"Ohne Dampf kein Kampf", sagt Bruno. Zusammen mit Christian steht er in der Zufahrtshalle des Großmarkts und raucht. Das sei zwar nicht erlaubt, aber der Schichtleiter drücke da ein Auge zu; schließlich rauche der selbst wie ein Schlot. Bruno kennt noch nicht einmal den Namen des neuen Kollegen, da zeigt sich an der vertraulichen Geste schon eine wesentliche Haltung, die sich nicht nur in Thomas Stubers Zum Filmarchiv: "In den Gängen", sondern in den meisten Arbeits- oder Arbeiterfilmen findet: Die Lohnarbeit in der Fabrik, auf dem Bau oder in der Mine wäre kaum auszuhalten ohne die Solidarität unter den Arbeiterinnen und Arbeitern. Erkennen, dass man in der gleichen Situation ist, derselben Klasse angehört – das ist dann in einigen Filmen auch der Beginn eines Kampfes, um die sozioökonomischen Verhältnisse grundlegend zu verändern.

In den Gängen, Szene (© Zorro Film)

Trotz seiner Anfänge: In die Fabrik schaut das Kino nur selten

Bei der ersten öffentlichen Vorführung des Kinematographen der Brüder Louis und Auguste Lumière im Jahr 1895 wurde ein Film projiziert, der zum kanonischen Beispiel der frühen Filmgeschichte geworden ist: "Arbeiter verlassen die Lumière-Werke" (F 1895) zeigt eine inszenierte, einminütige Zum Inhalt: Szene, in der Männer und Frauen durch das Werktor treten und anschließend nach rechts oder links den Zum Inhalt: Bildausschnitt verlassen. "Von dieser ersten Vorführung bleibt zurück, dass alle zügig fortstreben, als zöge sie etwas fort, und keiner auf dem Vorplatz stehen bleibt", resümiert Harun Farocki einhundert Jahre später in seinem an die Lumière-Brüder anknüpfenden Essay-Film "Arbeiter verlassen die Fabrik" (D 1995). Farocki untersucht darin das Bild und den Begriff der Arbeiter/-innen in der Filmgeschichte. Sein Eindruck: "Nach hundert Jahren lässt sich sagen, dass die Fabrik den Film kaum angezogen, eher abgestoßen hat. Der Arbeits- oder Arbeiterfilm ist kein Hauptgenre geworden, der Platz vor der Fabrik ist ein Nebenschauplatz geblieben."

Filme im Dienst der kommunistischen Utopie

Das frühe Kino um 1910 war eine Jahrmarktsattraktion. Dementsprechend entfernten sich die ersten narrativen Zum Inhalt: Stummfilme von den Zum Inhalt: dokumentarischen Anfängen und zeigten eine Tendenz zum Spektakel. Spannungsreiche, fantastische oder exotische Stoffe sollten das Publikum dazu einladen, den Alltag an der Werkbank zu vergessen. Eine Rückkehr ins Kino fand die Fabrik jedoch in Lehr- und Zum Inhalt: Propagandafilmen während des Ersten Weltkriegs, die an die Bevölkerung der "Heimatfront" appellierten, einen Beitrag zur Rüstungsindustrie zu leisten. Eine gänzlich andere filmische Vision der Fabrikarbeit entstand hingegen in den ersten Jahren der neu gegründeten Sowjetunion: Die sowjetrussischen Regisseure Dsiga Wertow und Sergei Eisenstein verstanden den Film als experimentelles Werkzeug im Dienste der kommunistischen Utopie und die Arbeiterschaft zugleich als kollektiven Protagonisten und Adressaten ihrer Film-Arbeiten.

