Kategorie: Gespräch
"Drehbücher schreibt man bei offener Tür."
Filmjournalist Knut Elstermann im Radiogespräch mit Wolfgang Kohlhaase
Der Filmjournalist Knut Elstermann hat sich mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase über das Drehbuchschreiben und sein umfangreiches Werk unterhalten. Das Gespräch wurde am 22. November 2020 auf MDR Kultur gesendet. Im Folgenden können Sie einen Ausschnitt daraus hören.
Hier finden Sie eine Transkription des Ausschnitts aus dem Gespräch zwischen Knut Elstermann und Wolfgang Kohlhaase. Der Text weicht von der Audiofassung leicht ab.
Knut Elstermann: Ich bin heute zu Gast bei einem der wichtigsten deutschen Drehbuchautoren. Ein Mann, der so wichtige Filmdrehbücher geschrieben hat wie zu den Filmen Zum Filmarchiv: "Ich war neunzehn", "Mama, ich lebe"
, "Zum Filmarchiv: "Berlin - Ecke Schönhauser""
, "Solo Sunny"
– also DEFA-Filme, die für viele Kinogänger und -gängerinnen zur persönlichen Filmbiografie gehören, Filme, mit denen Generationen aufgewachsen sind, die auch unser Weltbild, unsere Art, die Welt zu sehen, vielleicht ein bisschen mitgeprägt haben. Ich freue mich sehr hier zu sein: Wolfgang Kohlhaase. Hallo erstmal!
Wolfgang Kohlhaase: Hallo!
Knut Elstermann: Du warst 16 beim Kriegsende, 17, hast dann auch angefangen zu schreiben, warst Journalist. Aber wie kam es dazu, dass du dann bei der DEFA angefangen hast und da in relativ kurzer Zeit, muss man ja sagen, einer der wichtigsten Autoren geworden bist? Mit Gerhard Klein – die Filme, die du für ihn geschrieben hast. Wie kam dieser Sprung vom Journalisten zum Autor?
Wolfgang Kohlhaase: Also einmal: Ich gehe ganz normal ins Kino, zunächst mal mit keiner Ambition, das zu etwas anderem als zur Unterhaltung zu gebrauchen. Andererseits hatte ich in der Schule einen Freund, ein schöner Junge, der wollte Schauspieler werden. So ging man da manchmal mit – "Komm doch da mal hin" -, wenn die DEFA Komparsen suchte und stand da rum und fand das alles erstaunlich, so wie das gemacht wurde. Und dann geriet ich in so eine Gruppe junger Leute, die sich Filme ausdachten. Das hatte wiederum in meinem Fall zu tun mit dem Auftauchen Zum Inhalt: der neorealistischen Filme, die so etwa Ende der 40er-Jahre zu sehen waren. Und ich hatte natürlich Film immer für etwas Besonderes gehalten, für was Abgehobenes, für etwas Berittenes. Plötzlich tauchte der Gedanke auf, die Geschichten, die man selbst erlebt und die an der Ecke spielen, und wo das Mädchen von der Ecke genauso viel wert ist wie die Königin – eventuell kann man so was ja sich ausdenken und schreiben! Das scheint ja möglich zu sein! Es hatte mit den enormen Ermutigungen zu tun, die überhaupt in der Welt waren. Man kann sich alles zutrauen!
Knut Elstermann: Du hast gesprochen von den neorealistischen Einflüssen. Die sind natürlich gerade in den frühen Filmen von dir absolut spürbar. Das erste große Meisterwerk "Berlin - Ecke Schönhauser..."
, das Ende der 50er-Jahre entstanden ist mit Gerhard Klein, das die Stadt so aufnimmt, wie sie war. Und ich würde sagen: Ist das für dein gesamtes Werk nicht auch bestimmend geworden? Dieser Blick auf das, was ist? Vor die Haustür treten – wie du immer so schön sagst –, mal gucken, wie es dem Nachbarn so geht? Man findet in deinen Filmen nichts Fantastisches. Sondern diese Verpflichtung zu einer Realität ist in den 50er-Jahren von dir eingegangen worden – und du bist ihr in meinen Augen treu geblieben.
Wolfgang Kohlhaase: Naja, worüber sollte ich reden, wenn nicht über Berlin, über die Stadt, über ihre Vergangenheit. Sie roch noch lange nach Rauch, die Stadt Berlin. Und man ist ja nicht schlecht beraten, wenn man über Dinge redet, über die man wenigstens glaubt, dass man mehr von ihnen weiß als Jedermann. Also insofern: Das Thema lag auf der Hand. Nebenbei gesagt, ein wichtiges Merkmal dieses Studios war immerhin, das es nicht dazu da war, Geld zu verdienen. Nun, alle Vorteile haben Nachteile: Es wurde dann auch nicht viel Geld verdient. Und mancher machte sich die Arbeit vielleicht leichter, als gewünscht war. Aber dennoch hatten wir das Gefühl, wir wollen Geschichten erzählen, wir wollen etwas sagen, von dem wir glauben, dass wir es wissen. Wir wollen über unsere Kindheit sprechen. Und natürlich bot sich der Krieg, das Kriegsende, das Leben der Eltern, das vergeudete Leben, an. In jede Familie hatte der Krieg eingeschlagen auf irgendeine Weise. Das alles war ja da.
