Chicago, 1968. Auf den Straßen brodelt es; spürbar ist ein Wandel, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Für Joy sind die gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit jedoch abstrakt und weit weg. In ihrem Vorort-Einfamilienhaus (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) entspricht sie dem Idealtyp einer US-amerikanischen Hausfrau – und scheint nicht unzufrieden in dieser Rolle. Das ändert sich, als ihre zweite Schwangerschaft zu einem lebensbedrohlichen Herzfehler führt. Die einzig verlässliche Behandlung, erklärt ihr Arzt, sei "nicht mehr schwanger zu sein". Doch Abtreibungen stehen in den USA unter harter Strafe. Auch die medizinische Kommission, die in einem sterilen Konferenzraum über Joys Fall entscheidet, hält einen Abbruch für nicht gerechtfertigt, solange ein gesundes Kind zur Welt kommen kann. Verzweifelt und fassungslos wendet sich Joy an ein Netzwerk von Frauen, die im Untergrund unter dem Decknamen "Jane" Schwangerschaftsabbrüche vermitteln. Die unpolitische Joy wird – beinahe zufällig – zur Aktivistin und beginnt immer mehr, die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Rolle darin in Frage zu stellen.

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Die gesellschaftliche Debatte um Schwangerschaftsabbrüche spiegelte sich zuletzt in einigen aktuellen und vielbeachteten Filmproduktionen, wie Audrey Diwans "Das Ereignis" ("L'événement" , F 2021) und Eliza Hittmans Zum Filmarchiv: "Niemals Selten Manchmal Immer" ("Never Rarely Sometimes Always" , USA/UK 2020). "Call Jane" setzt dem mitunter schwer auszuhaltenden Realismus dieser Vorgänger einen leichteren und hoffnungsvolleren Ton entgegen. Regisseurin Phyllis Nagy adaptiert die wahre Geschichte des feministischen Chicagoer "Jane Collective" als historisches Drama, das Themen des persönlichen und politischen Empowerments und der Solidarität in den Mittelpunkt stellt. Einige Konflikte werden dabei zugunsten eines runden und versöhnlichen Narrativs vielleicht allzu sauber aufgelöst, die Konsequenzen und die Gefahren, die den realen Aktivistinnen drohten, entschärft: Dass 1972 während einer Razzia sieben "Janes" festgenommen wurden und ihnen lebenslange Haftstrafen drohten, wird im Film nur in einem Nebensatz erwähnt. Als mitreißender und spannender Blick in die Vergangenheit überzeugt "Call Jane" aber umso mehr: Die auf analogem Zum Inhalt: 16mm-Film gedrehten Bilder von Kamerafrau Greta Zozula, die sich unter anderem durch die urbane Street Photography jener Dekade inspirieren ließ, verleihen dem Film einen körnigen und warmen Retro-Look; Zum Inhalt: Filmmusik aus dieser Zeit und das detailgetreue Zum Inhalt: Szenen- und Zum Inhalt: Kostümbild machen den historischen Moment der späten 1960er in seinen Aufbruchsgefühlen und Widersprüchen spürbar.

"Call Jane" endet mit der Auflösung des "Jane Collective": 1973 entkriminalisierte das Grundsatzurteil "Roe v. Wade" Schwangerschaftsabbrüche in allen 50 US-Bundesstaaten und machte das Untergrund-Netzwerk obsolet. Doch fünfzig Jahre später ist das Recht auf Abtreibung nach wie vor ein umstrittenes und politisch aufgeladenes Thema: In Deutschland wurde im Juni 2022 nach jahrelangen Debatten und Kampagnen der Paragraf 219a – das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Am selben Tag kippte der Oberste Gerichtshof der USA das Urteil "Roe v. Wade", sodass Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche wieder einschränken oder vollständig verbieten können. Im Politik-, Sozialkunde- oder Geschichtsunterricht bietet sich also eine Auseinandersetzung mit den historischen und aktuellen gesellschaftlichen Debatten um Schwangerschaftsabbrüche an. Im Deutsch- oder Englischunterricht können sich die Schüler/-innen mit dem Genre des historischen Spielfilms beschäftigen: Basierend auf eigenen Recherchen zur Geschichte des "Jane Collective" erörtern sie, mithilfe welcher dramaturgischen Griffe, Ergänzungen und Auslassungen die Realität "filmtauglich" gemacht wird. Sie beobachten außerdem, wie sich "Call Jane" durch Zum Inhalt: Requisiten, Kostüme oder Musik in seiner Epoche verortet.

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