Wertows Hauptwerke "Der Mann mit der Kamera" (UdSSR 1929) und "Enthusiasmus – Donbass-Sinfonie" (UdSSR 1930) entdecken in der industriellen Arbeit – und auch im Film selbst – ein Fundament für den Aufbau einer neuen Gesellschaft und eines "Neuen Menschen". Ebenfalls unter dem Einfluss der marxistisch-leninistischen Staatslehre zeichnet Eisenstein in "Oktober" (UdSSR 1928) und Zum Filmarchiv: "Panzerkreuzer Potemkin" die Arbeiterschaft als revolutionäre Triebfeder für die Umbrüche in der russischen Geschichte und das Ende des Kaiserreichs. Der Erfolg von "Panzerkreuzer Potemkin" überzeugte auch die Arbeiterparteien und Gewerkschaften in Deutschland vom Potenzial des Kinos, das politische Bewusstsein der Massen zu beeinflussen.

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Der "Proletarische Film" in Deutschland

1925/26 waren die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) jeweils an der Gründung eigener Produktions- und Vertriebsfirmen beteiligt. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise um 1929 entstand in diesem Rahmen eine Form des Sozialdramas, die als "Proletarischer Film" bezeichnet wurde. Durch die realistische Beschreibung von Arbeitslosigkeit und finanzieller Not im proletarischen Milieu sollten diese Filme ihr Publikum sensibilisieren und für den Klassenkampf agitieren. In den zwei bekanntesten Filmen der KPD-nahen Filmproduktionsgesellschaft Prometheus Film – "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (Phil Jutzi, D 1929) und "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt" (Slatan Dudow, D 1932) – kulminiert das Elend jeweils im Selbstmord einer Hauptfigur, während die Töchter der Familien durch ihr Engagement bei der Arbeiterbewegung Hoffnung schöpfen können. "Kuhle Wampe" , in der Weimarer Republik aufgrund "staatsfeindlicher" Tendenzen zensiert und 1933 verboten, endet mit einer lehrstückhaften Zum Inhalt: Sequenz ganz im Stile des Zum Inhalt: Drehbuchautors Bertolt Brecht. Auf die Frage, wer die Welt verändern werde, antwortet eine Arbeiterin schließlich: "Die, denen sie nicht gefällt."

Sozialistischer Realismus und die Arbeiterfilme der DEFA

Unter anderen Voraussetzungen, aber teilweise mit den gleichen Akteuren, erfuhr diese Filmtradition eine Fortsetzung in der DDR. Im "Arbeiter- und Bauernstaat" beeinflusste die Doktrin des sozialistischen Realismus in der Sowjetunion auch die Filmpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Vorbildliche Figuren, wirklichkeitsnahe Geschichten und eine optimistische Schulung der sozialistischen Ideale wurden von der Parteiführung gefordert. Erneut unter Mitarbeit von Bertolt Brecht und Hanns Eisler drehte Slatan Dudow in diesem Kontext den DEFA-Farbfilm "Frauenschicksale" (DDR 1952) über den Reifeprozess von vier Arbeiterinnen. Mit den "Thälmann" -Filmen (Kurt Maetzig, DDR 1954/55) entstand ein Heldenepos über den ehemaligen Vorsitzenden der KPD.

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Weil der Arbeiterfilm aber meist Gegenwartsfragen verhandelte, war in ihm durchaus das Potenzial zum Widerspruch angelegt, besonders in der kulturellen Tauwetter-Periode der frühen 1960er-Jahre: So wurde Frank Beyers differenziertes Baustellen-Drama "Spur der Steine" (DDR 1966) nach erfolgreichem Kinostart nachträglich verboten, obwohl der Film keine grundsätzliche Kritik am System übt, sondern sich nur mit den "Mühen der Ebenen" (Brecht) im Sozialismus auseinandersetzt. Die Zeichnung der Figuren und Konflikte war den Parteifunktionären, die auf dem XI. Plenum des Zentralkomitees 1965 eine Rückkehr zu einer deutlich rigideren Kulturpolitik vollzogen hatten, dann aber doch zu wirklichkeitsnah.

