Prof. Dr. Stefan Aufenanger promovierte in Soziologie. Nach der Habilitation 1991 in der Erziehungswissenschaft und Lehrtätigkeiten in Deutschland und der Schweiz, hat er seit 2005 einen Lehrstuhlstuhl in Erziehungswissenschaft in Mainz inne. Derzeit ist er unter anderen Mitglied des Beirats der Stiftung digitale Spielekultur (Berlin), Mitherausgeber der Zeitschrift "Computer + Unterricht" (Friedrich Verlag/Velber) sowie Mitglied der Kommission für Forschungsethik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).

Herr Professor Aufenanger, Neue Medien sind ein häufig verwendetes Schlagwort. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Gemeint sind digitale Medien. Damit geht eine Veränderung der Nutzung klassischer Medien einher. Die meisten Jugendlichen nutzen ihr Smartphone, Notebook oder Tablet, um Filme oder Serien auf YouTube oder in Mediatheken zu sehen. Häufig wird mit dem Begriff Neue Medien auch auf die sozialen Netzwerke verwiesen, die im Jugendalter eine ganz große Rolle spielen.

Ab welchem Alter benutzen Kinder- und Jugendliche Neue Medien?

Studien aus den USA zeigen, dass eine Verjüngung der Konsumenten stattfindet. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass Smartphones und Tablets immer einfacher zu bedienen sind. Andererseits gibt es Eltern, die ihre Kleinkinder vor den Geräten „parken“, um sie ruhig zu stellen. So werden bereits Kinder im Alter von sechs Monaten mit Online-Angeboten konfrontiert. Das halte ich für problematisch.

Die Nutzung Neuer Medien ist ein Streitpunkt zwischen Eltern und Jugendlichen. Zu Recht?

Es gibt einen Teil Jugendlicher, der Medien exzessiv nutzt und ohne Smarthphone gar nicht mehr leben kann. Man kann aber die problematische Nutzung nicht an einer Generation festmachen. Sie betrifft genauso Erwachsene, jedoch wird das kaum thematisiert.

Lehrende beklagen, dass hoher Medienkonsum bei Jugendlichen zu Konzentrationsschwächen führe.

Das ist wissenschaftlich nicht fundiert. Es gibt Jugendliche, die sitzen sehr konzentriert stundenlang am Computerspiel. Das Smartphone kam vor gerade einmal zehn Jahren auf den Markt. Es ist das erste Gerät, mit dem man unproblematisch immer und überall ins Internet gehen kann. Bewegungen wie Digital Detox, denen es um den bewussten Verzicht auf die Nutzung des Internets geht, zeigen, dass wir noch immer auf der Suche nach einer angemessenen Nutzung sind.

In einigen Bundesländern ist die Nutzung von Smartphones an Schulen komplett verboten. Die Bundeskultusministerkonferenz hat im letzten Jahr beschlossen, dass bis 2021 eine digitale Lernumgebung im Unterricht zur Verfügung gestellt werden soll.

Die Bildung wird nicht per se besser, wenn Neue Medien zum Einsatz kommen. Mittlerweile wird aber das restriktive Handyverbot in allen Bundesländern diskutiert. Wichtig ist, dass man über den funktionalen Einsatz Neuer Medien im Unterricht nachdenkt. So können beispielsweise die Schülerinnen und Schüler das Smartphone zur Recherche nutzen. Die Lehrenden sollten gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern darüber reden, wie der Einsatz von Smartphones geregelt wird. Den meisten Kindern und Jugendlichen ist durchaus bewusst, dass Handys auch zur einer größeren Ablenkung führen können.

Der Einsatz Neuer Medien kann die Medienkompetenz stärken. Welchen Stellenwert hat diese Kompetenz in den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer?

Die Kultusministerkonferenz widmete sich im Herbst des vergangenen Jahres der Bildung in der digitalen Welt. Dabei einigte man sich auf sechs Kompetenzen, die mit dem Begriff Medienkompetenz – dem souveränen und sinnvollen Umgang mit Medien – identisch sind. Dazu zählen etwa Informations-, Kommunikations-, Analyse- und Reflektionskompetenz. Digitale Kompetenzen werden damit zum integrativen Teil der Fachcurricula. Es sollten aber noch einzelne Punkte ergänzt werden: der kreative Umgang mit Medien und die Reflektion der gesellschaftlichen Bedeutung von Digitalisierung. Ein weiterer Aspekt betrifft die Filmbildung. Diese spielt in Frankreich eine große Rolle. Die Lehrer dort sind dazu verpflichtet mit ihren Schülern ins Kino zu gehen. Hierzulande wird Film kaum als Bildungsmedium genutzt.

Wie stehen Lehrende zum Einsatz Neuer Medien im Unterricht?

In den letzten fünf Jahren hat ein Paradigmenwechsel zur größeren Akzeptanz stattgefunden. Schließlich vereinfachen Neue Medien die Gestaltung des Unterrichts – die Vorbereitung kann bequem zu Hause am Tablet erfolgen, die Präsentation und Bereitstellung von Materialien wird am Smartboard realisiert und letztlich können im Unterricht erarbeitete "Tafelbilder" den Schülerinnen und Schüler über Internet zugänglich gemacht werden. Das heißt aber nicht, dass die analogen Medien verschwinden. Derzeit steigt die Auflage von Büchern wieder. Es wird auch in Zukunft einen Medienpluralismus geben.

Welchen Einfluss hat die Nutzung Neuer Medien auf die Lese- und Schreibkompetenz?

Zumindest keinen negativen. Linguistische Studien zeigen, dass sich der Gebrauch von Abkürzungen in Textnachrichten wie SMS oder WhatsApp nicht in den schulischen Texten niederschlägt. Im Gegenteil, die Vielfalt von sprachlichen Nutzungsformen nimmt einfach zu. Beim Schreiben gibt es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen Medium und der Art des Mitschreibens. Ich führe gerade eine Studie dazu durch. Studierende, die handschriftlich notieren, machen dies in größeren Sinnzusammenhängen. Am Computer wird hingegen eher stichwortartig mitgeschrieben. Offensichtlich bereiten diese Studierenden zu Hause mehr nach. In Leistungsüberprüfungen lässt sich jedenfalls kein Unterschied nachweisen. Es gibt somit keinen Grund für Kulturpessimismus, auch vor den Neuen Medien gab es Menschen, die ungern gelesen und geschrieben haben.