Kategorie: Interview
"Der Ausfall der Honigbiene würde zu nicht ersetzbaren Lücken in der weltweiten Lebensmittelversorgung führen."
Ein Interview mit dem Bienenforscher Prof. Dr. Jürgen Tautz.
Ein Interview mit dem Bienenforscher Prof. Dr. Jürgen Tautz.
Jürgen Tautz, geboren 1949, ist Soziobiologe und Bienenexperte. Er studierte an der TU Darmstadt Biologie, Geographie und Physik und wurde 1986 in Zoologie habilitiert. Seit 1990 ist er Professor am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und seit 2004 Gründungsvorsitzender des Vereins Bienenforschung Würzburg. Im Jahr 2006 entwickelte er das interdisziplinäre Projekt HOneyBee Online Studies/HOBOS (siehe Infobox). Für seine herausragende Kommunikation von Wissenschaft erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
Herr Professor Tautz, man kann von der Biene als Erfolgsmodell sprechen: Ein Drittel von dem, was wir Menschen essen, gäbe es nicht ohne Bienen. Wie ist die Leistung der Bienen einzuordnen und wie sähe eine Welt ohne Honigbienen aus?
Die Mehrheit unserer heutigen Blütenpflanzenarten wird durch Insekten bestäubt. Die Honigbiene spielt dabei eine herausragende Schlüsselrolle. Das gilt für viele natürliche Ökosysteme, aber auch für Agrarlandschaften. Nahezu alle Obstsorten und sehr viele Gemüsearten würden ohne die Leistung der Honigbiene nicht ausreichend bestäubt werden. Konkret gilt für unsere Breiten: 80 Prozent der 2.000 bis 3.000 einheimischen Nutz- und Wildpflanzenarten sind auf die Honigbienen angewiesen. Der Ausfall der Honigbiene würde zu nicht ersetzbaren Lücken in der weltweiten Lebensmittelversorgung führen, sowohl von der Menge als auch der Vielfalt her betrachtet. Obst würde nahezu komplett verschwinden. Auch die Folgen für die Artenvielfalt wären negativ. Weniger Vielfalt der Blütenpflanzen zöge weniger Vielfalt aller von ihnen abhängigen Lebewesen nach sich. Schmetterlinge, Vögel (Samenesser) und viele andere kämen in arge Nöte. Eine Verarmung der Artenvielfalt macht einen Lebensraum extrem instabil und anfällig für Krankheits- und Parasitenbefall.
Die Sinnesleistungen der Bienen sind enorm: Ihr Farbsehen und ihr Orientierungsvermögen faszinieren, an ihren Fühlern haben sie über 60.000 Geruchsrezeptoren. Bienen riechen in Stereo, sie haben Schmeckhaare an den Beinen und erstellen mit ihren Sinneszellen ein dreidimensionales Geruchsbild der ganzen Wabe. Zu welchen weiteren herausragenden Sinnesleistungen sind Honigbienen fähig?
Honigbienen reagieren sehr empfindlich auf elektromagnetische Felder und polarisiertes Licht. [Anm.d.Red.: Die Polarisation beschreibt die Schwingungsrichtung des Lichts.] Sie können die Richtung von polarisiertem Licht in der Natur erkennen und exakt die Richtung der Schwerkraft bestimmen. Bienen nutzen diesen Effekt, um sich im dunklen Stock auf den senkrechten Waben zu orientieren. Der hochempfindliche Tastsinn mit Sitz auf den Fühlern der Bienen wird in der Kommunikation wie dem Schwänzeltanz eingesetzt. Vibrationsempfindliche Sinnesorgane in den Beinen der Bienen ermöglichen eine Verständigung über feinste Wabenschwingungen. Es ist leicht vorstellbar, dass ein ruppiger Umgang mit den Bienen und ihren derart empfindlichen Sinnessystemen zu erheblichem Stress des Bienenvolkes führen.
Ein Bienenvolk zählt bis zu 50.000 Bienen. Sogar einzelnen Individuen kommen bestimmte Rollen im Bienenstaat zu. Wie kommunizieren Bienen miteinander und wie ist die Sozialstruktur im Bienenvolk?
Der Superorganismus Bienenstaat basiert auf engem Zusammenhalt und ausgefeilter Kommunikation der Koloniemitglieder untereinander. Die Königin ist als Eierlegmaschine für die Nachkommenschaft zuständig. Drohnen entstehen kurzzeitig zur Begattung der Jungköniginnen, und die Arbeiterinnen, die den Großteil des Frauenstaates ausmachen, teilen sich alle anfallenden Arbeiten. Wer, was, wann, wo und wie viel gearbeitet werden muss, entscheidet jede Biene für sich auf der Basis ihres Alters und der Informationen, die sie aus ihrer Umgebung und von anderen Bienen aufnimmt. Die Signale draußen im Feld sind in erster Linie chemische Botenstoffe, im dunklen Stock dominieren mechanische Signale und Botenstoffe.
Zum Filmarchiv: "More than Honey" zeigt, wie in den USA jährlich über eine Million Bienenvölker von Wanderimkern durch das Land gefahren werden, um die Bienen bei saisonalen Bestäubungen einzusetzen. Solche weiten Distanzen legt die Honigbiene von selbst nicht zurück. Ist ein derartiger Eingriff in die Biologie der Biene zu verantworten?
