Charlie ist Dozent für Literatur und massiv übergewichtig. Vor Jahren verließ er Frau und Tochter für eine Liebesbeziehung mit einem Studenten. Seit dessen Tod kompensiert er seine Trauer durch exzessives Essen. Seine Kurse leitet Charlie online von zuhause aus – bei ausgeschalteter Kamera, da er sich für sein Aussehen schämt. Wiederholte Aufforderungen seiner Pflegerin und einzigen Freundin Liz, sich wegen seines mittlerweile lebensbedrohlichen Zustands in medizinische Behandlung zu begeben, befolgt er nicht. Sein letztes Ziel im Leben, das er ansonsten längst als sinnlos empfindet, ist die Aussöhnung mit seiner Tochter Ellie. Um ihre Liebe zurückzugewinnen, bietet er der jungen Schülerin an, ihre Schulaufgaben zu verfassen. Ohne ihr Wissen dient ihm ein Schulaufsatz über Herman Melvilles Roman Moby Dick, den sie mit acht Jahren schrieb, seit langem als Leitfaden. Er identifiziert sich mit dem weißen Wal des Literaturklassikers, der gequälten Kreatur, und empfindet Ellies Ehrlichkeit in dem Aufsatz als vorbildlich.

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Darren Aronofskys Drama beruht auf einem gleichnamigen Theaterstück und ist dementsprechend als Zum Inhalt: Kammerspiel gestaltet. Einziger Zum Inhalt: Spielort ist Charlies Wohnung, wo er ganze Tage auf der Couch verbringt. Die Handlung wird strukturiert von Auf- und Abtritten der wenigen Nebenfiguren: Pizzabote Dan, der Charlie nie zu Gesicht bekommt, die geduldige Pflegerin Liz, seine wütende Tochter Ellie und später auch seine Ex-Frau Mary sowie der junge Missionar Thomas, der Charlie in religiöse Diskussionen über Homosexualität verstrickt. Wie in Bühnenklassikern – etwa von Tennessee Williams (Endstation Sehnsucht, 1947) – enthüllen teils heftige Auseinandersetzungen nach und nach Ereignisse aus der Vergangenheit, frühere Verfehlungen der Charaktere oder auch bisher verschwiegene Motive. Inmitten intensiver psychologischer Dialoge (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) zeigen Zum Inhalt: Szenen immer wieder Charlies Bemühen, trotz seiner enormen Körperfülle den Alltag zu meistern. Die Darstellung seiner hilflosen Situation – für zu Boden gefallene Gegenstände benötigt er einen Greifarm – bedient bisweilen voyeuristische Impulse, letztlich überwiegt jedoch die Empathie. Charlie ist ein kluger und sensibler Mann, der sich nicht zuletzt dafür schämt, dem eigenen Ideal unbedingter Ehrlichkeit selbst nicht gerecht zu werden.

Der um seine Würde und die Liebe seiner Tochter ringende Charlie ist zugleich ein Häufchen Elend und "bigger than life" – also eher eine Kinofigur als die realistische Verkörperung eines Übergewichtigen. Die durch eine Fat-Suit-Prothese (Glossar: Zum Inhalt: Maske/Maskenbild) unterstützte Darstellung des normalgewichtigen Schauspielers Brendan Fraser, vielfach gelobt und mit einem Oscar® geehrt, hat dennoch auch Kritik hervorgerufen. Sie sei diskriminierend und untergrabe den Wunsch adipöser Menschen nach einer vorurteilsfreien "Body Positivity". In gemeinschaftskundlichen und künstlerischen Fächern können diese Aspekte aufgenommen und gegen den metaphysischen Charakter von Charlies Leiden aufgewogen werden. Inwiefern ist seine Körpermasse ein "Schutzpanzer" oder auch Ausdruck einer gequälten Seele? Die zahlreichen literarischen Verweise und das ins Übernatürliche spielende Ende lassen sich als klassischer Kitsch à la Hollywood betrachten, eröffnen jedoch weitere Ebenen der Interpretation. In der filmästhetischen Analyse sollte auch gewürdigt werden, wie es dem Kammerspiel mit allen Mitteln der Filmkunst gelingt, auf engstem Raum ein raumfüllendes Kinoerlebnis zu schaffen.

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