Ein humanistisches Kino: Der Neorealismus und die Folgen

In Westeuropa etablierte sich derweil nach dem Zweiten Weltkrieg ein filmischer Stil, dessen Grundlagen Filmschaffende in der ganzen Welt aufgriffen und der bis heute für die Darstellung sozialer Realitäten im Film relevant ist. Nach Vorläufern im französischen Kino der 1930er-Jahre (Jean Renoir, Marcel Carné) entwickelten italienische Filmschaffende in den 1940er-Jahren eine Arbeitsweise, Ästhetik und Programmatik, die sie selbst Zum Inhalt: Neorealismus nannten. Um soziale Missstände nach dem Kriegsende wie Armut und Wohnungsmangel glaubwürdiger darzustellen, arbeiteten sie mit Laiendarstellerinnen und Laiendarstellern aus dem jeweiligen Milieu, filmten an den Zum Inhalt: Originalschauplätzen der kriegszerstörten Städte und setzten auf eine Zum Inhalt: Mise-en-scène der Dauer statt auf eine elaborierte Zum Inhalt: Montage. Im Vergleich zum sozialistischen Realismus erscheinen die Arbeiterfiguren in Filmen wie oder Zum Filmarchiv: "La Strada" aber nie bloß als Prototypen einer Klasse. Mit der Tendenz zum Zum Inhalt: Melodram zielt der neorealistische Film stets auch auf die humanistische Empathie mit dem individuellen Gefühlskosmos seiner Figuren.

Ich, Daniel Blake, Trailer (© Prokino)

Seinen bis heute größten Widerhall und eine landestypische Weiterentwicklung fand der . Mit Anfängen im Dokumentarfilm unter dem Stichwort "Free Cinema" in den 1950er-Jahren setzten Regisseure wie Lindsay Anderson ("Lockender Lorbeer" , GB 1963), Karel Reisz ("Samstagnacht bis Sonntagmorgen" , GB 1960) und Tony Richardson ("Blick zurück im Zorn" , GB 1959) ihre Karrieren mit Spielfilmen fort. Sowohl für die literarischen Vorlagen (Alan Sillitoe, John Osborne) als auch für die Filme etablierte sich das metaphorische Schlagwort kitchen sink realism (auf Deutsch etwa: Spülstein-Realismus): Häusliche Szenen, Alltagssorgen und die rebellische Attitüde junger Working-Class-Vertreter– die sogenannten angry young men – stehen im Fokus. Ken Loach (Zum Filmarchiv: "Ich, Daniel Blake") und Mike Leigh () führen diese Regieschule unter dem Wandel politischer Verhältnisse in Großbritannien (Privatisierungen, Niedergang der Gewerkschaften) bis heute fort.

Mediterranea, Szene (© DCM)

Arbeiterfilme im Kontext von Migration und Globalisierung

Im "Kino des Proletariats" – und im Fall von Ken Loach sogar im Werk eines einzelnen Regisseurs – lässt sich der sozioökonomische Wandel westlicher Industriegesellschaften bis ins 21. Jahrhundert nachvollziehen. Mit der Ausdifferenzierung der sozialen Schichten im postindustriellen Kapitalismus geht es mittlerweile kaum noch um den Appell an ein Klassenbewusstsein – zumal seit 1990 der real existierende Sozialismus als Konkurrenzmodell verschwunden ist. Stattdessen nehmen europäische Filme wie oder Zum Filmarchiv: "Mediterranea" zunehmend die Situation von Minderheiten in den Blick, die – nach Flucht oder Migration, mit oder ohne legalen Status – unter prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen leiden und nur selten auf eine organisierte Interessenvertretung hoffen können. In diesem Sinne spielt "In den Gängen" in einer proletarischen Arbeitswelt, deren solidarisch geprägte Gemeinschaft im Kino der Gegenwart wie eine anachronistische Ausnahme erscheint.

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