Knut Elstermann: Du hast mit Konrad Wolf diese großartigen Filme gemacht – "Ich war neunzehn"
, "Mama, ich lebe"
und andere – die hatten ja was zu tun mit seiner Biografie als Immigrantensohn, der nach Deutschland kommt. Ganz anders als du. Oder "Der Aufenthalt"
nach dem Roman von Hermann Kant, der selbst als Gefangener in Polen, als Teilnehmer des Krieges, von seinen Erfahrungen erzählt. Was ist da von deiner eigenen Sicht, auch deiner eigenen Erfahrung als junger Mensch im Krieg in der Nazizeit, eingeflossen?
Wolfgang Kohlhaase: Natürlich, das war nicht blank und geradeaus gesehen die eigene Biografie. Aber es steckte ja eigene Biografie drin. Das war das, was ich am besten wusste, was, glaube ich, auch ein Publikum erfahren wollte im Kino. Also, man darf sich das nicht vorstellen, dass die Leute sich nur Unterhaltungsware ansehen wollten im Kino. Nein, es gab ein Bedürfnis, auf diese Zeit zu blicken und wenigstens im Nachhinein zu verstehen, was da passiert war. Und sonst dachten wir: Naja, man denkt sich Geschichten aus. Das kannte ich ja von der Zeitung. Man geht rum, man guckt, man sucht, man findet, man schreibt.
Knut Elstermann: Deine Drehbücher sind nicht geschwätzig, sondern das sind ganz markante Sätze, die was über die Figuren sagen – und auch anderes wieder nicht sagen. In welchem Verhältnis steht das für dich, auch beim Schreiben schon, zu sagen, da muss ein Raum bleiben? Da muss irgendetwas auch unausgesprochen da sein – sicherlich auch für die Schauspieler und Schauspielerinnen, die brauchen das ja auch, diesen geheimnisvollen Stoff für sich.
Wolfgang Kohlhaase: Der Film hat etwas vielleicht Einzigartiges. Er zeigt das Entstehen eines Gefühls im Gesicht eines Menschen. Das macht das Theater nicht, du hast immer die Totale. Du hast den Schnitt, der lenkt dich, du sollst ja dahin gucken, wo der Film es will. So war für mich immer hilfreich mit dieser Bewunderung für Schauspieler – wenn eine Geschichte nicht weiterging oder wenn sie nicht so schön war, wie man sich das gedacht hatte. Oder wenn man überhaupt im Zweifel war, ob das ein Film werden kann. Es war oft hilfreich – oder ist, um mich mal nicht schon völlig in die Vergangenheit zu rücken. Es ist hilfreich zu wissen, da kommt ein Schauspieler dazu und der macht etwas, was man sich nicht ausdenken kann. Du kannst dir ja wiederum nur von deinen eigenen Erfahrungen her etwas ausdenken, einen Vorschlag machen und so weiter. Also hat mich immer interessiert, wer macht, wenn ich ein Buch schreibe, wer macht es weiter? Mit welchem Material macht er es weiter? Man soll auch nicht schlecht vom Zufall denken. Und das ist überhaupt keine Toleranz gegenüber den Dilettanten. Jemand macht etwas – eine Schauspielerin, sagen wir mal, wenn man es sich vorstellen will. Es wird dreimal gedreht. Es ist einmal ganz gut. Das zweite Mal richtig. Und das dritte Mal schön. Warum? Wer kann das erklären? Natürlich du kannst beschreiben, warum es wirkt. Aber wie ist es entstanden? Und die Entdeckung, die du da machst, machst du ja bevor das jemals zu einem Publikum gelangt. Ich bleibe jetzt so lange bei den Schauspielern, weil letzten Endes ja das Publikum zu den Schauspielern geht. Was immer man erhofft oder was immer die Kritik schreibt: Die Leute gehen zu den Schauspielern. Und gut so! Immer hat mich beim Film der Gruppencharakter, sagen wir mal: das Gemeinsame, interessiert. Man schreibt ja auch Drehbücher bei offener Tür. Prosa schreibt man mit Stimmen hinter der Wand. Aber bei Drehbüchern kommt dauernd einer rein und sagt: Hast Du deinen Entschluss geändert? (lacht)
Knut Elstermann: Zu dieser offenen Tür gehört ja auch, dass das Drehbuch – auch die besten, die du geschrieben hast für die DEFA – sich ja vollständig auflöst im Film. Es ist ein Halbprodukt, ein Produkt, das nicht für sich steht, sondern das die Vorlage liefert dann für den Film. War das für dich, für jemand, der Literatur liebt, der das Schreiben so liebt, manchmal vielleicht auch traurig oder hat dich das auch bekümmert, zu wissen: Das verschwindet vollständig? Und niemand denkt beim Filmschauen darüber nach, wie das Drehbuch entstanden ist?
Wolfgang Kohlhaase: Eigentlich nicht. Entweder, du machst es und siehst, wie du damit zurechtkommst – oder eben nicht.