Kategorie: Hintergrund
Starke Arbeiterfrauen im Film
Schwierige Solidarität
Arbeiterfrauen kämpfen im Film meist an zwei Fronten: gegen Arbeitgeber/innen und gegen Diskriminierungen in einer männlich dominierten Arbeitswelt.
An vielen Fronten
In der frühen Arbeiterbewegung sahen sich die Arbeiter/innen oft Industriellen gegenüber, die ihre Firmen als Patriarchen führten und für sich in Anspruch nahmen, am besten zu wissen, was gut für ihre Beschäftigten ist. Das Ende dieser Bevormundung führte allerdings nicht dazu, dass arbeitenden Frauen automatisch die gleichen Rechte wie ihren männlichen Kollegen zugebilligt wurden. Starke Arbeiterfrauen kämpfen nicht nur im Film deswegen meistens an zwei Fronten: gegen die Arbeitgeber/innen und gegen das patriarchalische Erbe innerhalb der männlich dominierten Arbeitswelt. Beispielhaft ist dies im Arbeitskampf von Zum Filmarchiv: "We Want Sex" (Made in Dagenham, Nigel Cole, Großbritannien 2010) zu sehen. Zunächst werden die 187 Näherinnen der Ford-Werke von ihren männlichen Arbeitskollegen, die oft auch ihre Ehemänner sind, vorbehaltlos unterstützt. Als ihr Streik jedoch die gesamte Produktion lahmlegt, stellt dies die Solidarität auf eine harte Probe.
Hilfe von außen
Im Kino wie in der Realität müssen engagierte Arbeiterfrauen alles doppelt so gut machen wie ihre männlichen Vorläufer. Während sich diese stets auf den Rückhalt der Familie verlassen können, sind die Frauen meist irgendwann – wenn auch nur vorübergehend – auf sich allein gestellt. In der Regel springt dann ein außen stehender Mann mit Rat und Zuspruch ein. In "Norma Rae" (Martin Ritt, USA 1979) ist dies ein New Yorker Gewerkschaftsfunktionär, in Zum Filmarchiv: "We want Sex" ein väterlicher Betriebsrat. Beide Filme gleichen sich auch darin, dass es die Außenstehenden sind, die als erste das Potenzial der Heldinnen erkennen und sie ermutigen, ihre eigene Stärke zu entdecken.
Kämpferinnen in eigener Sache
Ohne diese Form der Nachhilfe kommen die starken Frauen in (North Country, Niki Caro, USA 2005) und Zum Inhalt: Strajk – Die Heldin von DanzigStrajk – Heldin von Danzig (Volker Schlöndorff, Deutschland, Polen 2006) aus. Die Danziger Kranführerin Agnieszka streitet selbstbewusst für bessere Arbeitsbedingungen und stellt im Konflikt um die Gründung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc sogar Lech Walesa in den Schatten. Sie schöpft ihre Kraft aus dem katholischen Glauben und fühlt sich im entscheidenden Moment durch die Ernennung Johannes Paul II. zum Papst in ihrem Engagement bestärkt. Bei Lois Jensen, der Hauptfigur von , gibt es ein anderes Motiv. Sie strengt eine Klage gegen einen Minenbetreiber an, weil dieser sie und ihre Kolleginnen nicht vor sexuellen Belästigungen im Betrieb schützt.
Historische Frauenfiguren
Immer wieder wird den Frauen die Frage gestellt, was sie überhaupt in der rauen Arbeitswelt verloren haben. und Zum Filmarchiv: "Strajk – Heldin von Danzig" geben darauf eine übereinstimmende Antwort: Die Heldinnen suchen die Unabhängigkeit, die ihnen der Beruf verschafft. Sie erziehen ihre Kinder allein und wollen nicht von einem Ernährer abhängig sein. Lois Jensen wurde zudem Opfer häuslicher Gewalt und wehrt sich nun dagegen, ähnliches im Berufsleben zu erdulden. Beide Filme haben historische Fälle zum Thema und verbinden Elemente des Arbeiterdramas mit denen des biografischen Films. Wenn starke Arbeiterfrauen auf die Leinwand kommen, haben sie oft schon Rechtsgeschichte geschrieben oder wie im Fall von Anna Walentynowicz, der realen Heldin von Danzig, sogar Weltgeschichte.
Andere Wege
Meist begegnen den Frauen ähnliche Konflikte wie den Männern im Arbeiterfilm und sie bewältigen sie auf vergleichbare Weise: Der Ungerechtigkeit treten sie mit Entschlossenheit, rhetorischem Talent und dem Ruf nach Solidarität entgegen. In der schwarzen Komödie "Louise Hires a Contract Killer" (Louise-Michel, Gustave de Kervern, Benoît Delépine, Frankreich 2008) haben die klassischen Mittel des Arbeitskampfs hingegen ausgedient. Nach ihrer Entlassung investiert die Titelfigur ihre Abfindung in einen Auftragsmörder und versucht sich so an den Profiteuren eines Systems zu rächen. Die Protagonistin von It's A Free World (Ken Loach, Großbritannien, Italien, Deutschland u.a. 2007) zieht aus ihrer Kündigung die Konsequenz, die Seiten zu wechseln: Sie steigt in den grauen Markt der Personalvermittlung ein und beutet die Notlage der meist männlichen Tagelöhner aus. Am Ende lässt sich der Filmtitel allenfalls sarkastisch verstehen, denn die Unternehmerin ist halb treibende Kraft und halb Getriebene. Die Ehrlichkeit, mit der sie sich dabei den eigenen moralischen Widersprüchen stellt, macht sie im Heldengenre der starken Arbeiterfrauen zu einer ebenso ungewöhnlichen wie sehenswerten Erscheinung.