In einer Zeit, in der vor allem in Deutschland eine zunehmende "Politikverdrossenheit" konstatiert wird, genießen politische Stoffe in fiktionalen Fernsehserien eine überraschend hohe Popularität. In Form verschiedener Zum Inhalt: Genres (Drama, Zum Inhalt: Thriller, Komödie) erzählen Erfolgsserien wie "House Of Cards" (Netflix, USA, seit 2013), "Borgen – Gefährliche Seilschaften" (DR1, Dänemark 2010-2013) oder "Veep" (HBO, USA, seit 2012) von der komplexen Gemengelage parlamentarischer, geheimdienstlicher und journalistischer Arbeit im Politikbetrieb. Effektvoll suchen sie dabei Anschluss an jene politischen Realitäten, die derzeit die Unzufriedenheit großer Wählergruppen hervorrufen. Ein Publikum finden die jährlich zahlreicher werdenden Politserien dennoch – oder gerade deshalb?

Interesse an Politik und an Politik-Fiktionen

Der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Interesse an realer Politik und an Politik-Fiktionen lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass die sogenannte "Politikverdrossenheit" vor allem an der Wahlbeteiligung und am Zuspruch der Bevölkerung zur jeweils aktuellen Regierung gemessen wird. Während etwa die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen seit dem Jahr 1998 (82,2 %) einen deutlichen Abwärtstrend verzeichnet (70,8 % im Jahr 2009 und mit 71,5 % nur ein geringfügiger Anstieg bei der Wahl 2013), ist das grundsätzliche Interesse der Menschen an politischen Themen laut Umfragen weiterhin stabil. Zum anderen: Wenn die Unzufriedenheit mit der Regierung und dem politischen System so weit verbreitet ist – bedienen dann einige der Politserien nicht gerade ein populäres Narrativ von machthungrigen und zynischen Politikerinnen und Politikern, die in einem ineffizienten System vor allem auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind?

Politthriller: Skandale, Verschwörungen, Intrigen

Erzählungen über korrupte Karrieristinnen und Karrieristen und unlautere Regierungsgeschäfte finden sich besonders in solchen Serien, die auf Erzählmuster und Zum Inhalt: Inszenierungsstrategien des zurückgreifen. Das Genre etablierte sich in den 1960er-Jahren etwa zeitgleich in Hollywood mit "Botschafter der Angst" (USA 1962) von John Frankenheimer sowie in Europa mit den Filmen von Francesco Rosi oder Constantin Costa-Gavras. Inspiriert vom politischen Klima des Kalten Krieges stellen diese Filme Skandale, Verschwörungen und Intrigen ins Zentrum ihrer dramatischen Konflikte, während die Inszenierung auf eine Identifikation mit der (berechtigten) Paranoia der Helden – ausnahmslos Männer, oft Journalisten oder Außenseiter im Geheimdienst-Milieu – abzielt. Meist zufällig kommen sie kriminellen Machenschaften auf die Spur und geraten so selbst ins Visier der Mächtigen. In den 1970er-Jahren liefert in den USA schließlich der Watergate-Skandal den Kontext für Genre-Klassiker wie "Der Dialog" (USA 1974), "Die drei Tage des Condor" (USA 1975) und "Die Unbestechlichen" (USA 1976).

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Mit "House Of Cards" , dem Zum Inhalt: Remake einer gleichnamigen BBC–Serie von 1990, verlegt eine der derzeit erfolgreichsten Politserien derartige Szenarien direkt in die politischen Machtzentralen von Washington: ins Weiße Haus und in den Kongress der Vereinigten Staaten. Während der klassische Politthriller jedoch über seine moralisch integren Figuren Kritik an korrupten und antidemokratischen Regierungspraktiken formuliert, nimmt "House Of Cards" mit seinem Protagonisten, dem Kongressabgeordneten und späteren Präsidenten Frank Underwood, eine gegenteilige Perspektive ein. In der Serie ist Underwood nämlich selbst der Architekt der Verschwörung. Mit immer neuen Intrigen, Verleumdungskampagnen oder tatsächlichen Straftaten schafft er zahlreiche Widersacher aus dem Weg, einzig mit dem Ziel, die Macht im Weißen Haus an sich zu reißen. "Ich werde gewinnen", sagt er einmal mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf. "Und in die Geschichte eingehen."

