Kategorie: Interview
"Ein Kameramann oder eine Kamerafrau muss über gute Menschenkenntnis verfügen."
Im Interview spricht Kameramann Wolfgang Thaler über das visuelle Konzept des Films "Vor der Morgenröte" und erklärt die unterschiedlichen Arbeitsweisen beim Dokumentar- und Spielfilm.
Wolfgang Thaler arbeitet seit 1988 als Dokumentarfilmer und freiberuflicher Kameramann. Bekannt geworden ist er durch seine mehrmalige Zusammenarbeit mit den österreichischen Regisseuren Michael Glawogger und Ulrich Seidl, deren Filme er durch seine dokumentarische Arbeitsweise nachhaltig prägte. 2005 realisierte er den Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Ameisen – Die heimliche Weltmacht" . Auf der Grazer Diagonale wurde Thaler 2006 für mit dem Preis für die beste Kameraarbeit und 2009 mit dem Marburger Kamerapreis ausgezeichnet. Nebenbei doziert er an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
Herr Thaler, nach preisgekrönten Arbeiten im Dokumentarfilmbereich übernehmen Sie im biografischen Drama Zum Filmarchiv: "Vor der Morgenröte" die Kameraarbeit in einem Spielfilm. Welche Absprachen gab es im Vorfeld des Drehs mit der Regisseurin?
Maria Schrader wollte für ihren Film eine – ich nenne es mal – authentische Erzählweise. Das bedeutet, dass man auf alles Künstliche, Überhöhte in den Bildern verzichtet. Die Kamera soll nah am Geschehen bleiben, ohne sich zu verselbstständigen.
Sie sind bekannt geworden für Ihre Filme mit Ulrich Seidl und Michael Glawogger, die sich zwischen dokumentarischen Formen und dem Spielfilm bewegen. Bestehen für Sie als Kameramann wesentliche Unterschiede zwischen der Arbeit an einem Dokumentar- oder wie im aktuellen Fall einem Spielfilm?
Beim Dokumentarfilm bin ich mit der Kamera dem realen Leben ausgeliefert. Ich kann in keinen Handlungsablauf eingreifen, sondern muss mich der Realität stellen, mich ihr anpassen und darin meine Bilder finden. Beim Spielfilm hingegen kann ich die Bilder nach meinen Wünschen gestalten und herstellen. Das betrifft Zum Inhalt: Schauplatz, Darsteller, Timing, Rhythmus und Zum Inhalt: Lichtstimmung. Beim Dreh eines Dokumentarfilms arrangiert man sich also mit den Begebenheiten. Und diese Flexibilität möchte ich mir auch beim Dreh eines Spielfilms bewahren.
Können Sie am Beispiel der Empfangsszene im brasilianischen Dorf kurz erklären, wie Sie sich diese Flexibilität in ihrer Arbeit zunutze machen?
Wir haben diese Szene mehrmals komplett durchgespielt und uns bei jedem Durchlauf mit der Kamera auf eine andere Figur konzentriert. Würde man so eine komplexe und lange Szene Schnitt für Schnitt drehen, ginge die Dynamik und der Rhythmus im Zusammenspiel verloren. Der dokumentarische Ansatz ist also ein filmisches Mittel um Lebendigkeit herzustellen.
Über welche Fähigkeit muss ein guter Kameramann verfügen?
Ein Kameramann oder eine Kamerafrau braucht zunächst ein Gefühl für Bilder und für die Zum Inhalt: Kadrierung, also Ausschnitte aus dem Leben. Man muss die Welt beobachten und aufgrund dieser Beobachtung eine Auswahl treffen. Zu entscheiden, was nicht im Bild zu sehen ist, ist oftmals wichtiger als zu entscheiden, was am Ende im Film zu sehen sein soll. Ein guter Kameramann und eine gute Kamerafrau besitzen das richtige Gespür für den Augenblick. Ich muss, wenn ich durch den Sucher der Kamera blicke, die Körpersprache der Darsteller/-innen lesen. Und ich muss auf ihren nächsten Schritt vorbereitet sein. Man sollte also über eine gute Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe verfügen.
Es gibt einige subtile Zum Inhalt: Nahaufnahmen von Josef Harder in der Rolle Stefan Zweigs. Wie zeigt man mit der Kamera die Gefühlswelt eines Menschen?
Das ist vielleicht die größte Herausforderung. Die Person hinter der Kamera muss eine Beziehung zu den Schauspielern aufbauen und ihr Vertrauen gewinnen. Nur so gelingt es, dass sie ihr Innerstes vor der Kamera preisgeben und starke Emotionen erzeugen. Ich muss mich mit der Kamera unsichtbar machen, muss mich zurückziehen, darf den Schauspieler in seinem Spiel nicht stören. Dieser Aspekt meiner Arbeit kostet mich oft mehr Kraft als die Dreharbeiten selbst.
