Im letzten High-School-Jahr schließen vier Freunde einen Pakt. Sie geloben, bis zum Ende des Schuljahrs ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, und machen sich dann mal mehr und mal weniger ungeschickt ans Werk. Die Mädchen, die sie der Erfüllung ihrer Träume näher bringen sollen, sehen ihnen die Mischung aus Unsicherheit und Geilheit oft schon von weitem an – und nehmen sie geradezu mitfühlend an die Hand. Trotzdem ist der Weg ins Glück mit Peinlichkeiten gepflastert, wobei vor allem der von seinen Trieben besonders geplagte Jim ins Straucheln kommt. In der berühmten titelgebenden Szene von "American Pie" (Paul Weitz, USA 1999) penetriert er einen von seiner Mutter gebackenen Apfelkuchen – und wird prompt von seinem Vater dabei ertappt.
"American Pie" gehört nicht nur deswegen zu den erfolgreichsten Pubertätskomödien, weil ihre Macher beständig die Grenzen des Erlaubten austesten und einer von "Eis am Stiel" (Eskimo Limon, Boaz Davidson, Israel 1977) begründeten Genretradition ein glamouröses Aussehen verleihen, sondern gerade auch, weil sie die sexuellen und seelischen Nöte ihrer Helden/innen ernst und dem jugendlichen Publikum im entsprechenden Alter zugleich die Ängste nehmen. Dieses erfährt, dass einem in der Pubertät letztlich nichts wirklich peinlich sein muss, weil sie irgendwann vorbei ist und es den anderen nicht viel besser ergeht. Im Film wünschen sich alle Jugendlichen, endlich zum erlauchten Kreis der Erwachsenen zu gehören und fürchten gleichzeitig, sie könnten in irgendeiner Form vom "Normalen" abweichen. Entsprechend dringend wollen sie das "erste Mal" hinter sich bringen. Als romantische Zugabe finden die glücklicheren Pie-Helden/innen dann die Liebe, während sie dachten, nur nach Sex zu suchen.

Unbekannte Kontinente

Jungs bleiben Jungs, Szenenbild (Foto: Kool Filmdistribution)

Kool Filmdistribution

In den meisten Pubertätskomödien werden – oft schüchtern und verklemmt, aber sehr neugierig – gleich zwei unbekannte Kontinente erkundet: der eigene Körper und das andere Geschlecht. Auch in (Les Beaux Gosses, Riad Sattouf, Frankreich 2009) gehört es zum guten Ton, dass die Hauptfiguren sich ständig selbst befriedigen oder sich stundenlang im Spiegel mustern. Das Mädchen-Quartett aus (Angus, Thongs and Perfect Snogging, Gurinder Chadha, USA 2008) träumt hingegen noch züchtig von Knutschorgien und kugelt zuweilen kichernd durcheinander. Ansonsten gilt sein Interesse den technischen Aspekten des Küssens und der Art, wie Jungs so ticken. Für ersteres gibt es einen gleichaltrigen Nachhilfelehrer, der seine Dienste im Halbstundentakt anbietet und, findet jedenfalls die 14-jährige Georgia, in "Speichelstadt zu Hause ist". Für letzteres prägt Georgia den Begriff "boykind" und greift später auf den Klassiker unter den US-Ratgeberbüchern, John Grays Men are from Mars, Women are from Venus zurück. Die dort gewonnene Einsicht, dass Männer wie Gummibänder zu einem zurückschnellen, wenn man sie lang genug auf Distanz hält, führt allerdings nur dazu, dass Georgia ihrem Schwarm ihrerseits zum Rätsel wird. Am Ende steht die beruhigende Erkenntnis, dass man den unbekannten Kontinent zwar nie vollständig, aber immerhin in ausreichendem Maße verstehen kann.

