Als Adolf Hitler an die Macht kam, waren sie jung. Sie haben die NS-Zeit miterlebt, manche waren noch Kinder, andere waren bereits Soldaten, arbeiteten als Wachpersonal oder Schreibkräfte in den Vernichtungslagern. Der Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Final Account" trifft auf Menschen der Jahrgänge zwischen 1919 und den späten 1920er-Jahren. In Interviews mit ihnen versucht Luke Holland, die historischen Ereignisse der NS-Zeit aus der Perspektive von Tätern/-innen und Mitläufern/-innen in den Blick zu bekommen. Sie erzählen von der anfänglichen Begeisterung für die Ideologie und die Rituale des Nationalsozialismus oder von konkreten Umständen wie der Faszination und der elitären Anmutung, die von Uniformen ausging. Der Film ist so montiert (Glossar: Zum Inhalt: Montage), dass die Jahre zwischen 1933 und 1945 chronologisch besprochen werden. Bald berichten die Zeitzeug/-innen von ersten irritierenden Beobachtungen im Alltag, die bei manchen zumindest ein Abflauen ihrer Euphorie für das Regime erahnen lassen. Auffällig ist, dass die Befragten bei ihren Versuchen das Vergangene im Gedächtnis wachzurufen, immer wieder auf markante Bilder zurückgreifen, um den langen zeitlichen Abstand zu überbrücken. Empathische Erinnerungen bleiben dabei allerdings eher die Ausnahme. "Mir war es egal", sagt jemand über das Novemberpogrom von 1938. Gegen das "Nie wieder" der Vergangenheitsbewältigung setzt Luke Holland einen gemischten Befund: Der Nationalsozialismus ist vielen der interviewten Menschen auch in positiver Erinnerung geblieben.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube-nocookie.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Aus einem Zum Inhalt: Insert zu Beginn wird ersichtlich, dass Luke Holland bereits 2008 mit den Dreharbeiten zu "Final Account" begann. Er stand unter Zeitdruck, denn es wurde immer schwieriger, noch hochbetagte Menschen zu finden, die sich persönlich an den Nationalsozialismus erinnern konnten. Der etwas reißerische Titel "Final Account" (dt: Abschluss- oder Endabrechnung) suggeriert, dass er diese letzten lebenden Zeitzeugen/-innen noch vor die Kamera holen konnte, um ein allerletztes Mal Zeugnis abzulegen von den eigenen Taten und Erlebnissen während der NS-Zeit. Es fehlt jedoch an einer konzisen Fragestellung. Holland springt mit den Aussagen seiner Protagonisten/-innen teilweise schwer nachvollziehbar zwischen Orten, Themen und Ereignissen hin und her. Das gilt auch für das weitgehend illustrativ verwendete (oft farbige) Archivmaterial, das – ohne Hinweis auf Urheber oder Zweck der dokumentarischen Aufnahmen – einen authentischen Eindruck vom Alltag im Nationalsozialismus vermitteln möchte und mit emotionalisierender Zum Inhalt: Musik unterlegt ist. Insgesamt gelingt es "Final Account" so nur bedingt, über das Anekdotische hinaus tiefergehende Erkenntnisse zu vermitteln.

Eine kritische Auseinandersetzung mit "Final Account" könnte sich fächerübergreifend zuerst mit der Rolle von Zeitzeugen/-innen generell befassen: Wie vertrauenswürdig ist eine Person, die in eine Kamera spricht und sich an die eigene Vergangenheit und Taten erinnert? Welchen Stellenwert können diese Zeugnisse in der Geschichtsschreibung haben? Die Thematik ist in Deutschland durch das Geschichtsfernsehen (Guido Knopp), aber auch durch die Arbeit von Steven Spielbergs Shoah-Foundation immer zentraler geworden und betrifft ein markantes Thema medienkundlichen Unterrichts. Das Beispiel der Zeugin aus Melk in Österreich, Jahrgang 1925, lässt sich heranziehen, um genauer zu überprüfen, wie eines der Zeugnisse in "Final Account" aufgebaut ist (Stichwort: Gaskammer, Stichwort: Zahnbehandlung) und welche Funktion es im Film hat. Auch der Begriff der Elite, der mehrfach fällt, verdient eine genauere Erörterung: Wie war die Gewaltherrschaft im Nationalsozialismus verfasst? Konnte ein SS-Offizier sich als Teil der Elite sehen? Die Passage, in der ein Gesprächspartner im Film den Holocaust leugnet, kann in Fächern wie Ethik, Politik oder Recht Anlass sein, um einerseits dessen Argumente kritisch zu hinterfragen und sich andererseits mit gesetzlichen Regelungen zu diesem Thema auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt ist eine Reflexion auf Geschichte aus der Perspektive von Opfern und Tätern erwägenswert: Kann man "neutral" vom Nationalsozialismus sprechen? Oder nimmt man immer Position? Luke Holland hat den Film "in Erinnerung an seine ermordeten Großeltern" gemacht – ist dafür die Täterperspektive die richtige Form? Will er warnen? Und wovor genau?

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Mehr zum Thema