Kategorie: Filmbesprechung
"Der Staat gegen Fritz Bauer"
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer will die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Bei seinen Ermittlungen gegen bekannte NS-Verbrecher muss er sogar die eigenen Behörden umgehen. Lars Kraumes Biopic porträtiert Bauer und die Bundesrepublik der 1950er-Jahre.
Unterrichtsfächer
Thema
Frankfurt am Main, 1957. In der jungen Bundesrepublik blüht das Wirtschaftswunder, das Land blickt nach vorn. Doch der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer will die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern sucht er nach den Verantwortlichen des Holocaust und sammelt Beweise für die Gräueltaten in den Konzentrationslagern. Es ist eine mühevolle Arbeit, die von den Ermittlungsbehörden eher sabotiert als gefördert wird. Mit seiner Vermutung, das Bundeskriminalamt versuche insbesondere seine Jagd auf Adolf Eichmann gezielt zu behindern, liegt Bauer richtig. Ein Prozess gegen einen der Hauptverantwortlichen für die Massendeportation der Juden würde zahllose Täter und Mitläufer ans Licht bringen, darunter solche, die auch im Nachkriegsdeutschland wichtige politische Stellen besetzen. Als er Informationen über Eichmanns Aufenthalt in Argentinien erhält, sieht sich Bauer zu einer riskanten Strategie gezwungen.
Einsamer Streiter gegen das Vergessen
Mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" will Regisseur Lars Kraume einem einsamen Streiter für die Gerechtigkeit ein Denkmal setzen. Fritz Bauer, als Jude im NS-Staat drangsaliert und schließlich zum Exil gezwungen, setzte die juristische Verfolgung der NS-Verbrechen in Deutschland nach seiner Rückkehr im Jahr 1949 maßgeblich in Gang. Ohne ihn wäre der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem vielleicht nie zustande gekommen, auch die Frankfurter Auschwitzprozesse ab 1963 beruhten auf seiner jahrelangen Arbeit gegen interne Widerstände in den Behörden. Im Film spielt ihn Burghart Klaußner als menschlichen Juristen mit dem für Bauer so charakteristischen schwäbischen Dialekt. Zu Beginn eingespieltes Fernsehmaterial belegt die äußerlichen Ähnlichkeiten. Mehrere, ebenfalls auf historischen Quellen beruhende Dialoge erläutern, worum es Bauer ging: um die Anwendung des Rechts, nicht um Rache. Nur wer sich der Vergangenheit stelle, könne wirklich nach vorne blicken. Die junge Generation, glaubte Bauer, sei bereit dazu.
Biopic und Justizthriller
Kraumes Mischung aus Zum Inhalt: Biopic und Justizthriller (Glossar: Zum Inhalt: Thriller) hat vor allem am Anfang des Films einige Merkmale eines Zum Inhalt: Kammerspiels. In engen Amtsstuben sieht man nicht nur Fritz Bauer am Werk, sondern auch seine Gegner, die aus ihrer nationalsozialistischen Verbundenheit („unsere Freunde“) intern keinen Hehl machen. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Verfolgung Eichmanns. Dessen Ergreifung durch den israelischen Geheimdienst wird parallel erzählt, zwei Reisen Bauers nach Jerusalem verlagern zwischenzeitlich das Geschehen. Der Hintergrund: Um die deutschen Ermittlungsbehörden zu umgehen, die Eichmann warnen könnten, gibt der Generalstaatsanwalt seine Informationen direkt an den israelischen Geheimdienst Mossad. Eine mögliche Anklage wegen Landesverrats nimmt er dafür in Kauf.
Gelungenes Porträt der Adenauer-Ära
Im Gegensatz zu anderen Darstellungen der 1950er-Jahre zeichnet der Film ein etwas anderes Zeitkolorit. Die musikalische Untermalung (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) durch Cool Jazz und elegant-modernes Mobiliar setzen interessante Kontrapunkte zu gängigen Klischees, stehen aber kaum im Vordergrund. Die politische Stimmung der Adenauer-Ära illustriert vielmehr eine Familienfeier im Hause Karl Angermanns, der im Film Bauers wichtigster Mitarbeiter ist. Die Ausstrahlung der Talkshow "Heute Abend Kellerclub", in der Bauer sich den Fragen eines jungen Publikums stellt, sorgt in der feierlichen Gesellschaft für hitzige Diskussionen – die Nation will vergessen, der „Rachejude“ Bauer stört die Harmonie und das joviale Selbstbild eines hart erarbeiteten Wohlstands. Um Bauers Figur emotional weiter zu vertiefen und in seiner Zeit zu verorten, geht der Film aber noch einen anderen Weg und widmet sich einem kaum bekannten Punkt seiner Biografie: Einigen Quellen zufolge war Bauer homosexuell.
Leben im Schatten des Paragrafen 175
Die Figur Karl Angermanns ist in diesem Sinn nicht nur Mitstreiter, sondern auch Leidensgenosse: Der verheiratete Mann lebt versteckt homosexuell. Kurze Einstellungen zeigen eine scheue Verbundenheit der beiden Männer, und die heimlichen Ausflüge Angermanns ins verruchte Nachtleben (eine Bar namens "Kokett") veranschaulichen recht drastisch eine Zeit, in der Homosexualität gemäß des Paragrafen 175 noch immer unter Strafe steht. Im Film hat diese juristische wie soziale Repression unmittelbare Auswirkungen: Männer wie Bauer und Angermann sind aufgrund ihrer Homosexualität angreifbar, der Preis ihrer Aufklärungsarbeit ist die Verschwiegenheit im Privaten. Aus gutem Grund empfiehlt Bauer, der seine Neigungen seit Langem unterdrückt, dem jüngeren Mitarbeiter, sein verbotenes Verlangen nicht weiter auszuleben.
Fiktive Figuren im Dienste der Dramaturgie
Diese auf fiktiven Figuren und historisch nicht unstrittigen Quellen beruhende Vermischung der Themen hinterlässt zumindest einen Nachgeschmack. Dem Film liegt das dramaturgische Konzept zugrunde, fiktive Figuren wie Angermann als reine Funktionsträger zu besetzen, um die persönliche Tragik Bauers zu dramatisieren: Bauer will einerseits NS-Verbrechen an die Öffentlichkeit bringen, ist aber durch den zu NS-Zeiten verschärften Paragrafen 175 gezwungen, seine sexuelle Neigung zu leugnen. Im Zum Inhalt: Genre des Biopic ist diese Methode zwar nicht ungewöhnlich und im narrativen Konstrukt manchmal sogar unumgänglich. Ein Film jedoch, der in einer über weite Strecken gelungenen historischen Rekonstruktion versucht, eine der prägendsten Persönlichkeiten der westdeutschen Nachkriegsgeschichte zu würdigen, ist damit in seiner historischen Glaubwürdigkeit zumindest zweifelhaft.