ist Yusuf an die 20 Jahre alt, in "Yumurta – Ei" (Yumurta, Türkei 2007) ungefähr 40.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Mehr zum Thema