In "Orphea" kehren der deutsche Filmemacher Alexander Kluge und sein philippinischer Kollege Khavn de la Cruz alias Khavn den antiken Orpheus-Mythos um: Nicht der Mann holt die geliebte Frau aus der Unterwelt, sondern die Frau rettet den Mann – und mit ihm im Namen der Revolution gleich die gesamte europäische Kulturgeschichte. Die Strategie des so verschiedenen Regie-Duos ist eine doppelte: Einige Sequenzen des Films lösen den Orpheus-Mythos aus seinem kulturgeschichtlichen Kontext und verlagern ihn in die philippinische Hauptstadt Manila, wo Orphea auf der Suche nach Eurydiko in die Unterwelt der Slums hinabsteigt. In anderen Szenen arbeitet sich Orphea sozusagen auf der Metaebene singend und deklamierend an ihren kulturgeschichtlichen Vorgängern sowie an ideengeschichtlichen Versuchen zur Wiedererweckung der Toten ab.

Khavn hat seinen Teil des Films in der trashigen Punk-Ästhetik seines früheren Zum externen Inhalt: Exploitationfilm (öffnet im neuen Tab) "Mondomanila" (2012) gedreht: mit Fischaugenobjektiv verzeichnete Bilder und ein wie unter Kurzschluss stehender Zum Inhalt: Schnitt erzählen Orpheas Reise in den Hades als trancehafte Unternehmung. Die Kluge-Sequenzen sind mit Zwischentiteln gegliedert und fast durchweg in Zum Inhalt: Blue-Screen-Kulisse gedreht. Somit funktioniert sein Ordnungsprinzip der Assoziation nicht nur linear von Bild zu Bild, sondern auch simultan in die Bildtiefe: Kluge entwickelt Assoziationsketten vom Totenkult im alten Ägypten bis zum Science-Fiction-Film Matrix und bedient sich insbesondere, parallel zum Film vermutlich an seinem literarischen Projekt Russland-Kontainer schreibend, an der russischen Kulturgeschichte – der "Wunderkammer des Ostens". Immer wieder werden Fäden aus der Vergangenheit zum aktuellen Zeitgeschehen gesponnen, Bertolt Brechts Kinderkreuzzug 1939 zum Beispiel mit dem syrischen Fluchtopfer Alan Kurdi in Verbindung gebracht.

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In den Fächern Deutsch oder Kunst sollte zunächst die kulturgeschichtliche Bedeutung des Orpheus-Mythos geklärt werden, um dann zu beschreiben, wie Kluge und Khavn diesen Mythos in ihrem Film uminterpretieren. Während der Sichtung ist es sinnvoll, in Arbeitsteilung die zahlreichen kultur- und zeitgeschichtlichen Verweise zu sammeln und im Anschluss gemeinsam zu sortieren. Einzelne Sequenzen wie das Sprechen über die Schlange eignen sich besonders, um den in der filmischen Gestaltung wesentlichen Begriff der Assoziation zu erarbeiten. Mit diesem können die Schüler/-innen in Kleingruppen selbst kreativ werden und (bildliche) Assoziationsketten entwickeln oder Assoziation als Methode kreativen Denkens in einer Filmkritik reflektieren. Im Musikunterricht kann die Verknüpfung der Kulturgeschichte und Gender-Zuschreibungen mit Bearbeitungen des Orpheus-Mythos untersucht werden. Der Text, den Kluge seiner Schauspielerin stellenweise sprichwörtlich in den Mund legt, spannt den Bogen von Ovid zu Purcell zu Adorno und ist ausnahmslos männlich; doch seine Performance ist weiblich: Lilith Stangenberg singt, deklamiert, schreit, improvisiert sich durch die Jahrhunderte der europäischen Kulturgeschichte und beendet den Film tanzend auf eine Instrumentalversion der Habanera aus Bizets Carmen: die selbstbewusste Frau, die über die Unbeständigkeit der Liebe und ihre männlichen Verehrer nur spotten konnte.

Arbeitsblatt zu "Orphea"

Fächer: Deutsch, Musik, Kunst ab Oberstufe, ab 16 Jahren

Vor der Filmsichtung:

a) Informieren Sie sich über die Geschichte von Orpheus und Eurydike in der griechischen Mythologie und fassen Sie den Inhalt in eigenen Worten zusammen. Nutzen Sie die folgende Webseite für den Beginn Ihrer Recherche: Zum externen Inhalt: br.de: Der Orpheus-Mythos (öffnet im neuen Tab).

b) Informieren Sie sich über die kulturgeschichtliche Bedeutung des Orpheus-Mythos: Wo diente er als Vorlage, wo wurde Bezug auf ihn genommen? Recherchieren Sie hierfür Beispiele aus der Malerei sowie der Literatur- und Musikgeschichte und stellen Sie diese Ihrer Klasse vor.

c) Stellen Sie basierend auf dem Titel Vermutungen darüber an, worum es in dem Film "Orphea" gehen könnte.

d) Sehen Sie sich den Zum Inhalt: Trailer an. Um welches Film-Genres könnte es sich bei "Orphea" handeln?

