Berlin, 30. Januar 1933. Nach zwei gescheiterten Regierungen im vergangenen Jahr ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg erneut einen Kanzler: Adolf Hitler von der NSDAP. Nach den Wahlsiegen der Nationalsozialisten 1932 ist diese Entscheidung von den meisten Juden in Deutschland befürchtet worden. Die Mitglieder der Familie Glickstein reagieren bei einem gemeinsamen Abendessen unterschiedlich auf diese Nachricht. Familienoberhaupt Aaron mahnt zur Ruhe und ist überzeugt, dass Hindenburg und seine Verbündeten Hitler unter Kontrolle halten werden. Seine Schwester Sarah hasst die Faschisten und sieht im Reichspräsidenten einen ihrer Unterstützer. Andere Verwandte reagieren zurückhaltender, schließlich hätten sich die Regierungen zuletzt nie lange gehalten. Als Aarons Kinder Michael und Leah ihre eigenen Positionen äußern, nimmt die Diskussion eine Wendung: Während Leah ohne Zustimmung des Vaters nach Palästina auswandern will, entpuppt sich Michael als überzeugter Nationalsozialist.

"Das letzte Mahl" ist ein Zum Inhalt: Kammerspielfilm, der jüdisches Leben in Deutschland am Vorabend der nationalsozialistischen Machteroberung darstellt. Mit einem bundesweiten "Eventstart" am Jahrestag des Ereignisses wollen Regisseur Florian Frerichs und der Verleih dafür sensibilisieren, dass derzeit mit der AfD eine rechte Partei im Bundestag und Landesparlamenten vertreten ist, "die (…) vom Verfassungsschutz zum 'Prüffall' erklärt wurde" und dass sich angesichts dieser Situation die Demokratie hierzulande "ein weiteres Mal bewähren muss". Während das Familienleben in Studiokulissen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) mit historisch wirkenden Zum Inhalt: Kostümen und Zum Inhalt: Requisiten gefilmt ist, evoziert der Film die Bedrohung durch die Nationalsozialisten mit vermeintlichen Dokumentaraufnahmen (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) vom Fackelzug jenes Abends; tatsächlich sind es nachträglich inszenierte Propagandabilder der Nationalsozialisten, die der Film irreführend wiederverwendet. Die Dramaturgie folgt dem Drei-Akt-Modell eines klassischen Dramas (inklusive Prolog und Epilog), strukturiert nach den drei Gängen des familiären Abendmahls. Ähnlich schematisch ist das Figurenbild: der Vater konservativ, seine Frau liberal, die Schwester Kommunistin, der Bruder "unpolitisch", Tochter Leah Zionistin und Sohn Michael ist Nazi. Der Versuch, ein breites Spektrum der Gesellschaft im Mikrokosmos der Familie Glickstein abzubilden, degradiert die Figuren zu Stereotypen, die möglichst viele Schlagworte zum historischen Kontext aufsagen.

Das letzte Mahl, Trailer (© Apollo Film)

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und die Zerstörung der Demokratie in Deutschland gehören seit Jahrzehnten zum Curriculum im Fach Geschichte. Insofern bietet "Das letzte Mahl" zahlreiche Anknüpfungspunkte, jedoch sollte man den Film als historische Darstellung unbedingt kritisch analysieren. Drei Aspekte wären dafür besonders geeignet. Zunächst eine Recherche zur Quellenlage: Gab es, wie die Texttafeln am Ende suggerieren, tatsächlich eine Familie Glickstein und war sie politisch so zerstritten? Ist es überliefert, dass ein jüdischer Jugendlicher 1933 mit der NSDAP sympathisierte – und sind Michaels Motive dafür im Film glaubwürdig? Des Weiteren sollte Aarons Einschätzung, die Juden seien im Kaiserreich gleichgestellt und akzeptiert gewesen, mit der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland verglichen werden (siehe etwa: "Judenzählung" im Ersten Weltkrieg). Zuletzt können die zeitgenössischen Reaktionen auf Hitlers Ernennung diskutiert werden. In diesem Zusammenhang kann man thematisieren, wie der Film den Siegeszug der Nationalsozialisten mit vermeintlich authentischen Dokumentaraufnahmen "belegt".

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