Ambivalent, vielleicht ist dieser Begriff am ehesten geeignet, das Seherlebnis von "American History X" ; zu beschreiben. Tony Kayes Film entlässt einen in diese Zwiespältigkeit, hin- und hergerissen zwischen ablehnender und beipflichtender Haltung in seiner Darstellung von Rassismus und neonazistischen Umtrieben. Sein Regiedebüt wird deshalb, aber auch wegen seiner Ästhetik, auf internationalen Foren heftig kritisiert, und womöglich wird diese Kontroverse gerade auch in Deutschland neue Diskussionen auslösen. Der Film erzählt die Geschichte zweier Brüder, des 16-jährigen Danny und des älteren Derek. In Rückblenden erfährt man, dass Derek vor einigen Jahren drei Schwarze brutal umgebracht hat, die sich an seinem Wagen zu schaffen machten. Danny hatte seinen großen Bruder schon immer bewundert und hält selbst nach dieser Tat weiter zu seinem Vorbild. Der dramaturgische Handlungsrahmen ist gegeben, indem Danny einen Aufsatz über Hitlers Mein Kampf (1925) schreiben möchte und der Schuldirektor ihn auffordert, sich statt dessen mit der Geschichte seines Bruders auseinanderzusetzen und niederzuschreiben, warum dieser zum Mörder wurde und sich – wie man erst viel später erfahren wird – durch prägende Einflüsse schon in der Familie zum Rechtsradikalen entwickelte.

Vergangenheit und Gegenwart gehen in Tony Kayes Film ineinander über, bedingen sich, sind voneinander untrennbar. Die Erinnerung an seine Vergangenheit macht den neuen, gewandelten Derek erst aus, der den Hass predigte und Gewalt als Einzige mögliche Antwort auf soziale Konflikte sah. Jetzt ist Danny der Gefährdete, und Derek möchte nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis seinen jüngeren Bruder aus dem rechtsradikalen Milieu herauslösen, das er ihm einst gepriesen hatte. Bereits visuell wird seine unerwartete Wandlung deutlich: Lief er früher mit Skinhead-Glatze umher und zeigte die Hakenkreuz-Tätowierung auf seiner linken Brust, direkt über dem Herz, so sind seine Haare inzwischen nachgewachsen, ist er in innerer Haltung und äußerem Habitus ein schon beinahe idealtypischer 'normaler' Bürger geworden. Bis Derek seinen Irrweg erkannte und pauschalen Schuldzuweisungen, blindem Hass sowie brutaler Gewalt als illusorischer Lösung von Problemen abschwören konnte, war es jedoch ein langer, steiniger und schmerzhafter Weg: Die Jahre im Gefängnis, wo er die schwarzen Mitgefangenen von einer ganz anderen Seite als erwartet kennenlernte, das wahre Gesicht der zunächst gleichgesinnten, weißen Befürworter von Hass und Gewalt, die ihn als Abtrünnigen ihrer Ideologie unter der Dusche brutal vergewaltigten, das Studium von Büchern und die Freundschaft just zu Schwarzen, die ihm halfen – diese Jahre markieren das kathartische Moment in Dereks Psyche. Als Geläuterter ist er nun derjenige, der auf der anderen Seite steht und seinen Bruder Danny mit Skinhead-Glatze vor sich stehen hat.

Der 46-jährige Tony Kaye hat bis dato erfolgreich Videoclips und Werbefilme gedreht und dafür einige Auszeichnungen erhalten. Mit "American History X" adaptierte er das erste Drehbuch des 28-jährigen Autors David McKenna. Kaye zeichnet neben der Regie auch für die Kamera und das ästhetische Konzept des Films verantwortlich. Die Wurzeln des britischen Videoclip-Regisseurs sind darin unverkennbar, seinen Film könnte man provokativ als einen einzigen, 118-minütigen Videoclip bezeichnen. Doch verdient ein solch sensibles Thema nicht eine weitaus ruhigere, besonnenere Behandlung? Eine Pauschalantwort hierauf gibt es nicht, sie kann bei "American History X" nicht nach den Kriterien 'richtig oder falsch' erfolgen, sondern eher danach, ob diese radikale, direkte Darstellungsweise und die Wahl dieser Ästhetik angemessen sind und ob gerade auch ein jüngeres Publikum mit dieser Ästhetik nicht sogar mehr anfangen kann als mit einem 'konventionell' gedrehten Film, in dem sich die Dramaturgie behutsamer und weniger plakativ entwickelt.

Dereks Tätowierung des Hakenkreuzes und Dannys angekündigter Aufsatz zu Hitlers Buch lösen auch Fragen aus, ob diese Provokationen eher als austauschbare Momente eines fragwürdigen Jugendprotestes zu verstehen sind, oder tatsächlich auf eine nationalsozialistische Gesinnung verweisen, zumal sich die Situation in den USA nicht unmittelbar mit der in Deutschland vergleichen lässt, denn die (noch immer tabuisierte?) Diskriminierung der Schwarzen in Amerika hat historisch gesehen ganz andere Wurzeln. Problematisch mag auch der allgemeine Realitätsbezug des Films sein, in seiner Figurenzeichnung wie in der Läuterung seiner Protagonisten. Dabei zeigt der Film eher unfreiwillig auf, dass in den USA der (filmische) Blick auf das eigene Land noch immer verklärt ist. Wenn Kaye sich im Nachhinein von seinem Film distanzierte, mag das ein raffinierter Werbeschachzug sein, kann aber auch seine späte Erkenntnis bedeuten, dass die dem Film immanente (ideologische) Versimplifizierung der Konflikte und ihrer Auflösung unhaltbar ist.

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