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Während der Filmsichtung:
e) Achten Sie auf die Orte, an denen der Film spielt.

f) Achten Sie arbeitsteilig auf:
- Verweise auf den Orpheus-Mythos und die antike Mythologie
- Verweise auf die weitere Kulturgeschichte
- Verweise auf die jüngere Zeitgeschichte

Nach der Filmsichtung:

g) Sammeln Sie im Plenum erste Eindrücke zum Film. Inwiefern ist das Filmerlebnis ungewöhnlich und/oder herausfordernd? Inwiefern weicht der Film vom Orpheus-Mythos ab?

h) Vergleichen, ergänzen und sortieren Sie in Kleingruppen Ihre Ergebnisse aus Aufgabe f) und stellen Sie diese dann der Klasse vor.

i) Finden Sie sich in zwei Gruppen zusammen:

Gruppe A: Sichten Sie nochmals die Sequenz 00:10:12-00:12:36. Charakterisieren Sie die filmästhetischen Mittel, die zum Einsatz kommen, und ihre Wirkung.
Alternativ ohne DVD: Sichten Sie den ersten Teil des Trailers zu Orphea (TC 0:00:06–0:00:23) Analysieren Sie die filmästhetischen Mittel, die zum Einsatz kommen, und ihre Wirkung.

Gruppe B: Sichten Sie nochmals die Sequenz 0:00:15:43–0:17:08. Charakterisieren Sie die filmästhetischen Mittel, die zum Einsatz kommen, und ihre Wirkung.

Alternativ ohne DVD: Sichten Sie den zweiten Teil des Trailers zu Orphea (TC 0:00:23–0:00:39).Charakterisieren Sie die zum Einsatz kommenden filmästhetischen Mittel und ihre Wirkung.

Stellen Sie die Ergebnisse der beiden Gruppen gegenüber und diskutieren Sie im Plenum, inwieweit deutlich wird, dass es sich bei dem Film um eine Kooperation zweier Filmautoren handelt.

j) Recherchieren Sie selbständig den Begriff der Assoziation, z.B. auf Zum externen Inhalt: lexikon.stangl.eu (öffnet im neuen Tab). Sichten Sie arbeitsteilig die Zum Inhalt: Sequenzen 0:26:23-0:33:07 und 01:23:23-01:25:59. Erläutern Sie, wie diese Sequenzen über Assoziationsketten funktionieren, indem Sie diese in Form einer Mindmap oder eines Pfeildiagramms visualisieren.

Wichtiger Hinweis:

Stangenberg deklamiert aus dem 10. Buch der Metamorphosen von Ovid: Eurydike wird von einer Schlange in die Ferse gebissen und stirbt
-> (Schlange/Sterben) Bei der Vorstellung seines Films "Persona" spricht der schwedische Regisseur Ingmar Bergman 1960 von der Film(Kunst) als einer toten Schlange, von der nur noch die Haut übrig ist und die kein Gift mehr hat
-> (Gift) Was tun bei Giftbissen? Abbinden oder Notoperation
-> (Notoperation) Tagebuch von Werner Herzog mit Erzählung einer Notoperation nach einem Schlangenbiss
-> (Schlangenbiss) Typologie unterschiedlicher Bisse
-> (Schlangenbiss) Schutz vor Schlangenbissen; Vorsichtsmaßnahmen; im Notfall Töten der Schlange
-> (Töten der Schlange) persönliches Erlebnis in Sardinien: Kampf eines sardischen Schafhirtens mit einer Schlange, großer Kummer über den Tod der Schlange
-> (Kummer) Lamento für die tote Schlange ("Didos Lamento" aus Henry Purcells Dido und Aeneas)

Optional:

k) Wählen Sie eine der beiden kreativen Aufgaben:
1. Wählen Sie ein Bild, Musikstück oder Zitat des Films, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist. Erstellen Sie ausgehend von diesem Bild, Musikstück oder Zitat in kreativer Partnerarbeit eine eigene Assoziationskette (als Text, Bild oder Film).

2. Recherchieren Sie zum Filmduo Kluge-Khavn und schreiben Sie eine Zum externen Inhalt: Filmkritik (öffnet im neuen Tab) zu Orphea. Geben Sie Ihrer Kritik den Titel: Kunst ist wildes Denken.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.