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Film und Gesellschaft 1968
Ein Umbruchsjahr – auch im Kino? Ein historischer Überblick über innovative Tendenzen in der Filmkunst, politisierte Filmschaffende und den Einzug der Popkultur ins Kino.
Die Erinnerung an eine bestimmte Zeit wie auch an ein spezifisches historisches Ereignis wird heutzutage maßgeblich davon bestimmt, welche Bilder von und über diese Zeit verfügbar sind. Welche Fotos waren in der Presse, in Zeitungen und Magazinen zu sehen? Welche Bilder wurden vom Fernsehen ausgestrahlt oder live übertragen? Und schließlich auch: Welche Filme trugen ihren Teil dazu bei, dass Bilder der Zeit zu ikonografischen Bildern über diese Zeit wurden? 1968 ist eines jener Jahre, dessen Geltung und historische (Be-)Deutung über die produzierten und bis heute zirkulierenden Bilder bestimmt wird. Die Umbrüche und Neuerungen in der Produktion der Filme, im Schauspiel, in der audiovisuellen Ausgestaltung, aber auch der Filmpolitik fanden zwar nicht alle im geschichtsträchtigen Jahr '68 statt, erreichten dort jedoch einen markanten Höhepunkt.
Kino einer unruhigen Dekade
Gerade die weltweiten Erneuerungsbewegungen des Films trugen erheblichen Anteil an diesem Höhepunkt: die französische Nouvelle Vague seit Ende der 1950er-Jahre, der Junge (und später Neue) Deutsche Film in der Bundesrepublik seit 1962 und in den USA das Kino des Zum Inhalt: New Hollywood, das den vermeintlichen Zusammenbruch begleitete. Junge und oft auch wilde Regisseure schufen dort Filme, die bis heute zu den Klassikern der Filmgeschichte zählen. Mike Nichols‘ Zum Filmarchiv: "Die Reifeprüfung" (1967), Arthur Penns "Bonnie und Clyde" (1967) wie auch Dennis Hoppers "Easy Rider" (1969) nahmen sich eines neuen Lebensgefühls an, welches zwischen individueller Freiheit und den innen- wie außenpolitischen Unsicherheiten oszillierte, denen sich die USA in den 1960er-Jahren ausgesetzt sahen. Die Ideen sexueller Befreiung und Selbstbestimmung, nicht zuletzt auch freigesetzt durch die Erfolgsgeschichte der Anti-Baby-Pille, schlugen sich in Filmen wie Roger Vadims "Barbarella" (1968) oder – hier eher Horror als Befreiung – Roman Polańskis "Rosemaries Baby" (1968) nieder. Die schwarz-weißen Fernsehbilder aus dem Kriegsgebiet Vietnam, Sinnbild für die starke Vermischung außen- wie innenpolitischer Geschehnisse, führten den Horror in George A. Romeros "Die Nacht der lebenden Toten" (1968) fort und der Erfolg von Stanley Kubricks Zum Inhalt: Science-Fiction-Film Zum Filmarchiv: "2001: Odyssee im Weltraum" (1968) führte dazu, selbst die Bilder der Mondlandung 1969 für seine Zum Inhalt: Inszenierung dieses Ereignisses zu halten.
Suche nach einer neuen Filmsprache
Ähnliche Erneuerungsbewegungen des Films waren in anderen Ländern aufgrund einer stärkeren Verquickung von Politik und Kultur weniger erfolgreich. Die kurze Phase einer Liberalisierung der Filmproduktion in der DDR wurde bereits durch das sogenannte Kahlschlag-Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Dezember 1965 beendet und verbot nahezu eine ganze Jahresproduktion der DEFA-Studios, unter anderem Filme wie Kurt Maetzigs "Das Kaninchen bin ich" (1965) oder Frank Beyers "Spur der Steine" (1966). Und auch die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 beendete die kurze Phase der Neuen Welle in der Tschechoslowakei, deren Suche nach einer neuen Bildsprache sich vor allem in Filmen wie "Tausendschönchen" (1966) von Věra Chytilová oder "Der Leichenverbrenner" (1969) von Juraj Herz manifestiert.
Die Regisseurinnen und Regisseure des Neuen Deutschen Films hingegen versuchten bereits seit 1962, dem Verkündungsjahr ihres Programms auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen, Filme zu produzieren, die sich nicht nur mit der alltäglichen Wirklichkeit der Bundesrepublik befassten, sondern sich auch in ein kritisches Verhältnis zur deutschen Vergangenheit setzten. Alexander Kluges "Abschied von gestern" (1966) wurde so zum nahezu programmatischen Titel für den Aufbruch der Filmschaffenden, sein Nachfolger "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" (1968) zu einem ersten internationalen Erfolg.
