Die ostukrainische Region Luhansk im Herbst 2019. Im Kinderheim Priyut wohnen rund 40 Kinder zwischen drei und 15 Jahren. Wenige Kilometer entfernt von der sogenannten Kontaktlinie zwischen ukrainischer Armee und prorussischen Separatist/-innen finden die Heranwachsenden hier ein vorübergehendes Zuhause, während die Behörden mit Angehörigen und Pflegefamilien über das weitere Sorgerecht verhandeln. Darunter ist auch die junge Teenagerin Eva, deren alkoholkranke Mutter sich seit Tagen nicht gemeldet hat oder der elfjährige Kolja, der mit seinen jüngeren Geschwistern beim Müllsammeln gefunden wurde und im Heim zwischen brüderlicher Fürsorge und (auto-)destruktivem Verhalten schwankt. Der Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Heimweh – Kindheit zwischen den Fronten" porträtiert diese Kinder und fängt ihre prekäre Lebenssituation ein. Dabei spielen die militärischen Kampflinien eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den familiären Belastungen und dem Ringen um eine individuell bestmögliche Zukunft. Doch obwohl der Film keine militärischen Auseinandersetzungen zeigt, sind die Auswirkungen des seit 2014 schwelenden Krieges spürbar: Die für viele Familien ohnehin schwierige soziale Lage hat sich durch den Konflikt massiv verschärft, was sich auch in psychischen Erkrankungen und Alkoholismus niederschlägt. Die Selbstverständlichkeit, mit der bereits junge Kinder von Sucht- und Gewalterfahrungen erzählen, ist mitunter schwer auszuhalten – ebenso wie die kindliche Hoffnung, die in den seltenen Begegnungen mit ihren leiblichen Eltern oder potenziellen Pflegemüttern aufscheint.

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Der dänische Regisseur Simon Lereng Wilmont hat bereits mit Zum Filmarchiv: "Oleg, eine Kindheit im Krieg" (DEN/SWE/FIN 2017) einfühlsam vom Aufwachsen in den umkämpften ostukrainischen Gebieten erzählt. In "Heimweh" erweitert er die persönliche Perspektive auf das soziale System Kinderheim, bleibt dabei jedoch nicht weniger nah (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) an seinen Protagonist/-innen und zeigt emotionale und intime Momente. Seine Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) folgt den Kindern durch das Haus, selbst vertrauliche Gespräche unter der Bettdecke oder heimliche Raucherpausen hält sie fest. Dabei wählt Wilmont vor allem einen emotionalisierenden Zugang: Die Zum Inhalt: Bildkompositionen fokussieren in langen Einstellungen immer wieder die leeren Blicke der Kinder, der aus Klavier und Streichern komponierte Score (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) unterstützt das bedrückende Gefühl beim Zusehen. Die zugehörigen Kontextualisierungen liefern die Sozialarbeiterinnen, die Zum Inhalt: aus dem Off Informationen zu den einzelnen Schicksalen geben.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt eine dieser engagierten Erzieherinnen. Doch der Wunsch auf eine Rückkehr in den normalen Familienalltag bleibt für viele der Kinder unerfüllt. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich die Lage weiter verschärft. Im Februar 2022 wurde die Unterkunft evakuiert: Einige der Kinder leben nun im westukrainischen Lwiw, andere in Wien. Welche Auswirkungen der Krieg für die Zivilbevölkerung und besonders für die sozial Benachteiligten hat, kann im Anschluss an die Filmsichtung in Fächern wie Sozialkunde und Ethik besprochen werden. In Psychologie bietet sich zudem eine Fokussierung auf den Umgang mit Traumata und familiären Belastungen an, der weltweit Kinder und Jugendliche in Krisensituationen betrifft. Fächerübergreifend kann zudem die Frage diskutiert werden, warum Filme und Erzählungen aus Kriegsregionen oft einen Zugang über kindliche Perspektiven wählen.

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