Als Richard an einem gewittrigen Herbstmorgen alleine in seinem Nest aufwacht, könnte das Wetter kaum besser zu seiner Stimmung passen. Denn seine Storchenfamilie ist einfach ohne ihn auf die lange Reise Richtung Süden aufgebrochen, um in Afrika zu überwintern. Vater Claudius wollte ihn nicht mitnehmen, weil Richard kein Storch sei, sondern ein Spatz, den die Storchenfamilie adoptiert hat. Und weil er angeblich die lange Reise nicht überstehen würde. Doch Richard ist fest entschlossen, seine Eltern und den großen Bruder Max einzuholen und ihnen zu beweisen, dass er sehr wohl ein Storch ist. Aber die Reise nach Afrika ist lang und beschwerlich, zumal Richard auch nicht so genau weiß, wo der Süden überhaupt liegt.

Da ist es gut, dass Richard der etwas groß geratenen Zwergeule Olga begegnet – und diese sich von ihrem imaginären Freund Oleg dazu überreden lässt, dem "Klapperspatz" zu helfen. Per Reisebus legen sie den ersten Teil der Strecke zurück und erreichen eine kleine französische Ortschaft, wo sie Bekanntschaft mit dem Wellensittich Kiki machen, der von einer Karriere als Revuestar träumt. Kiki verspricht, Richard und Olga per Zug nach Gibraltar zu führen, sobald sie ihn aus seinem Käfig befreien. Kikis wahres Reiseziel ist jedoch ein Gesangswettbewerb im italienischen Sanremo – den drei schrägen Vögeln stehen also noch so manche Hindernisse und Umwege auf dem Weg nach Afrika bevor.

Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper, Szene (© 2017 Wild Bunch Germany)

Schwierige Themen, leicht vermittelt

Kaum ein Kind, das sich nicht schon einmal anhören musste, es sei für etwas noch zu klein. Kaum ein Kind, das nicht die Frustration darüber kennt, dass ihm eine bestimmte Aufgabe noch nicht zugetraut wird – oder es dieser Aufgabe tatsächlich noch nicht gewachsen ist. Doch es ist nicht nur diese Nähe zum Gefühlsleben junger Kinozuschauer/-innen, die "Überflieger" auszeichnet. Der auf einem Zum Inhalt: Originaldrehbuch basierende Zum Inhalt: Animationsfilm führt sein junges Publikum an eine ebenso spannende wie schwer zu beantwortende Fragestellung heran: Was bedeutet Identität – und wer darf bestimmen, was die eigene Identität ausmacht? Folgen wir unserem Alltagswissen und den Aussagen der anderen Tierfiguren, dass es sich bei Richard um einen Spatzen und eben nicht um einen Storch handelt – oder ist es für uns Zuschauende bedeutsamer, wie Richard sich selbst sieht?

Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper, Szene (© 2017 Wild Bunch Germany)

Storch oder nicht Storch – "piepegal"?!

Dabei leugnet der Film die Unterschiede zwischen den Vogelarten nicht – gerade aus ihnen gewinnt er ja seinen Handlungskonflikt, seinen Witz und seine Zum Inhalt: Spannung. So bereitet etwa die Zum Inhalt: Szene, in der Richard und sein großer Bruder Max vor der Abreise der Zugvögel durch den herbstlichen Birkenwald jagen, zweierlei vor: Sie zeigt, dass Richards kleiner Spatzenkörper dem starken Wind in höheren Lagen nicht gewachsen ist und steigert so die Spannung. Zugleich führt uns die Szene vor, wie viel schneller und wendiger sich Richard durch das Geäst der Bäume hindurchmanövrieren kann. Damit deutet sie schon die zentrale Erkenntnis an, die der Film auf seinem dramatischen Höhepunkt zuspitzt: Dass ein Unterschied nicht mit einem Mangel gleichzusetzen und Anderssein kein Nachteil an sich ist, sondern sich je nach Situation sogar als Vorteil erweisen kann.

Entscheidend sind nicht die Unterschiede, sondern welche Bedeutung man ihnen zuschreibt. Storch oder nicht Storch – für Richard ist die Frage nach der biologischen Art am Ende "piepegal", da eine andere Zugehörigkeit für ihn viel wichtiger ist: jene zu seiner Familie, die ihn im Happy End des Films schließlich doch als einen der ihren anerkennt. Auch die Erzählstränge um die Zum Inhalt: Nebenfiguren greifen diese Frage um Festschreibung und Aushandlung von Identität auf und nehmen dabei nicht immer den erwarteten Verlauf.

Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper, Szene (© 2017 Wild Bunch Germany)

Ein Film für Jung und Alt

Diese Themen drängt der Animationsfilm seinem jungen Publikum nicht auf. Vielmehr vermittelt er sie stets zugänglich und humorvoll in Form eines klassischen Zum Inhalt: Reiseabenteuers. Kindgerecht wechseln sich dabei spannungsreiche Zum Inhalt: Sequenzen mit entlastenden Szenen ab, wobei junge Zuschauende vor allem an der körperlichen Komik ihre Freude haben dürften: etwa an Kikis exaltierter Körpersprache oder Slapstickeinlagen wie einem Vogelflug, der an einer Fensterscheibe sein jähes Ende findet. Anspielungen wie die "running gags" über Kommunikation in den sozialen Netzwerken und das Spiel mit kulturellen Klischees adressieren eindeutig ein älteres Publikum.

Neben der angesprochenen Mehrfachadressierung teilt "Überflieger" mit anderen Familienfilmen wie etwa Zum Filmarchiv: "Findet Dorie" oder Zum Filmarchiv: "Alles steht Kopf" auch die episodische Struktur, die Actioneinlagen und insbesondere die Realisierung als Zum Inhalt: 3D-Animation. Während die Landschaften größtenteils in einem realistischen Zeichentrickstil gehalten sind, sind die Figuren des Films – bis auf wenige Ausnahmen Vögel – leicht cartoonartig gestaltet. Auch wenn "Überflieger" nicht ganz an den Zum Inhalt: visuellen Detailreichtum großer US-Produktionen heranreicht, können sich die Animationen des Films trotz geringeren Budgets durchaus mit den Vorbildern messen.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Unterrichtsmaterial

Mehr zum Thema