Kategorie: Filmbesprechung
"Fontane Effi Briest"
Mit seiner Adaption des Romans von Theodor Fontane versuchte Rainer Werner Fassbinder eine Synthese von Literatur und Film.
Unterrichtsfächer
Thema
Preußen, Ende des 19. Jahrhunderts. Nach ihrer Heirat mit dem 20 Jahre älteren Baron von Innstetten fühlt sich die 17-jährige Effi bald ungeliebt und vernachlässigt: Der Gatte ist häufig auf Dienstreise, ihr neues Lebensumfeld reizlos und provinziell. Ablenkung findet Effi schließlich in einer Liebelei mit dem jungen Major Crampas. Diese endet, als das Ehepaar nach Berlin zieht, wo Innstetten Karriere macht. Sechs Jahre später entdeckt er bei Effi Liebesbriefe von Crampas. Unfähig zu verzeihen, tötet er diesen im Duell, verstößt seine Frau und übernimmt die Erziehung ihrer gemeinsamen Tochter. Von allen geächtet, siecht Effi dahin.
Im kritischen Blick, den Theodor Fontane mit dem Roman "Effi Briest" (1895) auf die in Konventionen erstarrte Gesellschaft warf, erkannte Regisseur Rainer Werner Fassbinder Parallelen zum eigenen Denken. Seine Verfilmung "Fontane Effi Briest" stellt den Versuch einer Synthese zwischen Film und Roman dar. So bricht die Zum Inhalt: Inszenierung mit dem Illusionismus des Kinos und macht die Zum Inhalt: Adaption des literarischen Stoffes selbst zum Thema: Analog zur nüchternen präzisen Sprache der Vorlage schaffen streng komponierte Schwarz-Weiß-Bilder (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) Distanz und lösen die Handlung aus ihrem zeitlichen Kontext. Die ruhigen Einstellungen konzentrieren ganz auf die Figuren. Weißblenden (Glossar: Zum Inhalt: Blende/Überblendung) segmentieren die Handlung. Zwischentitel (Glossar: Zum Inhalt: Insert) mit Romanzitaten ersetzen Spielhandlungen. Wiederholt spricht Fassbinder selbst Fontanes Text als Zum Inhalt: Voiceover, während die Szenen zu Tableaus erstarren. Und auch die kaum merklichen Nachsynchronisierungen verweisen auf die literarische Herkunft der Dialoge. Als wiederkehrendes Motiv stehen Spiegelbilder nicht nur für Narzissmus, sondern auch für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, für den Konflikt von Individuum und Gesellschaft. Bezeichnend ist auch, dass das Duell als dramatischer Höhepunkt weniger fokussiert wird als die Unterhaltung darüber: Während Innstetten seine Prinzipien und Zwänge episch erläutert, verweist das gleichzeitige Klavierspiel seines Gesprächspartners auf die kulturelle Einbettung des Duells, das einen Tribut an die Gesellschaft darstellt. Filmisch verdeutlichen Überblendungen zu einem rasenden Zug die Unerbittlichkeit der Zwänge, die diese Satisfaktion fordern.
Wie kann man in einem Normenkorsett steckend, seine eigene Identität entwickeln und dennoch Teil der Gesellschaft bleiben? Zu Fontanes Zeit war dies nahezu unmöglich. 1974, als Fassbinder seine Verfilmung vorstellte, hatte sich viel verändert, doch der Grundkonflikt, formuliert in dem überlangen Filmtitel "Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen" , bestand fort: der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und individuellem Glück. In der Erziehung erkannte Fassbinder den Ursprung von Unterdrückung und fand dafür eindrückliche Bilder. So symbolisiert Effis geliebte Schaukel im elterlichen Garten die Verheißungen der Kindheit. Als die Mutter später bedauert, dass mehr Züchtigung den Tod der Tochter verhindert hätte, hängt die Schaukel schlaff am Bildrand. Losgelöst von geschlechtsspezifischen Emanzipationsfragen sind jedoch letztlich beide Protagonist/-innen zum Scheitern verurteilt: Innstetten, der Effi nur als formbares Kind begreifen kann und sie unterdrückt, ebenso wie Effi, die zu wenig Lebensmut entwickelt, um ihren Aufruhr fortzusetzen.