Rauschende Ballszenen, historische Schlachten oder das einfache Leben der britischen Working Class im Jahr 1968 – die Ausstattung eines Films bestimmt dessen Wahrnehmung oft mehr als die Handlung. Fachleute bevorzugen den Ausdruck Szenenbild, zu dem man im weiteren auch Kostüm und Maske zählen kann. Eine Fülle von Details dient im Film der Charakterisierung von Ort, Zeit und Figuren, verrät aber immer auch die künstlerische Interpretation. Die Zum Inhalt: Farbgestaltungfarbenfrohe Welt von Zum Filmarchiv: "We Want Sex" (Made in Dagenham, Nigel Cole, Großbritannien 2010) ist dafür ein gelungenes Beispiel. Regisseur Nigel Cole bestätigt damit unser Bild der britischen Swinging Sixties als einer Epoche von Aufbruch und Emanzipation – ein sozialer Kontext, der den im Mittelpunkt stehenden Arbeiterinnen von Dagenham vermutlich nicht bewusst war. Der Widerspruch von harter Alltagsrealität und historischer Wirkungsmacht schlägt sich in der Optik des Films nieder, der als politische Komödie, aber auch als Ausstattungsfilm begeistert.

Was Kleider erzählen

We Want Sex: Frisuren wie Türme

Tobis Film

Der erste Blick des Films fällt auf die durchs Werkstor radelnden Arbeiterinnen in "zeittypischen" Kostümen, die bereits ihre Figuren charakterisieren. Tragen die älteren Näherinnen noch Kittelschürze, sind ihre jüngeren Kolleginnen schon näher am Londoner Sixties-Look: Die Aufmachung im schrill-bunten Minikleid lässt manche gar von einer Modelkarriere à la Twiggy träumen. Die elegante Frisurenmode Vidal Sassoons allerdings ist noch nicht in Dagenham angekommen. Lockenwicklerfrisuren künden weiterhin vom Hausfrauenideal der 1950er-Jahre. Dieses Nebeneinander moderner und veralteter Modetypen bewahrt den Film, bei aller Stilisierung, vor der Sterilität.

Stimmung machen

Bitterer Honig, 1961

Optimum Home Entertainment

Zum Filmdesign gehört neben den Kostümen vor allem das Zum Inhalt: Production Design/AusstattungProduction- oder Set-Design, also die Auswahl und Ausstattung der Drehorte, bei denen es sich um Originalschauplätze oder Studiobauten handeln kann. Im Fall von Zum Filmarchiv: "We Want Sex" empfiehlt sich ein Vergleich mit einem zeitgenössischen britischen Film wie "Bitterer Honig" (A Taste of Honey, Tony Richardson, Großbritannien 1961), der ebenfalls im Arbeiterklassemilieu spielt. Zum Inhalt: DokumentarfilmDokumentarisch wirkende Aufnahmen verarmter Arbeiterviertel, maroder Industrieanlagen und schimmeliger Wohnungen vermitteln einen so realistischen wie bedrückenden Eindruck. Im Spülstein – daher der filmhistorische Begriff "Kitchen-Sink-Movie" – stapelt sich der Abwasch vom Vortag. Es ist jene Atmosphäre, die Nigel Cole in seinem "positiven" Film Zum Filmarchiv: "We Want Sex" vermeiden will. Die behagliche Behausung der Hauptfigur Rita charakterisiert sie als – zunächst – brave Hausfrau. In Sachen Frisur und freches Mundwerk ist sie allerdings an Rita Tushingham angelehnt, die Hauptdarstellerin von "Bitterer Honig" .

Orte und Schauplätze

Nur eine einzige, aber wirkungsvolle Zum Inhalt: EinstellungsgrößenTotale zeigt in Zum Filmarchiv: "We want Sex" die bescheidene Arbeitersiedung im Schatten der großen Fabrik und veranschaulicht damit den engen ökonomischen Zusammenhang von Leben und Arbeiten. Für die Fabrikaufnahmen in "Dagenham" wurde ein stillgelegtes Werk der Firma Hoover in Südwales gefunden. Die marode Fabrikhalle erinnert an frühkapitalistische Verhältnisse: An ihren Nähmaschinen schwitzen die Arbeiterinnen im Akkord, gegen das durch die Decke tropfende Wasser behelfen sie sich mit Regenschirmen. Die realen Ford-Arbeiterinnen lobten die Darstellung als authentisch. In Wahrheit sind solche Ausstattungsräume der Traum jedes Set-Designers. Gerade die stilisierte oder auch pittoreske Unordnung – die an allen Ecken aufgehängte Wäsche, das Wirrwarr von Spulen und Stoffmaterial – erfordert ein hohes Maß an künstlerischer Fantasie und handwerklichem Geschick.