Dezente Andeutungen

Frontalknutschen (Foto: Universal Pictures International Germany)

Universal Pictures International Germany

Eine Besonderheit in der filmischen Darstellung des "ersten Mals" liegt darin, dass das Zeigen von Sexszenen in allen Ländern unter das Jugendschutzgesetz fällt. In Deutschland müssen die Darsteller/innen mindestens volljährig sein, entsprechende Figuren dürfen keine kindliche Erscheinung besitzen. Entsprechend beschränken zahlreiche Filme das sexuelle Erwachen à la auf Küsse und Händchenhalten oder lassen, wie in "Einfach zu haben" (Easy A, Will Gluck, USA 2010), heißen Sex hinter verschlossenen Türen stattfinden. Allerdings wird man der gesamten pubertären Entwicklungsphase wohl nur gerecht, wenn man zumindest ansatzweise "zur Sache" kommt. Die Lösung liegt darin, sexuelle Handlungen entweder dezent anzudeuten (in der anfänglich zitierten "American Pie" -Szene beispielsweise steht die Kamera hinter dem Protagonisten) oder verstohlene Blicke auf erfahrenere Liebespaare zu inszenieren. In (Ikke Naken, Torun Lian, Norwegen 2004) beobachtet eine Gruppe Zwölfjähriger ein jugendliches Pärchen beim Oben-Ohne-Schmusen am Strand; die jüngeren Helden/innen tasten sich hingegen beim Necken unter Wasser an die Erotik heran.

Sex zwischen Jugendlichen

Kaboom (Foto: Edition Salzgeber)

Edition Salzgeber

"Richtiger" Sex zwischen Minderjährigen gehört in der Regel zu einer anderen Geschichte: dem Verlust der Unschuld. Im dafür repräsentativen Film "Kids" (Larry Clark, USA 1995) scheinen die Jugendlichen (dargestellt von jungen Erwachsenen) die pubertäre Orientierungsphase übersprungen zu haben und flüchten sich mangels positiver Vorbilder früh in "erwachsenen" Zynismus. Innerhalb dieser Gruppe von Filmen stellt "Kaboom" (Gregg Araki, USA, Frankreich 2010) dank seines schrillen Looks und seiner furchtlosen Genremischung aus Coming-of-Age, Fantasy und Science Fiction eine Besonderheit dar. Sein bisexueller Held hat mit 18 Jahren schon eine Reihe sexueller Kontakte hinter sich, aber wie sämtliche Figuren des Films keine Vorstellung davon, wie eine richtige Liebesbeziehung aussehen könnte. In den Sexszenen steht die pure Lust im Vordergrund und wird mal mit künstlichem Nachtblau zur traumähnlichen Sensation und mal durch pulsierende Lichteffekte zur psychedelischen Erfahrung stilisiert. Die Kehrseite dieser Freizügigkeit liegt im familiären Hintergrund des Helden: Sein tot geglaubter Vater stellt sich als selbsternannter Prophet des Untergangs heraus, verwickelt seinen Sohn in ein tödliches Komplott und stellt die zelebrierte Lust in den Schatten einer repressiven Sexualmoral.

Repressive Milieus

Die Schule ist die natürliche Bühne für Pubertätskomödien und –dramen und erscheint je nach Spielzeit und Spielort als in unterschiedlicher Weise ausgeprägtes repressives Milieu. So handelt "Mädchen in Uniform" (Leontine Sagan, Deutschland 1931) von einer preußischen Internatsschülerin, die sich in eine Erzieherin verliebt und deshalb von der konservativen Direktorin an den Rand des Selbstmords getrieben wird. In allegorischen Figuren treffen hier wilhelminische Gesinnung und Freiheitsgeist der Weimarer Republik aufeinander. Auch in (La mala educación, Pedro Almodóvar, Spanien 2004) dreht sich die Handlung um eine Zeitschwelle, in diesem Fall das Ende der spanischen Franco-Diktatur. Die Hauptfigur wird an das eigene sexuelle Erwachen und an den Missbrauch in seiner katholischen Klosterschule erinnert und verwandelt beides in den Stoff eines autobiografischen Enthüllungsfilms. Im DEFA-Film Zum Filmarchiv: "Sieben Sommersprossen" (Herrmann Zschoche, DDR 1978) wird schließlich ein Ferienlager zum Schauplatz einer "unziemlichen" Liebe. Nachdem die strenge Lagerleiterin die beiden Jugendlichen zunächst unbedingt trennen will, lässt sie sich dank einer Theateraufführung von Romeo und Julia, in der Held und Heldin die Titelrollen spielen, doch noch zur Romantik bekehren.