Der US-Präsident als Serienheld

Underwood ist Mitglied der Demokratischen Partei, aber politische Positionen sind für ihn nebensächlich. Bei spezifischen Themen wie Verteidigungsetat, Freihandelsabkommen oder Waffengesetzen knüpft die Serie inhaltlich zwar detailliert an reale politische Debatten an (oder antizipiert kommende Debatten), zeichnet diese aber als einen für die Medien inszenierten Polit-Zirkus. Underwood ist unter den Abgeordneten nicht der einzige Zyniker, der seinen politischen Standpunkt vornehmlich nach strategischen Erwägungen für die eigene Laufbahn wählt – er ist nur derjenige, der dies am skrupellosesten und konsequentesten tut. Seine satirische Zuspitzung erfährt das Politiker-Bild der Serie zweifellos durch den wiederholten Bruch der "vierten Wand": Inmitten konventioneller Dialog- Zum Inhalt: Szenen adressiert Hauptdarsteller Kevin Spacey plötzlich mit Blick in die Zum Inhalt: Kamera die Zuschauenden und erläutert ihnen vertraulich Menschenbild und Machtpolitik des Frank Underwood. Unfreiwillig wird man so ins Vertrauen genommen und muss sich dagegen wehren, dem Charisma dieses Antihelden zu erliegen.

Einen Vergleich mit "House Of Cards" lohnt die ebenfalls auf Netflix verfügbare Serie "Designated Survivor" (ABC, USA, seit 2016), in der der gutmütige Wohnungsbauminister Thomas Kirkman (Kiefer Sutherland) unverhofft US-Präsident wird, nachdem der Rest des Regierungskabinetts und fast alle Abgeordneten bei einem Terroranschlag auf das Capitol ums Leben gekommen sind. Auch hier ist der Politikbetrieb heillos korrumpiert und der Regierungsapparat großflächig von Staatsfeinden unterwandert. Mit der Figur des redlichen Präsidenten, der die Verschwörung aufklären will und bei jeder Notlage noch an "amerikanischen Grundwerten" festhält, knüpft "Designated Survivor" jedoch stärker an das Paranoia-Motiv klassischer Politthriller an und steht zum anderen in der langen Hollywood-Tradition, das Amt des Präsidenten und die Träger dieses Amtes zu idealisieren.

Wechselwirkungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit

"The West Wing – Im Zentrum der Macht" (NBC, USA 1999-2006) gilt deshalb auch aufgrund seiner Präsidenten-Figur als stilbildende Politserie schlechthin. Maßgeblich geprägt vom Zum Inhalt: Drehbuchautor Aaron Sorkin, galt sie in der Bush-Ära als eine Art fiktionales Korrektiv zur tatsächlichen Regierung. Die Drama-Serie folgt der Amtszeit des von Martin Sheen verkörperten demokratischen Präsidenten Josiah Bartlet und seinem Beraterstab, einer Gruppe sympathischer und hochqualifzierter Politprofis, die sich in teils minutenlangen Zum Inhalt: Walk-and-talk-Szenen in den Zum Inhalt: Gängen des Weißen Hauses geradezu skurril-eloquente Schlagabtäusche liefern. Klar in der Positionierung, sensibel im Umgang mit Krisensituationen und kompromissbereit im Dialog mit politischen Gegnern erweisen sich Bartlet und sein Team immer wieder als idealtypische Demokraten.

