Am 31. Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 75 Jahre alt geworden. Doch der manische Schaffensdrang des Regisseurs, der im Ausspruch "schlafen kann ich, wenn ich tot bin" zum Postkartenmotiv gerann, dazu Alkohol, Schlaftabletten und Kokain hatten ihn am 10. Juni 1982 37-jährig ins Grab gebracht. Fast vier Jahrzehnte liegt Fassbinders Tod nun zurück. Die Frage, welche Themen er heute angehen würde, wie seine Sicht auf die Ära Kohl, die Wiedervereinigung oder die aktuelle Re-Nationalisierung wäre, ist durchaus eine Überlegung wert.

Ebenso die Frage, wie die Deutschen Fassbinder und seine Analysen der Bundesrepublik heute sehen würden. Denn dass der hiesige Kulturbetrieb ihn mit Ausstellungen, Texten oder Retrospektiven bedenkt, ist keine Selbstverständlichkeit. Zu Lebzeiten war Fassbinder legendär, aber auch gefürchtet, missachtet und umstritten: Bürgerschreck wurde er genannt, Berserker, Monster. Nicht selten versperrte sein exzessiver Lebens- und Arbeitsstil den Blick auf das Werk. In Interviews trat Fassbinder anti-intellektuell auf, als kettenrauchender Popstar und provokanter Entlarver spießbürgerlicher Moral. Was einerseits zur Legendenbildung beitrug, erschwerte es andererseits, ihn einhellig zu feiern. Bis heute schwingt in der Beurteilung Fassbinders bisweilen Skepsis mit.

Ein genialer Außenseiter

Im Reigen des Neuen Deutschen Films der 1960er- und 1970er-Jahre blieb Fassbinder ein Außenseiter, der Filme über Außenseiter drehte. Während Alexander Kluge und andere die Kunstform Film intellektualisierten, drehte Fassbinder unmittelbar verständliche Geschichten über (Gast-)Arbeiter oder Hausfrauen, mit denen er ein breites Publikum erreichen wollte. Auch deshalb arbeitete er wiederholt für das Fernsehen, das damals viel mehr als heute als Kino zweiter Klasse galt. Aber dort war eine große Zuschauerschaft versammelt, die er im Wohnzimmer "eiskalt" erwischen konnte. Wie sehr Fassbinder die Gemüter erregte, ist etwa an der Debatte um seine 1980 gesendete WDR-Serie zu Döblins "Berlin Alexanderplatz" ablesbar, mit der er die Fernsehnation irritierte. Das kontrastreiche Zum Inhalt: 16-mm-Material wirkte bei der Ausstrahlung sehr dunkel, und auch die Gewalttätigkeit der Serie brach bewusst mit den Konventionen.

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Schon Fassbinders Einstand auf der Bühne der Filmwelt polarisierte. Sein Kinodebüt "Liebe ist kälter als der Tod" , ein karger Zum Inhalt: Gangsterfilm, erntete auf der Berlinale 1969 viel Widerspruch. Fassbinder nahm es gelassen, feixte in rebellischer Pose zu Buhrufen, beleidigte das Unvermögen der Filmkritik. Noch im selben Jahr gelang dem Autodidakten mit der Zum Inhalt: Filmadaption seines Theaterstücks "Katzelmacher" der Durchbruch als Wunderkind. Binnen weniger Monate war der Kinomythos RWF auf den Weg gebracht, begegnete ihm die Öffentlichkeit mit jener Mischung aus Ablehnung und Bewunderung, die seine Karriere begleitete. "Ich bin das schwarze Schaf mit dem schwarzen Gürtel", hat Fassbinder treffend von sich gesagt.

Drängende Themen

Zur Ruhe kam Fassbinder fortan nicht mehr. In 13 Jahren drehte er über 40 Spielfilme. Er schaffte das, weil sein aus Münchner Theaterzeiten rekrutiertes Filmensemble mitunter bis zur Selbstaufgabe zu Diensten stand. Leben und Arbeit flossen ineinander. Fassbinder hatte Affären mit Frauen und Männern aus dem Kollektiv. Die Fassbinder-Familie wohnte zusammen – und litt zusammen unter der teils grausamen Art des Meisters, den sie "Bloody Mary", aber auch "Mutter Maria" nannten. Und die Gruppe drehte in einem fort Filme. Private Dramen und Anekdoten lieferten ebenso die Stoffe wie das unmittelbare Zeitgeschehen und die deutsche Vergangenheit. Fassbinders Werk kann als Bearbeitung und Aufarbeitung deutscher Geschichte gelesen werden, und zugleich als Diagnose seiner Gegenwart.

Viele der wiederkehrenden Themen stehen bereits in Fassbinders poetischen Filmtiteln: Liebe und Tod, Freiheit, Angst, Sehnsucht, mehrere Frauennamen. Es geht oft um Machtverhältnisse, besonders um jene in Liebesbeziehungen und der Ehe. Vor allem aber die bundesrepublikanische Lebenswirklichkeit trieb Fassbinder um. Die Normen und Zwänge der Gesellschaft und alles Kleinbürgerliche waren ihm verhasst, im Versprechen vom Glück sah er nur ein weiteres Druckmittel zur Zementierung der Gleichförmigkeit. So sind die Filme des Aufklärers immer auch politisch. Sie waren nicht gefällig, sondern herausfordernd. "Lauter Schweine, lauter dreckige Schweine", klagt in Zum Filmarchiv: "Angst essen Seele auf" (1974) die von Brigitte Mira gespielte Putzfrau Emmi, deren Liebe zu einem marokkanischen Gastarbeiter den Deutschen ein Dorn im Auge ist. Und ein Stück weit sind damit auch Teile des Publikums gemeint.

