Kategorie: Filmbesprechung
"Babai"
Ein 10-Jähriger auf der Flucht nach Deutschland riskiert sein Leben, um seinen Vater wiederzusehen
Unterrichtsfächer
Thema
Anfang der 1990er-Jahre bestreiten der zehnjährige Nori und sein alleinerziehender Vater Gesim im Kosovo ihren Lebensunterhalt, indem sie auf den Straßen Zigaretten verkaufen. In der Hoffnung auf eine bessere Arbeit will Gesim allein nach Deutschland. Doch Nori will den Vater nicht verlieren und verhindert mehrmals, einmal sogar unter Einsatz seines Lebens, dessen Abreise. Als Gesim heimlich doch verschwindet, stiehlt Nori von seinem Onkel Geld, um ihm nachzureisen. Obwohl er unterwegs geschlagen, betrogen und bestohlen wird, tritt er mit Hilfe von Schleppern eine lebensgefährliche Schlauchbootfahrt nach Italien an und schlägt sich nach Deutschland durch. Dort findet er Gesim endlich in einem Asylbewerberheim.
In seinem Langfilmdebüt zeichnet der in Köln ausgebildete Regisseur Visar Morina (Glossar: Zum Inhalt: Regie) ein düster-realistisches Bild von der patriarchalischen Gesellschaft seines Heimatlandes Kosovo, in der das Recht des Stärkeren herrscht. Die politischen Zerwürfnisse im zerfallenden Jugoslawien bleiben weitgehend ausgespart, stattdessen betont die ruhige, dialogarme Narration die universelle Gültigkeit des Vater-Sohn-Konflikts. Da der Film weitgehend aus der Sicht des Jungen erzählt und die Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) oft auf seiner Augenhöhe filmt, können die Zuschauenden Noris Desorientierung in der Fremde besser nachempfinden: Wie er verstehen auch sie vieles nicht, was um ihn herum vor sich geht.
Obwohl der Film nur wenige Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer spielt, gewinnt er durch den jüngsten Flüchtlingszustrom neue Brisanz. Noch immer nutzen Flüchtlinge auf der Balkanroute die Dienste von Schleppern, um ihren Traum von einem besseren Leben umzusetzen. Im Unterricht bietet sich eine Diskussion über die Motive der Migranten/-innen an, da viele für diesen Traum ihr Leben riskieren. Im Film kann Nori seine Flucht letztendlich nur finanzieren, indem er das Hochzeitsgeld des Cousins stiehlt. Dies liefert genug Ansatzpunkte, um im Fach Ethik zu erörtern, ob solche kriminellen Akte moralisch zu rechtfertigen sind. In einer vom Egoismus geprägten Gesellschaft lernt Nori schnell, dass er sich auf niemand verlassen darf, wenn er überleben will, auch nicht auf den Vater. Lässt sich das gestörte Vertrauensverhältnis wiederherstellen? Kann Nori den Verrat verzeihen?