Bienenvölker lassen sich versetzen, davon macht auch der verantwortungsbewusste Imker Gebrauch, wenn er die Insekten zur sogenannten Tracht bringt. Für einen solchen Umzug kann man warten, bis abends alle Bienen im Stock sind. Verantwortungsvolle Wanderimker handeln so. Am neuen Standort benötigen die Sammelbienen einige Tage, bis sie die neue Umgebung so gut kennen, dass sie auf Sammelflüge gehen und wieder nach Hause finden können. Man kann also mit Bienen wandern, ohne ihnen dabei Probleme zu bereiten, wenn man dabei einige einfache Aspekte ihrer Biologie beachtet. Auf nicht artgerechten Transporten hingegen sterben sehr viele Bienen, da auf den langen Reisen das gesamte innere Gleichgewicht im Raumklima der Kolonie zusammenbricht.
Ein weiteres Thema im Film Zum Filmarchiv: "More than Honey" ist das plötzliche Bienensterben, auch bekannt unter Colony Collapse Disorder (CCD), zu Deutsch Völkerkollapsstörung. Dieses Phänomen wird vielfach diskutiert. Welche Ursachen gelten als wahrscheinlich?
Führt man einen einzigen neuen Begriff ein, vermutet man ein einziges Phänomen und möglicherweise auch nur eine Ursache hinter dem Begriff. Es gibt offenbar nicht die EINE Ursache. Bienen sind im Grunde enorm belastbar, erreichen aber durch die Fülle an negativen Einflüssen die Grenze ihrer Belastbarkeit. Ob Viren, Bakterien, Pilze oder größere Parasiten, ob Pestizide, Monokulturen, eine Einengung des Erbgutes in bestimmten Populationen oder eine Kombination aus diesen und weiteren Stressfaktoren, all das macht das Leben der Bienen nicht einfacher. Wahrscheinlich gibt es nicht die eine Antwort, sondern zeitlich und räumlich sind jeweils andere Faktoren dafür verantwortlich, letztlich das Fass zum Überlaufen zu bringen.
An Bienen wird viel geforscht. Wie sehen die technischen methodischen Ansätze aus, um zum Beispiel die Gedächtnisleistung der Bienen sichtbar zu machen?
Bienenforschung ist eine Mischung von klassischen Ansätzen aus der Verhaltensbiologie, der direkten Beobachtung des Bienenverhaltens. Dabei kommen hochmoderne Technologien zum Einsatz wie zum Beispiel Mess- und Registriertechnologien, Highspeed-Videoaufzeichnungen, Wärmekameras, Endoskopkameras und vieles mehr. Mit Mikrochips, auch Funketiketten genannt, kann man Bienen identifizieren und lokalisieren. Aber auch chemische Analysemethoden sind wichtig: Speziell um die Gedächtnisleistung zu untersuchen, kombiniert man Dressurmethoden und Verhaltensbeobachtungen mit modernen Methoden der Neurobiologie, um Veränderungen im Gehirn der Bienen zu erfassen.
Sie selbst haben mit der Plattform HOBOS ein neues, interaktives Schulkonzept entwickelt. Wie können Lehrkräfte Kinder und Jugendliche grundsätzlich für Bienen interessieren?
Heutzutage geht in der Kindheit der Bezug zur Natur und Wirklichkeit leider häufig schon verloren. Durch die Verstädterung unserer Gesellschaft, immer neue Produkte, Zeitdruck und einen maßlosen Lebensstil bleiben die Naturerfahrung und das Wissen um sie oftmals auf der Strecke. Wenn man Kindern die Zusammenhänge in unserer Natur und die großen Abhängigkeiten unserer Lebensmittel von Honigbienen erklärt, dürfte eine Bereitschaft entstehen, sich mit der Biene stärken zu befassen. Auch wenn die Tiere klein und unscheinbar sind, so sollte man ihnen doch einen wichtigen Platz in der Erziehung und im Unterricht einräumen.
Zum externen Inhalt: HOBOS – HOneyBee Online Studies (öffnet im neuen Tab)
Die zweisprachige interaktive Online-Bildungs- und Forschungsplattform zu Honigbienen wurde seit 2006 von Prof. Dr. Tautz entwickelt und mehrfach ausgezeichnet. HOBOS bietet den Usern die Möglichkeit, in einen echten Bienenstock vorzudringen, um das Innenleben sowie zahlreiche Messwerte aus der Umwelt wie Wetter, Vegetation oder Boden zu verfolgen und zu verstehen. Anhand dieses lebenden Superorganismus lassen sich weltweit Aspekte des Verhaltens der Honigbiene, der Ökologie und der Landwirtschaft nachvollziehen. HOBOS ermöglicht diesen Zugang für Erziehung, Bildung und Forschung, da die Zukunft der Menschheit von der intelligenten Behandlung der Biosphäre abhängt. Seit kurzem bietet HOBOS auch ein Zum externen Inhalt: interaktives Bienenquiz (öffnet im neuen Tab) an. Hier können die User den eigenen Kenntnisstand zur Honigbiene überprüfen und erfahren zusätzlich, wie sie selbst im Alltag aktiv werden können.