Prolog und Epilog von "Vor der Morgenröte" bestehen aus langen, statischen Einstellungen. Was steckt hinter diesem visuellen Konzept?
Die erste Einstellung des Filmes soll die Zuschauenden auf den Rhythmus und die Filmsprache einstimmen. Der Film ist relativ langsam geschnitten, obwohl in den Szenen selbst viel passiert. Als Maria Schrader mir von dieser Idee erzählte, war mein erster Gedanke, dass acht Minuten ohne Zum Inhalt: Schnitt dieser Szene die Spannung nehmen. Doch je mehr ich über dieses Bild nachdachte, desto faszinierter war ich von der Vorstellung, solch eine Einstellung visuell zu gestalten. Sie muss einerseits von den Schauspielern mit Leben gefüllt werden, aber auch in einer Weise optisch gestaltet sein, dass die Zuschauenden nicht anfangen, sich zu langweilen.
Wie haben Sie diese Herausforderung gelöst?
Meine Arbeitsweise ist oft intuitiv. Wichtig ist der Zum Inhalt: Drehort. Für die Anfangsszene in Rio war eine gute Location schnell gefunden. Das war relativ einfach. Für die Schlussszene des Films mussten wir hingegen eine originale Location umbauen. Da der inhaltlich wichtigste Teil des Bildes nur über einen Spiegel zu sehen ist, mussten wir eine Wand versetzen um die Spiegelung in zwei Räumen möglich zu machen. Natürlich haben wir auch filmische Gestaltungsmöglichkeiten, durch die Kadrage, Brennweite und Zum Inhalt: Perspektive etwa. Prolog und Epilog habe ich mit einem Weitwinkelobjektiv gefilmt, weil die Räume für sich wirken sollten. Dadurch, dass das Bild über eine hohe Tiefenschärfe verfügt, agieren die Darstellenden mit dem Raum. Wenn Sie genau hinsehen, werden sie feststellen, dass es in beiden Szenen eine ganz sanfte minutenlange Zum Inhalt: Kamerafahrt gibt. Maria Schrader fand, dass für die Einstellungen am Ende die Kamera eine körperliche Nähe zu den Darstellern benötigt. Auf diese Weise unterstützt die Kamera die Intensität des Schauspiels, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen.
Welche Rollen spielen die Zum Inhalt: Farben bei der Bildgestaltung?
Prinzipiell entsteht das Konzept der Farb- und Lichtgestaltung schon in der Vorbereitung zu den Dreharbeiten in Zusammenarbeit mit Regie, Filmarchitekten und Kamera. Von vornherein war klar, dass die Kamera mit natürlichen Farben und einem natürlichen Look arbeitet. Das Historische sollte ausschließlich über die Wahl der Motive und Zum Inhalt: Kostüme in den Film einfließen.
Sie erwähnten auch den Rhythmus des Films. Berücksichtigen Sie während des Drehs schon die Montage?
Ich habe beim Dreh immer einen theoretischen Schnitt im Kopf. Wenn dieser funktioniert, weiß ich, dass die Cutterin oder der Cutter mit dem Material später spielt und einen Rhythmus erzeugen kann. Als Bildgestalter muss man einfach über die Grundlagen der Montage Bescheid wissen. Kameraleute müssen immer über die Einstellungen davor und danach nachdenken, bevor sie das eigentliche Bild erschaffen.
Zuletzt noch eine allgemeine Frage: Wie bewerten Sie als Kameramann den Übergang vom analogen zum digitalen Kino?
Ein wesentlicher Unterschied ist die Ästhetik. Das Filmmaterial hat durch seine Körnigkeit eine andere Beschaffenheit als digitale Bilder, die aus Pixeln bestehen. Die Bildauflösung ist qualitativ hochwertiger. Als hilfreich erweist sich, dass wir heute schon am Drehort unsere Bilder prüfen können, während wir früher auf den belichteten Film aus dem Kopierwerk warten mussten. Ein großer Nachteil dagegen ist, dass beim digitalen Filmemachen die Konzentration nachlässt. Die Kamera läuft ständig mit: Alles wird aufgenommen, da es nichts kostet. Das verleitet viele Filmemacher/-innen dazu, weniger präzise zu arbeiten.
Und wo sehen Sie die Vorteile für junge Filmemacher/-innen?
Dadurch dass die Technik heute vergleichsweise günstig ist, haben viele junge Menschen Zugang zum Medium Film und können sich ausprobieren. Das war früher in der Form nicht möglich.