Am Beispiel der Berliner Arbeiterfamilie Bönike schildert der Film "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" das Problem der Arbeitslosigkeit zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Auf der Arbeitssuche zum wiederholten Male erfolglos geblieben, nimmt sich der junge Bönike das Leben. Für Trauer bleibt keine Zeit. Die ebenfalls arbeitslosen Eltern und die Schwester Anni sind aufgrund der zusehends schlechteren Lebensbedingungen nicht mehr in der Lage, ihre Miete zu zahlen und ziehen in die Zeltstadt "Kuhle Wampe" am Stadtrand Berlins. Dass Anni, die als einzige Arbeit in einer Fabrik hat, schwanger wird, macht die Situation für die Familie nicht einfacher. Die Verlobung mit ihrem unwilligen Freund Fritz ("Ich will meine Freiheit behalten!") gerät zum Reinfall. Nicht mehr gewillt, die Umstände tatenlos hinzunehmen, schließt sich Anni der sozialistischen Agitprop-Gruppe ihrer Freundin Gerda an.

Ein Fall für die Zensurbehörde

"Kuhle Wampe" wurde bereits zur Premiere 1932 als "erster proletarischer Tonfilm" bezeichnet. Als Urheber agierte ein unabhängiges Künstlerkollektiv, das im Wesentlichen aus dem bulgarischen Regisseur Slatan Dudow, den Drehbuchautoren (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt sowie dem Filmkomponisten Hanns Eisler bestand. Die Finanzierung durch die politisch linke Produktionsgesellschaft Prometheus Film (Glossar: Zum Inhalt: Filmproduktion) gestaltete sich überaus schwierig und stand zeitweilig auf der Kippe. Ein anfängliches Verbot durch die Zensurbehörde, die den "kommunistischen Tendenzfilm" als scharfen Angriff auf staatliche Rechtsgrundlagen und insbesondere die Politik der regierenden Sozialdemokaten einstufte, konnte nach einigen Schnittauflagen abgewendet werden. Der Schere zum Opfer fielen etwa sämtliche Hinweise auf das Thema Abtreibung, was in der schließlich zugelassenen Fassung des Films für einige Verständnisschwierigkeiten sorgt.

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Der agitatorische Charakter von "Kuhle Wampe" – sowie sein historischer Rang – verdankt sich der avantgardistischen Mischung aus Zum Inhalt: Spielfilm, Zum Inhalt: Dokumentarfilm- und Musikfilm. Der Film beginnt mit einer Zum Inhalt: Montagesequenz, in der auf eine Aufnahme des Brandenburger Tors Bilder von Industrieanlagen, trostlosen Mietskasernen und schließlich Titelseiten von Zeitungen folgen, deren Schlagzeilen ständig steigende Arbeitslosenzahlen verkünden. Im Stil eines Zum Inhalt: Stummfilms, begleitet von einer irritierend aufputschenden Zum Inhalt: Musik, geht es weiter: Der junge Bönike begibt sich auf Arbeitssuche. Er ist ein Mensch in der Masse, der mit unzähligen anderen an einer Litfaßsäule auf die eintreffenden Stellengesuche wartet und sich anschließend aufs Rad schwingt. Die Jagd nach Arbeit zeigt der Film als Wettkampf unter erbarmungslosem Druck. Die rastlose Zum Inhalt: Montage radelnder Arbeiter und bitterer Absagen ("Arbeiter werden nicht eingestellt") bewegt sich ästhetisch auf dem damaligen Stand der Zeit: Vorbild war das sowjetische Revolutionskino ("Russenfilme"), das auch in Deutschland aufmerksam registriert wurde.

Filmemachen als politische Praxis

Für den Drehbuchautor Brecht war Filmemachen wie jede künstlerische Tätigkeit Teil der politischen Praxis – und Parteilichkeit oberstes Gebot. Die ungewöhnliche Machart von "Kuhle Wampe" folgte seinen Maßgaben des "epischen Theaters", das Widersprüche aufdecken soll und das Publikum so zum Mitdenken aktiviert. Mit assoziativen Montagen, der kontrapunktisch verwendeten Musik Hanns Eislers und der typisierten Darstellung von Problemen wandte Brecht sich auch gegen frühere "proletarische Filme" wie "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (Phil Jutzi, DE 1929). Deren weiterhin klassische Formensprache, die durch psychologische Einfühlung und melodramatische Spannung (Glossar: Zum Inhalt: Melodram) den Mustern des kommerziellen Films folgte, sollte vermieden werden.

Ein Beispiel für die von der Zensur erstaunlich scharf bemängelte "Typisierung dieser Einzelschicksale" ist die der Arbeitssuche folgende Familienszene. Der junge Bönike – er hat nicht einmal einen Namen – bekommt von seinen Eltern Vorhaltungen gemacht: Wer sich bemühe, bekomme auch Arbeit. Die Darsteller/-innen sprechen bewusst tonlos, ihre Sätze entlarven sich als bloße Worthülsen – ein markanter "Verfremdungseffekt" im Sinne Brechts, ebenso wie auch der Blick des Sohns in die Kamera. Während dieser keine andere Lösung als den Freitod sieht, beginnt Anni, den Grund des Elends zu durchschauen: Es gibt keine Arbeit. Zu ihrer Bewusstwerdung trägt auch ihre Verlobungsfeier bei. Das anfängliche Bemühen um kleinbürgerliche Feierlichkeit steigert sich – in einer brillanten Schnittfolge – zu einer wilden Sauf- und Fressorgie. An einer sentimentalen Idealisierung des Proletariats hatte Brecht kein Interesse. Im Gegenteil werden insbesondere die älteren Arbeiter/-innen, die ihre Situation widerspruchslos hinnehmen, satirisch aufs Korn genommen. Das Publikum soll hingegen Annis Wendung zum Klassenbewusstsein nachvollziehen, indem es die "Kunstwirklichkeit" (Brecht) des Films erkennt und somit auch die eigene Situation als veränderbar begreift.

Zum Finale erklingt das Solidaritätslied

"Kuhle Wampe" ist ohne Zweifel ein Zum Inhalt: Propagandafilm, klar verortet in der Endphase der Weimarer Republik, in der die Sehnsucht nach revolutionären Lösungen in der Bevölkerung weit verbreitet war. Der längst aufstrebende Nationalsozialismus – unter dessen Herrschaft der Film umgehend verboten wurde – bildet eine bemerkenswerte Leerstelle. Beeindrucken kann die Gemeinschaftsarbeit bis heute durch viele einprägsame, durchaus unterhaltsame Zum Inhalt: Szenen. Dazu gehört der berühmte Schlussdialog in der S-Bahn auf der Heimfahrt nach einem Fest der Arbeitersportverbände. Über das Thema künstlich hochgehaltener Kaffeepreise geraten die jungen Arbeitersportler/-innen in Streit mit einer Handvoll stereotypisierter Bürgerlicher. Wer ist dafür verantwortlich? Wer profitiert davon? Und wer eigentlich soll diese Welt ändern? "Die, denen sie nicht gefällt", lautet die programmatische Antwort. Und das bereits mehrfach angedeutete Solidaritätslied ("Vorwärts, und nicht vergessen") schwillt zur unüberhörbaren Fanfare an. Eigens für den Film komponiert, wurde es zu einem musikalischen Klassiker der internationalen Arbeiterbewegung.

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