Wer sich für die Lebensgeschichte Stefan Zweigs interessiert, wird ein wenig überrascht sein über Maria Schraders Film Zum externen Inhalt: Vor der Morgenröte (öffnet im neuen Tab). Kindheit, frühe Erfolge als Autor und sein Leben im Heimatland Österreich kommen im ersten Zum Inhalt: Biopic über den Schriftsteller nicht vor. Stattdessen schildert der Film anhand von sechs kurzen Episoden die Jahre im Exil, akzentuiert prägnante, sinnbildliche Momente und lässt dafür andere wesentliche Ereignisse in Zweigs Leben aus. Der erzählerische Ansatz, die Handlung auf kurze Lebensabschnitte einer Person zu beschränken, findet sich in vielen Biopics der letzten Jahre. Er scheint die epische Lebensgeschichte als prägende Form des Genres allmählich abzulösen.

Klassische Form des Biopics

Unverändert ist allerdings die Faszination des Kinos für Biografien bekannter oder von der Geschichte vergessener Persönlichkeiten. Dass Biopics vor allem in Hollywood hoch im Kurs stehen, zeigt schon die Oscar-Statistik der letzten Jahre: 17 der letzten 32 Oscars für die besten Hauptdarsteller/-innen wurden für Porträts realer Personen vergeben. Die klassische narrative Form der Filmbiografie entwickelte sich bereits zur Blütezeit des Stummfilms in den 1920er-Jahren: Filme wie der mehr als fünfstündige "Napoleon" (F 1927) von Abel Gance erzählen die Lebensgeschichten herausragender Persönlichkeiten von der Kindheit bis ins hohe Alter. Ähnlich machte es über 50 Jahre später der Genreklassiker Zum externen Inhalt: Gandhi (öffnet im neuen Tab) (GB/IN 1982). Aus historischer Perspektive entwickeln diese Filme aus den biografischen Stationen eine lineare, sinnhafte Erzählung. Bei Gance etwa zeigen sich das taktische Geschick und die Führungsqualitäten Napoleons bereits früh bei einer jugendlichen Schneeballschlacht.

Vor der Morgenröte, Szene (© X Verleih)

Formelhafte Biografien

In den 1930er-Jahren hatte sich das Biopic als Genre mit eigenen Konventionen etabliert. Für das Studio Warner Brothers etwa inszenierte der aus Deutschland emigrierte William Dieterle mit dem Schauspieler Paul Muni eine ganze Serie von Filmen über sogenannte great men. In kurzer Folge spielte Muni in "Louis Pasteur" (USA 1936) den berühmten Wissenschaftler, den Schriftsteller Zola in "Das Leben des Emile Zola" (USA 1937) und den mexikanischen Revolutionär Juarez im gleichnamigen Film (USA 1939). So sehr sich Ort, Zeit und Milieu dieser great men auch unterschieden, die Erzählstrategien der Filme ähnelten sich. Denn Biopics dieser Art zeichnen ihre Protagonisten bigger than life: Die individuellen Lebensgeschichten stehen beispielhaft für eine ganze Epoche, die realen Biografien werden aus dramaturgischen Zwecken zugespitzt und nicht selten schicksalhaft überhöht. Die daraus häufig resultierende „Und dann“-Dramaturgie solcher Filme wirkt schnell formelhaft, wenn wie in den Musikerfilmen Zum externen Inhalt: Ray (öffnet im neuen Tab) (USA 2004) oder Zum externen Inhalt: Walk the Line (öffnet im neuen Tab) (USA/D 2005) bekannte und dramatische Lebensstationen lediglich chronologisch abgehakt werden.

Wegweisende historische Momente

Mehr Möglichkeiten der Vertiefung einzelner Themen bietet dagegen der Ansatz von "Vor der Morgenröte" . Obwohl sich Filmemacher/-innen erst in den letzten Jahren verstärkt dieser Erzählstrategie bedienen, kann bereits John Fords "Der junge Mr. Lincoln" (USA 1939) als Vorgänger einer verdichteten Erzählweise gelten. Der Film schildert anhand einer einzelnen Gerichtsverhandlung Lincolns Karrierebeginn als Rechtsanwalt. In gewisser Hinsicht wirkt Steven Spielbergs Zum externen Inhalt: Lincoln (öffnet im neuen Tab) (USA 2012) wie ein Zum Inhalt: Sequel zu Fords Film: Spielberg konzentriert sich auf die letzten vier Monate im Leben Lincolns, in denen er als Präsident gegen große Widerstände die Abschaffung der Sklaverei als Verfassungszusatz durchsetzte. Sein Film widmet sich vor allem dem Politiker Lincoln. In dialogreichen Szenen zeichnet "Lincoln" nach, wie sich der Präsident mit Weitsicht und Verhandlungsgeschick Stimme um Stimme für die Abstimmung im Parlament erkämpft. In beiden Fällen fungiert der gewählte Lebensabschnitt als Schlüssel zur Biografie.