Bemerkenswert sind dabei auch die Wechselwirkungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit: So inspirierte etwa der damals aufstrebende Senator Barack Obama die Figur des Matt Santos, Bartlets Nachfolger als demokratischer Präsidentschaftskandidat. Als Hispanoamerikaner wird Santos in der siebten Staffel der Serie (ausgestrahlt im Jahr 2006) zum ersten nicht-weißen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Im TV-Duell während des Wahlkampfs präsentiert er gar die Vision einer umfassenden gesetzlichen Krankenversicherung, die so im Bereich der Fiktion den ursprünglichen Entwurf von "Obamacare" um einige Jahre vorwegnahm.

US-amerikanische Genreformen und europäische Verhältnisse

Ein Großteil der erfolgreichen Politserien stammt aus dem gleichermaßen von Free- und Pay-TV-Sendern geprägten Rundfunk-Markt der Vereinigten Staaten, der sich mit dem Durchbruch der Streamingdienste Netflix und Amazon Video noch einmal diversifiziert hat. Während der Politikbetrieb in Großbritannien ebenfalls seit vielen Jahren Stoff für Fernsehformate liefert, oft im komödiantischen Bereich (z.B. "The Thick Of It" , BBC, Großbritannien 2005-2012), übertragen in den letzten Jahren auch Serien aus anderen europäischen Ländern die Genreformen auf hiesige Verhältnisse. Die dänische Serie "Borgen – Gefährliche Seilschaften" etwa kombiniert die idealistische Figurenzeichnung von "The West Wing" mit einem machiavellistischen Gesellschaftsbild (Zitate des Philosophen dienen mehreren Folgen als Motto), in dem Politik und Medien sich machtversessen gegenseitig ausspielen. Die Politikerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen) der fiktiven Partei "Die Moderaten" überzeugt im Wahlkampf mit Ehrlichkeit und Volksnähe – und wird überraschend zur Ministerpräsidentin von Dänemark gewählt. Das Amt verwandelt die Idealistin aber fast "zwangsläufig" in eine desillusionierte Realpolitikerin, deren Privatleben zudem beträchtlichen Schaden nimmt.

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Macht des Einzelnen – Macht der Institutionen

Politserien haben vor allem dann ihre Stärken, wenn sie politische Prozesse schildern, die sich im szenischen Konflikt zwischen einzelnen Figuren darstellen lassen: die länderspezifischen Besonderheiten bei der Bildung parlamentarischer Mehrheiten – in "Borgen" etwa das auf flexiblen Kompromissen basierende Mehrparteiensystem Dänemarks –, den Schlagabtausch zwischen konkurrierenden Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkampf oder das taktische Design einer erfolgreichen Parteikarriere. Wenn es jedoch um institutionelle Prozesse wie das Prinzip der Gewaltenteilung geht – die checks and balances einer Demokratie, die nicht bloß zwischen Individuen mit eigener Agenda ausgehandelt werden –, entfernen sich viele Serien deutlich von realem Politikgeschehen.

Der Serienmacher David Simon bemüht sich deshalb in seinem lokalpolitisch verorteten Epos "The Wire" (HBO, USA 2002-2008) oder in der Mini-Serie "Show Me A Hero" (HBO, USA 2015) um größtmögliche Multiperspektivität. Stets treten zahlreiche Figuren auf – aus Legislative, Exekutive und Judikative sowie betroffene Bürger/-innen –, die zum Teil gar nicht in direkte Interaktion miteinander treten und den anderen Figuren auch nicht persönlich schaden wollen. So muss in "Show Me A Hero" ein Bürgermeister (Oscar Isaac) wider Willen den vehement bekämpften sozialen Wohnungsbau in einem wohlhabenden Viertel der Kleinstadt Yonkers (New York) durchsetzen, weil ein Verfassungsrichter bereits vor der Wahl über den Fall entschieden hatte. Und während das Projekt zwar langfristig ein kommunalpolitischer Erfolg wird, ruiniert es kurzfristig die Karriere des Bürgermeisters. Durch Erzählperspektiven dieser Art zeigt Simon, wie individuelles und institutionelles Handeln zusammenhängen, und vermeidet allzu simple Narrative demokratischer Machtausübung: "Die da oben" können nämlich nicht einfach machen, was sie wollen.