Der französische Kaiser Napoleon Bonaparte (geboren 1769 auf Korsika, Krönung im Jahr 1804) stammte nicht aus einer der großen Adelsdynastien Europas. Er verdankte seine Herrschaft seinen militärischen Erfolgen, seinem Charisma und dem Machtvakuum, das in Frankreich nach der Revolution 1789 herrschte. Die Erzählung seines Aufstiegs zum Alleinherrscher beginnt mit der Enthauptung der Königin Marie Antoinette 1793 – vier Jahre nach dem Sturm auf die Bastille ist die Revolution immer noch im Gang. Bei der Verteidigung der Festung Toulon erregt Napoleon erstmals Aufmerksamkeit. Es folgen die weiteren Stationen seines einmaligen Lebenslaufs: die Feldzüge nach Ägypten und Russland, die Schlachten von Austerlitz, Borodino und Waterloo, die Krönung und die zweimalige Verbannung. Parallel erzählt wird die Liebesgeschichte mit Joséphine de Beauharnais, mit der Napoleon kein Kind (und somit keine Thronfolge) bekommt, als das große private Drama im Leben eines offensiv selbstbewussten, im Innersten aber auch unsicheren Mannes. Noch in seinen letzten Momenten ist die Stimme von Joséphine gegenwärtig.

"Napoleon" ist ein klassisches Zum Inhalt: Biopic. Neben Jesus und Johanna von Orléans zählt Napoleon zu den historischen Figuren, über die es die meisten Filme gibt. Abel Gance probierte für seinen Zum Inhalt: Stummfilm "Napoleon" (FR 1927) sogar ein neues Kinoformat aus. Im Vergleich bleibt Regisseur Ridley Scott konventionell: Man sieht der Kinofassung an, dass es vor allem um Materialbewältigung geht (die zwei Stunden längere Streaming-Version soll weniger deutliche Sprünge haben). Scotts "Napoleon" ist vor allem ein Beispiel für Filmdesign (Glossar: Zum Inhalt: Production Design/Ausstattung): Die Szenen in Ägypten oder in Moskau (aus dem der Zar die ganze Bevölkerung abgezogen hat) sind zugleich historisch präzise und wirken doch wie große Fantasien. Bei den langen Schlachtszenen geht Scott immer wieder pointiert ins Detail und hebt Actionelemente (Glossar: Zum Inhalt: Genre) wie einschlagende Kanonenkugeln und andere Grausamkeiten hervor. Zugleich betont er in dieser choreografierten (teils auch digitalen) Zum Inhalt: Inszenierung von Massen auch den strategischen Überblick Napoleons als Feldherr. Joaquin Phoenix hält mit seiner schauspielerischen Präsenz (Glossar: Zum Inhalt: Schauspiel) den insgesamt riesigen Stoff halbwegs zusammen. Der US-amerikanische Superstar verzichtet hier weitgehend auf die neurotische Intensität, für die er aus Filmen wie "Joker" (US 2019) berühmt ist.

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Die Beschäftigung mit "Napoleon" kann auf zwei Ebenen erfolgen: einer politisch-historischen und einer filmästhetischen. Politisch könnte man beim Thema Revolution ansetzen – unter jungen Menschen kursieren heute viele Vorstellungen von radikaler Systemveränderung. Was geschah im Jahr 1789 und danach genau? Und warum war die Kaiserkrönung von Napoleon ein revolutionäres Ereignis, das zugleich die Revolution verriet (durch Einsetzung eines Alleinherrschers, der zwar "von unten" kam, aber wieder monarchisch agierte)? Napoleons Bemühen um eine Erbfolge im Rahmen der damaligen Heiratsdiplomatie lässt sich mit heutigen Regelungen in demokratischen oder auch autokratischen Systemen vergleichen. Welche Funktionen und wieviel Macht hatte überhaupt ein Kaiser, im Vergleich zu einem heutigen Bundespräsidenten oder einer Bundeskanzlerin? Filmästhetisch könnte man von einer einfachen Bildsuche im Netz ausgehen: Welche Darstellungen gibt es von Paris, Moskau oder Ägypten aus dem frühen 19. Jahrhundert? Gibt es "realistische" Bilder aus einer Zeit vor der Fotografie? Zahlreiche Schlachtengemälde oder das berühmte Bild der Kaiserkrönung von Jacques-Louis David (1806-1807) könnten Regisseur Scott als Inspiration gedient haben.

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