Proteste – nicht nur im Kino
Die Proteste im Jahr 1968 wurden jedoch nicht nur auf der Leinwand ausgetragen, sondern auch auf den Filmfestspielen und in den Filmhochschulen Europas. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes solidarisierten sich im Mai 1968 die Jurymitglieder Roman Polański und Louis Malle mit den in Paris protestierenden Studierenden, was letztlich nicht nur zum Verzicht der Preisvergabe für die im Wettbewerb gestarteten Filme führte, sondern auch zum Abbruch des Festivals selbst. Zu einer der zentralen Figuren der Protestbewegung in Frankreich wurde der Regisseur und Mitbegründer der Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard. Seine Filme "Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola" (1966) wie auch "Eins plus eins" (1968) sollten den Diskurs um ‘68 maßgeblich mit beeinflussen. Während in Paris der Protest der Filmemacher/-innen gegen die Kürzungen der Subventionen der Cinémathèque française zum Erfolg führte, besetzten die Studierenden in Berlin die gerade erst 1966 neu eröffnete Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Die Direktoren Erwin Leiser und Heinz Rathsack standen den Protestierenden, die die Hochschule in Dsiga-Wertov-Akademie umbenannten, zunächst ratlos gegenüber. Der andauernde Protest führte schließlich im November 1968 zum Rauswurf von 18 Studierenden, unter ihnen Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und das spätere Mitglied der Roten Armee Fraktion Holger Meins. Ziel der angehenden Regisseure und Regisseurinnen war es, politische Filme zu drehen, die sich der Realität verpflichtet fühlten und politisch in den Alltag der Bundesrepublik hineinwirken konnten.
Film und Popkultur
Doch 1968 war mehr als die bloße Konzentration auf Politik: Mehr und mehr diffundierte die Popkultur der 1960er-Jahre in die Filme hinein, vom Schaffen der Rolling Stones in Godards "Eins plus Eins" hin zu den Songs von The Velvet Underground in Peter Zadeks "Ich bin ein Elefant, Madame" (1969) bildeten aktuelle Rocksongs den Zum Inhalt: Soundtrack der Filme. Zu den zentralen Figuren vieler Filme wurden Schülerinnen und Schüler, die sich gegen die Lehrenden (als Generation der Väter und Mütter) zur Wehr setzen mussten, mal mit ernstem Hintergrund wie in Zadeks Film, mal im Modus der Filmkomödie wie in Werner Jacobs‘ "Die Lümmel von der ersten Bank" ("1. Trimester: Zur Hölle mit den Paukern" , 1968). Filme, die spätestens zu Beginn der 1970er-Jahre mit den in den 1960er-Jahren so berühmten wie berüchtigten Aufklärungsfilmen Oswalt Kolles (ab 1968) eine Symbiose eingingen und die 13-teilige Reihe des "Schulmädchen-Reports" (ab 1970) begründeten. Doch nicht immer nahm der bundesdeutsche Film die Kritik der älteren Generation in einer abwehrenden Haltung auf. Setzte man auf den Vorwurf an die Jüngeren, lediglich in den Tag hineinzuleben oder gar "herumzugammeln", wurde genaue diese Figur des "Gammlers" zentraler Held in den Filmen. Wurde dieser Typ 1967 von Peter Fleischmann als Antiheld in seinem Film "Herbst der Gammler" noch Zum Inhalt: dokumentarisch in Szene gesetzt, inszenierte ihn May Spils in ihrem "Zur Sache, Schätzchen!" (1968), dort verkörpert von dem Schauspieler Werner Enke, als ewig redenden Streuner – womit Spils‘ Film mit 6,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern schließlich zum erfolgreichsten deutschen Kinofilm im Filmjahr 1968 wurde.
Weiterführende Links
- External Link Aus Politik und Zeitgeschichte: 1968
- External Link bpb.de: 1968 im Osten – Was ging uns die Bundesrepublik an?
- External Link bpb.de-Mediathek: 60 x Deutschland - Das Jahr 1968
- External Link The Guardian: Time for a riot: how the art of 1968 caught a world in turmoil (engl.)
- External Link criterion: Cannes '68: Cinema in Revolt (engl.)
- External Link bpb.de: Geschichte der 68er-Bewegung