Coming-Out-Dramen

Coming Out (Foto: Progress Film-Verleih, © Wolfgang Fritsche)

Progress Film-Verleih, Foto Wolfgang Fritsche

Insbesondere im Coming-Out-Drama wird die gesamte Gesellschaft zum repressiven Milieu. Rosa von Praunheim prangert in seinem Klassiker "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt" (BRD 1971) die Bundesrepublik der frühen 1970er-Jahre an; obwohl der berüchtigte § 175 StGB zwei Jahre vor Erscheinen des Films entschärft worden war, hielt die gesetzliche Sonderbehandlung von Homosexuellen (Stichwort: Schutzalter) an und spiegelte die ablehnende Grundstimmung innerhalb der Bevölkerung wider. In der DDR wurde der "Unzucht"-Paragraph (§ 151 StGB) bereits 1968 reformiert; trotzdem griff die DEFA das Thema mit Zum Filmarchiv: "Coming Out" (Heiner Carow, DDR 1989) erst kurz vor dem Mauerfall auf. Bei Carow unterdrückt der Lehrer Philipp seine homosexuelle Neigung, lebt mit einer Frau zusammen und beginnt, als er sich in Matthias verliebt, aus Scham ein Doppelleben zu führen. Sexualpsychologisch lässt sich diese Form des späten Coming-Out vielleicht als zweite Pubertät bezeichnen.

Wilde Herzen

In der Aufteilung von Pubertätskomödien und –dramen spiegelt sich das Verhältnis von Regel und Ausnahme wider. Heterosexuelle Jugendliche finden sich überwiegend in Komödien dargestellt, während das homosexuelle Coming-Out auch in liberalen Ländern weiterhin einen dramatischen Unterton behält. Es gibt relativ wenig Filme, in denen diese Unterscheidung keine Rolle spielt, weil die Verwirrung der Gefühle hetero- und homosexuelle Figuren in demselben Maße betrifft oder sich die Jugendlichen über ihre sexuellen Vorlieben nicht sicher sind. Glänzende Beispiele dieses Jugendkinos sind (Marco Kreuzpaintner, Deutschland 2004), "Wilde Herzen" (André Téchiné, Les Roseaux sauvages, Frankreich 1994) und (Fucking Amal, Lukas Moodysson, Schweden 1999). Insbesondere bei Téchiné und Moodysson ist die Sexualität ein weites Feld, das Verletzungen und Fehltritte einschließt, gerade weil in ihr nichts ausgeschlossen bleibt.

Wichtiger Hinweis:

FSK-Freigaben für die Kinoversion der besprochenen Filme:
"American Pie" (Paul Weitz, USA 1999): ab 12 Jahren
"Eis am Stiel" (Eskimo Limon, Boaz Davidson, Israel 1977): ab 16 Jahren
(Les Beaux Gosses, Riad Sattouf, Frankreich 2009): ab 12 Jahren
(Angus, Thongs and Perfect Snogging, Gurinder Chadha, USA 2008): ohne Altersbeschränkung
"Einfach zu haben" (Easy A, Will Gluck, USA 2010): ab 12 Jahren
(Ikke Naken, Torun Lian, Norwegen 2004): ohne Altersbeschränkung
"Kids" (Larry Clark, USA 1995): ab 16 Jahren
"Kaboom" (Gregg Araki, USA, Frankreich 2010: ab 16 Jahren
(La mala educación, Pedro Almodóvar, Spanien 2004): ab 12 Jahren
Zum Filmarchiv: "Sieben Sommersprossen" (Herrmann Zschoche, DDR 1978): ab 12 Jahren
Zum Filmarchiv: "Coming Out" (Heiner Carow, DDR 1989): ab 12 Jahren
(Marco Kreuzpaintner, Deutschland 2004): ab 12 Jahren
"Wilde Herzen" (André Téchiné, Les Roseaux sauvages, Frankreich 1994): ab 12 Jahren
(Fucking Amal, Lukas Moodysson, Schweden 1999): ab 12 Jahren