Biografische Verdichtung

Lincoln

2012 Twentieth Century Fox

In Zum externen Inhalt: Selma (öffnet im neuen Tab) (USA 2014) zeigt sich eine weitere Qualität der erzählerischen Fokussierung im gegenwärtigen Biopic. Der Film über die Selma-Montgomery-Märsche im Jahr 1965 ist zwar als Biopic über Martin Luther King angelegt, rückt jedoch den gesellschaftlichen Kontext von Kings Engagement in den Vordergrund: die sozialen Konflikte der 1960er-Jahre, den gewalttätigen Rassismus und die vielstimmigen Positionen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Mit zahlreichen starken Nebenfiguren und dem Filmtitel distanziert sich Regisseurin Ava DuVernay deutlich vom häufigen Personenkult des Biopics und weicht damit auch von einem gängigen Topos des Genres ab: dass große Männer mit großen Ideen am Rad der Geschichte drehen.

Wo "Selma" den Fokus einer klassischen Biografie zurücknimmt, greifen zwei deutsche Filme der letzten Jahre, die jeweils den Eichmann-Prozess als Fixpunkt benutzen, mittels dramatischer Zuspitzung auf ein beliebtes Biopic-Motiv zurück: Zum externen Inhalt: Der Staat gegen Fritz Bauer (öffnet im neuen Tab) (2015) und Zum externen Inhalt: Hannah Arendt (öffnet im neuen Tab) (2013) zeigen kämpferische Persönlichkeiten, die kraft ihrer individuellen Standhaftigkeit für gesellschaftliche Veränderungen eintreten. An "Der Staat gegen Fritz Bauer" wird jedoch auch ein Problem dieser verdichteten Erzählung deutlich: Um innerhalb von nur vier Jahren alle wesentlichen Konflikte Bauers erfassen zu können, nimmt sich Regisseur Lars Kraume große dramaturgische Freiheiten – auch zulasten historischer Fakten.

Nahaufnahmen kurzer Lebensabschnitte

Vor der Morgenröte

Vor der Morgenröte (© X Verleih)

Die Konzentration dramatischer Konflikte in der Nahaufnahme kurzer Lebensabschnitte treibt Danny Boyle mit Zum externen Inhalt: Steve Jobs (öffnet im neuen Tab) (USA 2015) auf die Spitze. Während "Der Staat gegen Fritz Bauer" seine fiktionalisierten Elemente hinter dem Realismus des Geschichtskinos verbirgt, legt "Steve Jobs" die Konstruiertheit seines Bildes vom Apple-Gründer durch eine Drei-Akt-Struktur, eine stilisierte Zum Inhalt: Mise-en-Scène und die Verwendung unterschiedlicher Filmmaterialien (16mm, 35mm, HD) offen. Die drei Episoden – jeweils unmittelbar vor der Präsentation wegweisender Produkte angesiedelt – werden durch Zum Inhalt: Rückblenden ergänzt, die Bezüge zu Jobs‘ Vergangenheit herstellen. Vor diesem Hintergrund kann der Film trotz seiner erzählerischen Beschränkung ältere Konflikte behandeln und vertiefen.

Ein Genre im Wandel

Den episodischen Zugang zur Biografie ihrer Protagonisten haben "Steve Jobs" und "Vor der Morgenröte" gemeinsam. Im Vergleich zur linearen Lebensgeschichte klassischer Biopics bietet diese Erzählweise dem Genre eine offenere Form. Das Episodische betont immer auch die Leerstellen, die nicht erzählt werden (können), weicht ab vom Mythos eines stringenten Lebenslaufs und verdeutlicht zudem, dass Porträts historischer Personen immer von der Perspektive der Betrachtenden abhängig sind. Postmoderne Biopics wie Derek Jarmans "Caravaggio" (GB 1986) oder Zum externen Inhalt: I'm Not There (öffnet im neuen Tab) (USA/D 2007), in dem Bob Dylan von sechs Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert wird, brechen sogar noch deutlicher mit den Erzählkonventionen des Genres. Bislang bleiben solche Erzählexperimente allerdings die Ausnahme. Noch lässt sich nicht absehen, ob die Zeit der „großen Erzählungen“ im Biopic-Genre vorbei ist.