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Im Mittelpunkt der Fassbinder-Dramen stehen zumeist Menschen, die Liebe und Glück jenseits gängiger Konventionen suchen, letztlich aber an der Kälte der von Gier und Opportunismus beherrschten Gesellschaft zerbrechen. Regelmäßig werden die tragischen Charaktere von Frauen verkörpert, darunter Hanna Schygulla, Barbara Sukowa oder Irm Hermann. Schillernde Filmfiguren wie Maria Braun, Veronika Voss und Petra von Kant gingen in den deutschen Filmkanon ein. Das Scheitern der Frauen findet dabei selbstbestimmt und erhobenen Hauptes statt. Sie sind keine wehrlosen Opfer, stattdessen übt Fassbinder durch die Zum Inhalt: Inszenierung ihrer Taten und Untergänge Kritik am eingeschränkten Frauenbild der Gesellschaft. Dass er Theodor Fontanes Gesellschaftsroman "Effi Briest" über das Unglück der jungen Effi in einer lieblosen Ehe 1974 mit Bezug zur Gegenwart inszenierte, passt ins Bild.

Fassbinder, der zu seinen Liebschaften mit Männern stand, brach Geschlechtergrenzen auf und thematisierte offen Homosexualität. In "Faustrecht der Freiheit" (1975) spielt er einen schwulen Schausteller, der im Lotto gewinnt und von einem Unternehmersohn geschröpft wird. Im Drama "In einem Jahr mit 13 Monden" (1978) muss die von Volker Spengler gespielte Transsexuelle Elvira an ihrem Lebensende eine Reihe bitterer Zurückweisungen ertragen. Den Film widmete der Regisseur seinem Ex-Lebensgefährten Armin Meier, der nach der Trennung der beiden, die Fassbinder postalisch von New York aus erledigt hatte, Suizid beging. Es ist sein wohl persönlichstes Werk. In "Querelle" (1982), seinem letzten Film, spielte Homosexualität ebenfalls eine tragende Rolle, diesmal in Form einer überstilisierten Liebes- und Rachegeschichte.

"Querelle" – Brad Davis in der Titelrolle (© picture alliance / Everett Collection)

picture alliance / Everett Collection

Meister des Melodrams

Fassbinders spezielle Ästhetik und Bildsprache wahrt eine gewisse Distanz zum Geschehen, öffnete sich aber im Lauf der Zeit für große Gefühle. Die frühen Filme waren noch sehr von der Theaterzeit in München geprägt, wo Fassbinder 1968 gemeinsam mit Peer Raben, Kurt Raab und Hanna Schygulla das experimentelle "antiteater" gründete. Das Theaterhafte drückt sich in statischen und langen Kameraeinstellungen aus, in tonlos vorgetragener Kunstsprache und der reduzierten Zum Inhalt: Ausstattung. Statt die geringen Budgets zu kaschieren, machte Fassbinder die Kargheit als Teil der Inszenierung sichtbar. Die Reduktion lenkte das Augenmerk auf die Themen und erzeugte eine ungewöhnliche Seherfahrung. Was Fassbinder schon in der Anfangszeit von anderen Filmschaffenden des Neuen Deutschen Films unterschied, war seine starke Inspiration durch die Filmgeschichte. Angeregt von den Auteurs der französischen Nouvelle Vague, die die Filmsprache modernisierten und das Zum Inhalt: Genrekino zur Kunst erhoben, bediente sich Fassbinder beim Vorangegangenen und brach die etablierten Regeln des Filmemachens, um im Kino neue Formen des individuellen Ausdrucks zu verwirklichen.

Das Spätwerk, insbesondere "Lili Marleen" (1981) und die zwischen 1979 und 1982 produzierte BRD-Trilogie mit den Filmen Zum Filmarchiv: "Die Ehe der Maria Braun", Zum Filmarchiv: "Lola" und "Die Sehnsucht der Veronika Voss" unterscheidet sich stilistisch von den ersten Werken. Dazu trug maßgeblich Fassbinders Bewunderung für den Regisseur Douglas Sirk bei: Nachdem Fassbinder dessen Hollywood Zum Inhalt: melodramen wie "Solange es Menschen gibt" (1959) für sich entdeckt hatte, setzte er vermehrt kunstvolle Zum Inhalt: Kamerafahrten wie die berühmte Kreisfahrt aus "Martha" (1974) ein, die er zusammen mit dem Kameramann Michael Ballhaus ersann. Zum Inhalt: Satte Farben hielten Einzug, eine neue Opulenz, ein versiertes Zusteuern auf melodramatische Höhepunkte. Fassbinder bezeichnete das als seine Suche nach einem deutschen Hollywood-Kino, das ebenso unterhaltsam ist wie das Vorbild, aber weniger verlogen. Besonders eindrücklich gelang ihm das mit der BRD-Trilogie, die sämtliche Schlüsselthemen seines Werks enthält und dabei eingängiger ist als die frühen Filme.

Kurz vor seinem Tod strahlte das Schaffen des Rainer Werner Fassbinder die Souveränität eines Altmeisters aus, auch wenn er damals erst Mitte 30 war. Es steht außer Frage, dass er noch etliche Filme gedreht hätte. Wahrscheinlich wären weitere polarisierende Meisterwerke darunter gewesen.

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