Die guten alten Zeiten

We Want Sex: Schrille Muster

Tobis Film

Das Beispiel verdeutlicht: Schein und Sein sind im Filmhandwerk kaum zu unterscheiden, über Authentizität oder Stilisierung entscheidet nicht der jeweilige Stoff, sondern – neben den Möglichkeiten des Budgets – der künstlerische Wille. Und jede dieser Entscheidungen beeinflusst die Wahrnehmung des Publikums. Historienfilme, zu denen man neben Monumentalfilmen wie "Ben Hur" (William Wyler, USA 1959) oder "Gladiator" (Ridley Scott, USA, Großbritannien 2000) auch Zum Filmarchiv: "We Want Sex" zählen kann, suchen meist einen Ausgleich zwischen historischer Genauigkeit und augenschmeichelnder Opulenz. Oft genug verraten sie mehr über die Zeit ihrer Entstehung als über die abgebildete Epoche. So wollten die Macher von Zum Filmarchiv: "We Want Sex" laut Produzent Stephen Wolley, dass Kostüme, Setdesign und Beleuchtung vor allem die positive Weltsicht der Näherinnen und nicht die Grimmigkeit ihrer Realität widerspiegelten.

Austattungsträume

In der Filmgeschichte waren die Trennlinien oft schärfer gezogen. Das Musterbeispiel eines restlos stilisierten Films ist "Das Cabinet des Dr. Caligari" (Robert Wiene, Deutschland 1920), dessen expressionistische Bühnenarchitektur die wahnhafte Psyche seines Protagonisten bebildert. Filmgestalter Walter Reimann wollte nicht die Wirklichkeit nachahmen, sondern eine eigene Realität schaffen. In dieser Tradition, aber zusätzlich mit Versatzstücken der bekannten Realität arbeiteten in der Folge auch die großen Zukunftsfilme von Zum Filmarchiv: "Metropolis" (Fritz Lang, Deutschland 1926) bis Zum Inhalt: Blade RunnerBlade Runner (Ridley Scott, USA 1982). Die Perfektion von Authentizität und stilistischem Ausdruck gleichermaßen war das Ziel Stanley Kubricks. Um Innenszenen seines Historienfilms "Barry Lyndon" (Großbritannien 1975) bei Kerzenlicht drehen zu können, verwendete er Speziallinsen der NASA. Größere künstlerische Freiheit hatte er bei der Polisatire Zum Filmarchiv: "Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben" (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying And Love The Bomb, Großbritannien 1964) oder dem Science-Fiction-Film Zum Filmarchiv: "2001: Odyssee im Weltraum" (2001: A Space Odyssey, Großbritannien, USA 1968) mit ihrer bis heute inspirierend wirkenden Ausstattung. Sein Filmdesigner war meist Ken Adam, der für Zum Filmarchiv: "Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben" den berühmten War Room des US-Präsidenten erschuf, aber auch für mehrere Schurkenhauptquartiere der "James Bond" -Filme verantwortlich war. Für die Agentenserie stellte er sogar die Grundregel seines Berufs auf den Kopf: Das Szenenbild folgt den Vorgaben der Handlung. Was Adam allerdings schuf, stand selten im Drehbuch.

Eine Frage des Designs

In Zum Filmarchiv: "We want Sex" erfüllen Kostüme, Räume und Dekors hingegen die traditionelle Aufgabe, Einstellungen und Lebensumstände der Protagonisten/innen zu vermitteln. Erlaubt hat sich Regisseur Cole allerdings leichte Übertreibungen in der Farbgestaltung wie sie auch in 1960er-Jahre-Filmen Hollywoods, aber auch in den Beatles-Filmen Richard Lesters - etwa "Help!" (Großbritannien1965) - oder dem pastellenen Alltagsmusical "Die Regenschirme von Cherbourg" Jacques Demys (Les parapluies de Cherbourg, Frankreich 1964) gang und gäbe waren. Verbindendes Element ist das Lebensgefühl. Mit der Reise der Streikdelegation ins mondäne London erlebt dieses einen weiteren Schub: Für das Auge der Weltöffentlichkeit haben sich die Näherinnen besonders zurecht gemacht. Einem Kleid der Versandhausmarke Biba gelingt es sogar, die Klassengegensätze zu überwinden – zugunsten der Emanzipation. Der Beitrag des Designs ist auch hier nicht zu unterschätzen.

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